Unternehmer hinterzieht Steuern in Millionenhöhe – und flieht vor der Justiz nach England
Ein 31 Jahre alter Mann muss sich vor Gericht verantworten. Mit seiner ehemaligen Firma aus Dreieich-Sprendlingen hat er mehrere Millionen Euro an Steuern hinterzogen.
Dreieich - 21 Monate Haft auf Bewährung – das ist das Ergebnis eines ungewöhnlich schnellen Prozesses wegen Steuerhinterziehung vor dem Landgericht Darmstadt. Der 31-jährige Angeklagte hatte von April 2013 bis April 2014 Umsatzsteuervoranmeldungen und -erklärungen mithilfe von Scheinrechnungen geltend gemacht – und so dem Fiskus einen Schaden von mehr als vier Millionen Euro zugefügt.
Der zur Tatzeit in Dietzenbach (Landkreis Offenbach) wohnende Mann wurde kurz nach dem Abitur von seiner Familie zum Geschäftsführer eines Unternehmens für Im- und Export gemacht. „Eigentlich wollte ich Bauingenieurwesen studieren, aber mein Vater wollte unbedingt, dass ich in die Handelstradition der Familie einsteige. Er entstammt einer angesehenen pakistanischen Kaufmannsfamilie“, erklärt der Angeklagte. Die M.A. GmbH wurde 1981 vom Vater gegründet, ihre Adresse lag in einem Sprendlinger Gewerbegebiet.
Allerdings fand man dort lediglich ein größeres Büro, keine Lager- oder Betriebsräume. Denn die Millionen Euro Umsatz, die die Firma angeblich jedes Jahr mit Textilien, Teppichen, Sportartikeln und medizinischen Instrumenten machte, gab es in Wirklichkeit gar nicht. Den vermeintlichen Umsatz generierte man mit sogenannten Abdeckrechnungen, denen keinerlei Warenlieferungen zugrunde lagen. Insgesamt sechs Steuererklärungen sind Gegenstand der Anklage.

Steuerhinterziehung im Kreis Offenbach: Firma in Sprendlingen stellte Scheinrechnungen aus
Für den Steuerfahnder vom Finanzamt in Offenbach gehört die Masche zum Alltagsgeschäft: „In Sprendlingen gibt es ein großes Kleiderhandelszentrum. Die Firma M.A. gehörte dazu.“ Angeblich wurden teure Textilien in Berlin eingekauft, in Wirklichkeit aber nur billiges Zeug aus Italien und Frankreich – produziert in China. „Die angegebenen vier Händler können gar nicht geliefert haben, weil sie nicht über diese Mengen verfügen. Das ergaben die Berliner Hausdurchsuchungen. Stattdessen verkauften sie Scheinrechnungen“, so der Zeuge.
Das Geld wurde überwiesen, in bar abgehoben und an den Rechnungsadressaten zurücktransferiert – abzüglich einer Provision natürlich. Im Mai 2014 seien dann die Räumlichkeiten verschiedener in Sprendlingen ansässigen Textilfirmen durchsucht worden: „Die paar Klamotten, die bei M.A. hingen, waren uraltes Zeug. Der Handel sollte nur vorgegaukelt werden. Bis auf ein paar Visitenkarten der Berliner Firmen gab es auch keinen Schriftverkehr zu den angeblichen großen Lieferungen.“
Mann aus Hessen kommt mit Bewährungsstrafe glimpflich davon
Zu Beginn des Prozesses steht eine Verständigung zwischen Neunter Strafkammer, Staatsanwaltschaft und Verteidigung. Man einigt sich auf ein Strafmaß zwischen eineinhalb und zwei Jahren – vorausgesetzt, der Beschuldigte ist geständig. Nach Paragraf 370 der Abgabenordnung werden schwere Fälle von Steuerhinterziehung mit sechs Monaten bis zehn Jahren Gefängnis geahndet. Neben der Haftstrafe muss der Verurteilte als Geldauflage 7200 Euro an eine gemeinnützige Organisation zahlen. Dass er so glimpflich davongekommen ist, hat mehrere Gründe: Er ist nicht vorbestraft, es wurde „gedealt“ und die Taten liegen schon sehr lange zurück.
Die Anklageerhebung fand schon 2015 statt, jedoch floh der Gesuchte bereits im Dezember 2014 nach Manchester. Fünf Jahre dauerte es, bis man den per europäischen Haftbefehl Gesuchten in England festnahm und an Deutschland auslieferte. Und was sagt er selbst zur Sache? „Ich habe die Geschäfte damals nicht geführt, mich nur um den Onlinehandel gekümmert. Habe die Rechnungen ohne Prüfung unterzeichnet, mich nicht verantwortlich gefühlt.“ Trotzdem habe er mitbekommen, dass die Warenmenge nicht zum Umsatz passte. „Das ist aber nicht auf meinem Mist gewachsen!“ Der Verurteilte wohnt heute bei seiner Schwester in Aachen und hilft ihr bei einem Online-Geschenkehandel. (Silke Gelhausen)