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„Nicht die Mutter aller Probleme“

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Paulina Petridou, Nicola Elmi, Olga Lucas Fernández und Ezgi Küpelikelinc sprachen bei der Ausstellungseröffnung über die Geschichte der Gastarbeiter. -  Wittekopf
Paulina Petridou, Nicola Elmi, Olga Lucas Fernández und Ezgi Küpelikelinc sprachen bei der Ausstellungseröffnung über die Geschichte der Gastarbeiter. © Wittekopf

Dietzenbach - Bei einer Ausstellung im Heimatmuseum können Besucher derzeit einen Einblick in die Geschichte der Gastarbeiter bekommen. Die Eröffnung war aber auch geprägt vom ganz aktuellen Zeitgeschehen. Von Burghard Wittekopf

„Mein Blut fließt dort, wo meine Kinder sind“, antwortet Nicola Elmi auf die Frage, ob seine Heimat eher Deutschland oder Italien sei. Er ist einer der vielen Gastarbeiter, die in den Sechzigerjahren nach Deutschland gekommen sind. Von 1950 bis 1970 boomte die deutsche Industrie und Hilfskräfte wurden dringend gesucht. Der Ausländerbeirat Dietzenbach (ALB) hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Geschichte der Gastarbeiter aufzuarbeiten und in einer Ausstellung unter dem Namen „Neue Heimat Dietzenbach 2.0 – Auf den Spuren der ersten Gastarbeiter“ zu präsentieren. Sie baut auf der Arbeit von Günter Jahn, Gisela Mauer sowie Dorothea Kutschera auf und ist durch die enge Zusammenarbeit zwischen dem Heimat- und Geschichtsverein und dem Ausländerbeirat zustande gekommen.

Die Gastarbeiter lebten in ihren Ländern oft in armen Verhältnissen, deshalb machten sich viele auf den Weg, um in Deutschland Geld zu verdienen. So wie Elmi, der mit seinen sieben Geschwistern in der Gegend von Bari lebte. Sein Bruder arbeitete bereits in einer Gärtnerei in der Nähe von Frankfurt und animierte ihn, ebenfalls nach Deutschland zu kommen.

Die Gastarbeiter gründeten in Deutschland Familien, ihre Kinder besuchten deutsche Schulen, absolvierten eine Ausbildung oder studierten und haben inzwischen ihre eigenen Familien gegründet. Der Vorsitzende des Heimatvereins, Hans-Erich Scholze, begrüßt die Gäste im komplett gefüllten Saal im Heimatmuseum. „Die Ausstellung ist für Dietzenbach sehr wichtig, denn mehr als 50 Prozent der Bürger haben einen Migrationshintergrund und sie werden unsere gemeinsame Stadt immer weiterentwickeln und verbessern.“ Ziel der Ausstellung ist, dass die Besucher aus erster Hand erfahren, wie alles angefangen hat und wie sich die ehemaligen Gastarbeiter heute in der Kreisstadt fühlen.

Lob spendet Erster Stadtrat Dieter Lang: „Es ist ein großer Erfolg, dass die Ausstellung zustande gekommen ist.“ Den Akteuren sei es gelungen, den ersten Schritt in die Aufarbeitung der Dietzenbacher Geschichte nach 1945 zu machen. Doch Lang sieht den Integrationsprozess noch nicht abgeschlossen „Das Thema beschäftigt viele Menschen und es dauert länger, als wir erahnt haben.“ Er wünsche sich, dass die Aufarbeitung weitergeführt wird und eine Ausstellung unter dem Namen „Neue Heimat Dietzenbach 3.0“ stattfinden kann. Der Vorsitzende des ALB, Cengiz Hendek, dankt den Mitgliedern des Heimatvereins und des ALB für die Zusammenarbeit. Er weist auf die Abschlussveranstaltung am 14. Oktober hin, zu der alle Beteiligten eingeladen sind.

Moderiert wird der Abend von Olga Lucas Fernández vom Ausländerbeirat aus Rodgau. Ihre ersten Gesprächspartner sind Gisela Mauer, langjährige Geschäftsführerin des ALB, und Gudrun Rahn, Ehefrau von Günter Rahn. Sie berichten von der ersten Ausstellung, die 2001 zum Hessentag eröffnet wurde, der Kontaktaufnahme mit Gastfamilien, den Interviews bis hin zur fertigen Präsentation. „Migration war weder in den Sechzigerjahren noch ist sie heute die Mutter aller Probleme, sondern sie ist die Folge von Armut, ungerechter Verteilung, Kampf um Land und Ressourcen und Macht“, sagt Mauer.

Ein weiterer Höhepunkt des Abends ist die Diskussion mit Nicola Elmi, Paulina Petridou und Ezgi Küpelikilinc. Elmi berichtet über seine Ankunft, seine Arbeit und seinen Werdegang. Seine Frau, die aus Dietzenbach stammt, hat er auf seiner Arbeitsstelle kennengelernt „In Italien kenne ich nur noch meine Familie, sonst keinen. Da bin ich immer der Deutsche“. Aber er fühlt sich auch nicht als richtiger Deutscher. „Ich bin ein Bürger dieser Welt.“ Petridou kannte Theo Papadopolous sehr gut. Er war ihr Trauzeuge und Patenonkel ihrer Kinder. Sie fühlt sich sehr wohl in Deutschland und wenn sie in ihr Heimatland kommt, dann ist das wie Urlaub für sie.

Ezgi Küpelikilinc ist die Enkelin von Abdi Küpelikilinc. „Ich bin jeden Sommer nach Düzbag in die Türkei geflogen und habe meine Großeltern besucht.“ Dass sie in zwei Kulturen aufgewachsen ist, sieht sie als Vorteil. Sie spricht Türkisch und Deutsch und ist in der Ausbildung zur Mittelstufenlehrerin. „Man hat nie das komplette Zugehörigkeitsgefühl. In der Türkei sind wir die Deutschen, in Dietzenbach fühle ich mich akzeptiert und sehr wohl.“

Über die Bilder aus Chemnitz sagt Elmi: „Das ist abscheulich, wir müssen den Menschen Arbeit geben, damit sie sich eine Existenz aufbauen können.“ „Ich finde es sehr befremdlich“, sagt Küpelikilinc. „Hier in Dietzenbach fühle ich mich sehr wohl und sicher, aber wenn ich in Chemnitz wohnen würde, wäre es sicher anders.“

Die Ausstellung ist bis noch zum 14. Oktober 2018 im Museum für Heimatkunde und Geschichte (Darmstädter Straße 7+11) zu sehen.

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