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Kleider mit Geschichte: Spannende Frauenporträts im Dreieich-Museum

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Eine modische Trendsetterin war die deutsche Berufsluftschifferin „Kätchen“ Paulus.
Eine modische Trendsetterin war die deutsche Berufsluftschifferin „Kätchen“ Paulus. © Nicole Jost

Das Dreieich-Museum zeigt Portraits von Frauen, die ihrer Zeit voraus waren. Kuratiert hat die Ausstellung eine Molekularbiologin.

Dreieich – Mit ihrer petrolfarbenen Pluderhose, der farblich dazu passenden Bluse und der gelben Krawatte ist Katharina „Kätchen“ Paulus in den Jahren vor dem Ersten Weltkriegs ein wahres It-Girl. Die 1868 in Zellhausen im Kreis Offenbach geborene Kunstfliegerin war nicht bloß modisch eine Trendsetterin. Mit ihrem Wagemut, in Heißluftballons zu steigen und mit einem selbst gefertigten Fallschirm aus schwindelerregenden Höhen abzuspringen, war sie ein wahrer Star der von ihr organisierten Flugshows. Paulus gilt als Erfinderin des zusammenlegbaren Fallschirms. Das modische und zugleich praktische Outfit von Kätchen Paulus und ihre Lebensgeschichte ist eines von vielen Frauenporträts, die derzeit im Dreieich-Museum ausgestellt sind.

Unter dem Titel „Story behind the dress – Kleider, die Geschichte schrieben, und wer in ihnen steckte“ gibt das Museum Einblick in das Leben 15 ganz unterschiedlicher Frauen, die in die Geschichtsbücher eingegangen sind. „Sie sind nicht alle bekannt. Klar, Queen Victoria kennen viele, auch Marlene Dietrich ist den Menschen ein Begriff – aber ich verspreche – alle Frauen sind sehr coole Ladys und es lohnt sich genau hinzuschauen, was diese Frauen erlebt haben und wie sie gekleidet waren“, sagt die Kuratorin der Ausstellung, Dr. Nicole Friedersdorf.

Alles selbst genäht: Dr. Nicole Friedersdorf hat 15 Biografien von Frauen recherchiert. Die Kleidung spielte eine zentrale Rolle in ihrem Leben.
Alles selbst genäht: Dr. Nicole Friedersdorf hat 15 Biografien von Frauen recherchiert. Die Kleidung spielte eine zentrale Rolle in ihrem Leben. © Nicole Jost

Die Molekularbiologin aus Nidda hat sich mit der Beschäftigung mit Frauenleben und dem Halten von Vorträgen ein zweites Standbein geschaffen. In den vergangenen Jahren hat sie zu vielen Frauenbiografien geforscht und sich mit der Mode und dem Leben zur jeweiligen Zeit intensiv beschäftigt. Zu allen 15 Frauenportraits gibt es ein Mode-Exponat der originalgetreuen Kleidung der Frauen – ohne Ausnahme selbst genäht von Friedersdorf.

„Immer ist die Kleidung auch Ausdruck der Persönlichkeit der jeweiligen Frau“, sagt die Kuratorin. Ein gutes Beispiel dafür sei Queen Victoria. Für sie hat Friedersdorf das Kleid ausgewählt, das die einstige Königin von England zu ihrem diamantenen Kronjubiläum trug. Aus zehn Metern Seidentaft und acht Metern in Lettland gefertigter Spitze nach Brüsseler Art hat sie die Robe anhand einer Fotografie nachgenäht.

„Victoria war klein, etwas korpulent und eine Frau, die von ihren Untertanen durchaus gefürchtet war. Sie galt als mürrisch und schwierig, und es gibt auch kaum ein Foto von ihr, auf dem sie lächelt“, beschreibt Friedersdorf die einstige Königin. Aber ihren leider sehr früh verstorbenen Mann liebte die Königin innig. Aus diesem Grund trug sie für den Rest ihres Lebens nur noch dunkle Kleider – und immer ein Stück der Spitze aus dem Stoff ihres Hochzeitskleides, das ihre Schneider in die Kleider einnähen mussten.

„Ich war zur Recherche in London, dort ist das Brautkleid ausgestellt, aber es ist eben nur noch die Seide übrig. Die Spitze und der Schleier existieren nicht mehr, weil der Stoff komplett verarbeitet wurde. Victoria ist sogar mit der Hochzeitskleidspitze über dem Gesicht beerdigt worden“, berichtet die Kuratorin.

Die dritte Frau, die hier noch erwähnt sein soll, ist Lois Long. Die Journalistin lebte von 1901 bis 1974 in den USA und war berüchtigte Klatschreporterin beim „New Yorker“. „Eine schillernde Persönlichkeit, die in Chanel gewandet Teil der Society war, über die sie in der Zeit des Cotton Clubs, der Prohibition und der Mafia täglich berichtete“, erzählt Friedersdorf. Long schrieb unter dem Pseudonym „Lipstick“ über die ausschweifenden Partys, auf denen schwarz gebrannter Schnaps ausgeschenkt wurde. Man weiß von ihr, dass sie meist direkt in der Nacht – selbst noch betrunken – in die Redaktion kam und losschrieb. „Ich glaube, sie hat ihre Kollegen schwer genervt und auf alle Konventionen gepfiffen“, sagt Friedersdorf lachend. Neben dem schwarzen Kleid, das für die Mode der Journalistin steht, zeigt das Museum auch ein Foto, auf dem die selbstbewusste Kolumnistin reichlich entsetzt von der Sekretärin des Chefredakteurs angeblickt wird.

Mehr wird an dieser Stelle nicht verraten, es gilt auch noch Frauen wie Nancy Sinatra, Dorothy Elisabeth Levitt oder die biblische Judith zu entdecken. Neben den Kostümen und Bannern zur Lebensgeschichte wird das Leben der Frauen durch Videobeiträge ergänzt, für die Nicole Friedersdorf in die Gewänder und die jeweiligen Rollen geschlüpft ist und die Protagonistinnen damit zum Leben erweckt.

„Story behind the dress“ ist eine Ausstellung, die thematisch perfekt zu den Festspielen im Burggarten gepasst hätte. Die sind ja bekanntlich wegen der Corona- Pandemie aufs nächste Jahr verschoben worden. Corinna Molitor, Leiterin des Dreieich-Museums, ist froh, dass sie die Ausstellungsräume des Geschichts- und Heimatvereins als „kulturelle Grundversorgung“ wieder öffnen kann. „Das geht nur, weil unsere ehrenamtlichen Mitarbeiter sich dazu bereit erklärt haben“, ist Molitor dankbar.

Die spannenden Frauenporträts sind bis 25. Oktober zu sehen. Die Ausstellung ist Teil der Veranstaltungsreihe der KulturRegion FrankfurtRheinMain „Kleidung, Freiheit, Identität – gestern und heute“. Das Museum ist samstags von 14 bis 18 und sonntags von 11 bis 18 Uhr geöffnet. VON NICOLE JOST

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