„Nicht mehr der Mann von einst“

Es ist eine Erkrankung, die mit besonderen Herausforderungen einhergeht: Wer von Demenz betroffen ist, verliert nach und nach nicht nur geistige, sondern auch viele körperliche Fähigkeiten. Die häufigste Form dabei ist die Alzheimer-Krankheit. Wie das Statistische Bundesamt anlässlich der aktuellen Woche der Demenz mitteilt, steigt die Zahl der Patienten rasant an.
Dietzenbach – Tangiert sind dann immer auch die pflegenden Angehörigen. Oft trifft es Paare, die schon lange zusammen sind und deren Leben mit der Diagnose komplett auf den Kopf gestellt wird. Den Partner ins Heim zu geben, kommt für viele nicht infrage. Im Gespräch erzählen zwei Dietzenbacher Familien, wie sich der Alltag mit der Krankheit gestaltet.
Bei Günther und Marion (Namen geändert) sind die Türen immer verschlossen. Zumindest die, die nach außen führen. Die Haustür, der Durchgang zur Garage und der Ausgang zum Garten. Die Schlüssel hütet Günther. Er will verhindern, dass Marion die Gelegenheit ergreift und das Haus verlässt. Seine Partnerin ist Demenz-Patientin mit der Tendenz zum Weglaufen. „Wir wissen nicht, wo sie hin will, aber sie ist dann vollkommen verwirrt, wenn wir sie wiederfinden.“
Woher der Drang zum Davonlaufen bei einem Teil der Demenzerkrankten kommt, ist noch nicht wissenschaftlich erfasst. Vermutet werden Unruhe und Unwohlsein, ebenso aber auch ein Bewegungsmuster zur Konfliktbewältigung. Für Günther war es die erste Handlung seiner Partnerin, die ihn hat aufhorchen lassen. Nach einem Streit in der Familie, an dem er nicht beteiligt war, war Marion auf einmal weg. Erst Tage später und mithilfe der Polizei konnte er sie wiederfinden. Danach sei klar gewesen, dass irgendetwas nicht stimmt. Für das Paar begann eine Odyssee durch Arztpraxen, sie suchten Allgemeinmediziner, Neurologen und andere Spezialisten auf. Wirklich helfen konnte keiner. Alzheimer ist nicht heilbar und schreitet unerbittlich fort.
Marion ist eine attraktive und stets gepflegt gekleidete Frau. Sie lacht gerne und streut humorvolle Bemerkungen in Gespräche. Bei den einfachsten Alltagsverrichtungen jedoch ist sie auf Hilfe angewiesen, Handlungen, die gesunde Menschen automatisch ausführen, hat sie vergessen. „Es muss jemand bei der Dusche das Wasser anstellen, beim Essen und beim Ankleiden helfen.“ Seit 16 Jahren ist das Paar zusammen, Günther ist promovierter Wissenschaftler, Marion hatte einen eigenen Aufgabenbereich bei einer kommunalen Verwaltung. Miteinander alt zu werden, hatten sie sich anders vorgestellt. „Aber es ist jetzt so, wie es ist, ich habe mich darauf eingestellt, eine Frau zu haben, die körperlich fit ist, aber geistig nicht mehr“, sagt Günther, der seiner Partnerin alle Hilfe angedeihen lässt, die möglich ist. Seine eigenen Auszeiten verschafft er sich beim Segelfliegen. Anfangs sei Marion dann in Kurzzeitpflege gewesen. „Aber da kam sie jedes Mal in schlechterem Zustand zurück, als ich sie hingebracht habe.“ Heute hat Günther Unterstützung durch eine Betreuerin, er betont: „Anders würde ich das gar nicht schaffen.“
Auch Immo K. (Name geändert) versucht manchmal, aus der ständigen Zweisamkeit mit seiner Frau Maria (Name geändert) auszubrechen. Der ehemalige Diplom-Ingenieur war immer selbstständig, hat ein Haus mitgebaut und vier Kinder groß gezogen. Jetzt ist Maria seine Welt, seit einem halben Jahrhundert ist das Paar verheiratet. „Die Veränderung hat schleichend angefangen“, erzählt die gelernte Krankenschwester. Erst ein bisschen Vergesslichkeit, eine rote Ampel, die Immo nicht beachtet hat. Irgendwann sollte er etwas unterschreiben und wusste seinen Namen nicht mehr. „Da war klar, dass ernsthaft etwas nicht stimmt.“ Tausend Gedanken seien aufgekommen, auch die rechtliche Seite wolle geregelt sein. „Manches hätten wir vielleicht früher machen können, aber Immo wollte die Endlichkeit nicht wahrhaben“, sagt Maria. Nun könne es passieren, dass er seine Frau und seine Kinder nicht erkennt. „Er braucht mich rund um die Uhr“, stellt Maria fest. Unterstützung findet sie bei den Kindern, kleine Ruhephasen dann, wenn Immo schläft und sie lesen kann. Gemeinsam genießen beide das Bewegungsangebot in einer Sportgruppe der städtischen Seniorenarbeit. „Und ich weiß, dass ich weitere Unterstützung haben kann, wenn ich sie brauche“, sagt Maria. Jetzt zieht das Paar aus dem großen Haus in eine kleinere Wohnung. „Dort werden wir weiter unser Leben leben und immer, wenn es schwierig ist, weiß ich, das ist nicht mehr der Mann von einst, das ist diese Krankheit“, sagt Maria. (Barbara Scholze)