Polizeitrick durchschaut: Angeklagter selbst Opfer?

Vor dem Amtsgericht Langen kommt ein 29-Jähriger mit einem blauen Auge davon. Möglicherweise hat er den Betrug an einem Buchschlager nicht bewusst begangen.
Dreieich/Langen – Ein kurioser Fall eines „Polizeitricks“ wurde jetzt vor dem Amtsgericht Langen verhandelt. Am 2. Oktober 2018 erhielt ein 69-jähriger Dreieicher einen Anruf, in dem ihm ein angeblicher Bank-Mitarbeiter mitteilte, er müsse sein „Schließfach verlängern“. Der Geschäftsführer schöpfte sofort Verdacht, dass er es mit einem Betrüger zu tun haben könnte. Zum Schein ließ er sich auf weitere Telefonate und Forderungen ein. Als ein Unbekannter acht Stunden später klingelte, um den wertvollen Inhalt des Schließfachs abzuholen, klickten die Handschellen.
Dieser Mann aus dem westfälischen Gladbeck sitzt nun bei Richter Volker Horn auf der Anklagebank und erklärt seine Version des Geschehens. „Ich war arbeitslos und hatte Mietschulden. Ich brauchte dringend Geld. In einem Café lernte ich einen Mann kennen, der sich Marlik nannte und mir einen Montage-Job anbot“, erklärt der 29-jährige Schreiner. Nach ein paar Wochen ist es so weit: „Marlik“ und eine weitere Person fahren mit dem Gladbecker nach Dreieich, wo seine neue Arbeitsstelle sein soll. Sie setzen ihn in Buchschlag ab, er soll Schlüssel und Unterlagen in einer Tasche abholen. Dort erwartet ihn allerdings nicht der ersehnte Ausweg aus der finanziellen Schieflage, sondern die Polizei.
In der Verhandlung dreht sich alles um die entscheidende Frage: Hat der Gladbecker gewusst, dass er in ein Betrugsdelikt verwickelt wurde? „Wie wirkte der Angeklagte bei der Festnahme? War er überrascht?“, will Horn vom Hauptermittler des Betrugskommissariats Offenbach wissen. „Das kann ich nicht sagen, ich war nicht dabei. Bei der Vernehmung hat er eher einen weinerlichen Eindruck gemacht“, so der 56-jährige Polizist. Die Botengänger seien stets die kleinsten Lichter in der Betrugskette und nicht immer Teil der Bande. Manchmal würden die Gangster sogar offizielle Kurierdienste damit beauftragen.
Polizeitrick in Dreieich: „Mir war sofort klar, da stimmt was nicht“
Das geplante Opfer der Geschichte kann da auch nicht weiterhelfen. Der Buchschlager ist sich aber sicher, dass die Stimmen der verschiedenen Anrufer nicht die des Angeklagten waren. Und so erinnert sich der 69-Jährige an den Tag: „Um circa 12 Uhr klingelte es zum ersten Mal. ,Hier ist Ihre Sparkasse, Sie müssen Ihr Schließfach verlängern.’ Mir war sofort klar, da stimmt was nicht. Ich habe kein Schließfach dort und die rufen auch nicht unter unbekannter Nummer an.“ Dann seien im Minutentakt weitere Anrufe gekommen. Hauptsächlich von einem „Hauptkommissar Jansen“, der behauptete, man sei auf der Spur eines Bankmitarbeiters, der Kunden bestehlen wolle. Deshalb müsse er sofort sein Schließfach räumen. „Er wollte genau wissen, was da drin ist. Da hab’ ich einfach was erfunden.“ Der Zeuge führt 500 000 Euro Bargeld, acht Rolex-Uhren, Schmuck und Papiere an. „Packen Sie alles in einen Beutel, es kommt jemand und bringt den in Sicherheit. Sie dürfen aber mit niemandem darüber sprechen!“
Das hat der Senior allerdings nicht gemacht, sondern schon nach dem ersten Anruf die Polizei verständigt. Die rückt mit einem Team an und nimmt den Mann fest, als er klingelt. Die Hintermänner konnten jedoch nicht ermittelt werden.
Vorsatz oder Unwissenheit? „Es gibt Indizien in beide Richtungen. Die Aussage des Angeklagten ist nicht unglaubwürdig und nach der Festnahme gab es auch keine Kontaktaufnahme mehr mit den Hintermännern“, konstatiert Horn. Er schlägt die Einstellung des Verfahrens vor, Staatsanwalt und Verteidigerin sind einverstanden. Als Auflage muss der Gladbecker 250 Euro an das Kinderhospiz in Wiesbaden zahlen. (Von Silke Gelhausen)