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Arzt prangert Missstände im Gesundheitssystem an – „Politik hat völlig die Bodenhaftung verloren“

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Von: Frank Mahn

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Dr. Matthias Scholz wünscht sich sich mehr Freiräume für die ambulante Medizin und den Abbau von Bürokratie, die den Ärzten das Leben erschwert .
Dr. Matthias Scholz wünscht sich mehr Freiräume für die ambulante Medizin und den Abbau von Bürokratie, die den Ärzten das Leben erschwert. © Strohfeldt

Im Kreis Offenbach verschlechtert sich die ärztliche Versorgung. Dr. Matthias Scholz sieht das Problem vor allem in der Gesundheitspolitik in Deutschland.

Offenbach – Die hausärztliche Versorgung im Westkreis Offenbach bereitet Dr. Matthias Scholz schon seit Jahren große Sorgen. Immer wieder hat der Internist auf die sich anbahnenden Verschlechterungen hingewiesen und eindringlich an die Politik appelliert, hier im Sinne der Patienten gegenzusteuern.

Am vergangenen Freitag hat die Redaktion über den ärztlichen Aderlass in Buchschlag berichtet. Wie er die Situation bewertet, sagt der Vorsitzende des Medizinischen Qualitätsnetzes Langen-Dreieich im Interview.

Arzt aus Offenbach mit scharfer Kritik – „Politik hat völlig die Bodenhaftung verloren“

Herr Dr. Scholz, Sie warnen als Vorsitzender des MQLD seit Jahren vor einer Verschlechterung der hausärztlichen Versorgung. Dass dem so ist, kann der größte Schönredner nicht leugnen. Was sind aus Ihrer Sicht die Ursachen dafür?

Die Ursachen für den jetzt eingetretenen Mangel, der sich übrigens noch verschlechtern wird, sind die Handlungen der Kassenärzten Vereinigung, der Krankenkassen und der Gesundheitspolitik. Bei mir war im Jahr 2019 eine Mitarbeiterin der DAK, die mich darauf hinwies, ich müsse ja kein Kassenarzt sein. In dieser Atmosphäre hat kein Kassenarzt Lust, bis zur Rente zu arbeiten – und kein Jungmediziner Lust, sich niederzulassen. Dies machen die genannten Institutionen meines Erachtens bewusst.

Das sind deutliche Worte. Hört sich an, als würden niedergelassenen Ärzten bewusst Knüppel zwischen die Beine geworfen.

Das Gefühl habe ich auch. Es ist doch davon auszugehen, dass die Mitarbeiter der verantwortlichen Institutionen über die Konsequenzen ihres Handelns und Nichthandelns Bescheid wissen. Es ist also so gewünscht, wie es ist und kommt.

Wenn das, wie Sie sagen, bewusst geschieht, welches Ziel beziehungsweise welche Strategie steckt dann hinter dieser Vorgehensweise?

Eine Reduzierung des ambulanten Fach- und hausärztlichen Bereichs spart vermeintlich Geld. Das Problem ist, dass die Politik mit Beratern arbeitet, die noch keine Patienten gesehen haben. Die Politik hat völlig die Bodenhaftung verloren. Medizinische Versorgung wie auch andere Themen müssen geplant werden und brauchen Zeit. Und die ambulante Medizin ist immer schneller und unbürokratischer als die Politik.

Offenbacher Arzt fordert bessere hausärztliche Versorgung

Wenn ich Sie richtig verstehe, ist das Kind in den Brunnen gefallen. Wie aber kann es gelingen, die hausärztliche Versorgung auf Dauer aufrechtzuerhalten? Wie können junge Mediziner dazu animiert werden, eine eigene Praxis zu betreiben?

Die Medizin ist immer noch mein Traumjob. Ich liebe meine Patienten und man kann in aller Regel sehr viel machen. Der Hausarzt hat eine zentrale Steuerungsfunktion, er kennt ganze Familien. Nur schauen sich die Jungen an, was die Alten sagen und erleben. Und wenn denen ständig das Leben schwer gemacht wird, ist das kontraproduktiv. Ich könnte mir prinzipiell vorstellen, bis 70 oder länger zu arbeiten – aber unter den aktuellen Bedingungen ist das ausgeschlossen. Es muss in der Medizin wieder der Mensch im Mittelpunkt stehen, nicht die Verwaltung.

Können Sie Beispiele von Vorgaben nennen, die Ärzten die Ausübung ihres Berufs erschweren?

Sicher. Beispielsweise wird die Zahl der Patienten reglementiert. Wenn ein Arzt mehr Patienten behandelt, wird die Zahlung abgestaffelt. Für Medikamente, Krankengymnastik oder physikalische Therapie gibt es Budgets. Liegt man drüber, zahlt man das aus eigener Tasche. Und jede Menge Zeit-Budgets gibt es auch noch.

Ärzte haben sich in Verein organisiert

Gemeinsam mit mehreren Kollegen betreibt Dr. Matthias Scholz seit 1998 eine Internistische Praxis im Fachärztezentrum an der Asklepios Klinik. Eine zweite Praxis unterhält das Team in Rüsselsheim. Scholz ist in Buchschlag geboren und hat an der Ricarda-Huch-Schule Abitur gemacht. Er ist in zweiter Ehe verheiratet, aus der ersten Ehe hat er drei Kinder. Scholz ist seit 2009 Vorsitzender des Medizinischen Qualitätsnetzes Langen-Dreieich. Im MQLD haben sich zahlreiche Ärzte aus der Region in einem gemeinnützigen Verein zusammengeschlossen, mit dem Ziel, die Qualität der medizinischen Leistungen zu sichern und auszubauen, um damit die Behandlung ihrer Patienten zu verbessern. Auf der Website finden sich ausführliche Informationen.

Arzt aus Offenbach attackiert Kassenärztliche Vereinigung und Krankenkassen

Wie beurteilen Sie speziell die Situation in Buchschlag?

Ich bin generell stolz auf die niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen. Sie leisten extrem viel. Das hat sich insbesondere in den Hochphasen der Pandemie gezeigt. Nur sehe ich insbesondere in Buchschlag einen extremen Engpass entstehen – und das ohne Not. Unter normalen Umständen hätten die beiden von mir sehr geschätzten Kolleginnen noch weitergearbeitet. Buchschlag ist mein Geburtsort. Da gab es damals Dr. Theis und Dr. Koetting. Aber die Rahmenbedingungen waren grundlegend anders. Die schon seit ein paar Jahren andauernde Entwicklung tut weh. Die Kolleginnen geben ihr Bestes, es gibt aber kein Dankeschön und keine Unterstützung. Und die Auffangkapazitäten in Sprendlingen sind nicht ausreichend.

Was heißt das konkret für die Patienten? Müssen manche weite Wege in Kauf nehmen, um überhaupt behandelt zu werden?

Vereinzelte Ärzte, zum Beispiel Dr. Sanders in Langen, nehmen noch Patienten auf. Aber noch mal: Zu der Situation, wie sie jetzt eintritt, hätte es nicht kommen müssen. Die Kassenärztliche Vereinigung hat einen Versorgungsauftrag, die Krankenkasse ist für ihre Mitglieder zuständig. Beide haben rein gar nichts gemacht, um das Problem zu lösen. Im Gegenteil.

Wenn Sie einen Wunsch frei hätten an die Verantwortlichen in der Gesundheitspolitik – wie würde der lauten?

Der ambulanten Medizin mehr Freiräume zuzugestehen und die Bürokratie auf ein Minimum abzubauen. Dadurch würden sich auch hohe Einsparpotenziale ergeben. (Frank Mahn)

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