„WhatsApp, Instagram & Snapchat – was geht Schule das an?“

Dreieich – Chatten, zocken, liken – das Smartphone spielt für Kinder und Jugendliche eine große Rolle. Wie Lehrer mit der Handynutzung ihrer Schüler souverän umgehen, hat Sozialpädagoge Moritz Becker im Medienzentrum Offenbach erklärt. Sein Ansatz: nicht verteufeln, sondern verstehen, was dahinter steckt. Von Julia Radgen
Morgens hat Lisa schlechte Laune – und stellt bei WhatsApp ein Profilbild ein, auf dem sie traurig in die Kamera blickt. Prompt schreiben sie ihre Freunde an und wollen wissen, ob es ihr gut geht. Nachmittags hat sich Lisas Laune gebessert, sie tauscht ihr Bild gegen ein lächelndes aus – und bekommt Komplimente. Siebtklässler wechseln oft mehrmals täglich ihre Profilbilder in Messengern, weiß Moritz Becker. Eben, weil sie für so ein klitzekleines Profilbild viel Anerkennung bekommen. „Überlegen Sie mal, wie oft Erwachsene ihr Profilbild wechseln. Die fragen Sie dann: Wie, das geht?“, witzelt Becker und erheitert die gut 120 Referendare und Junglehrer im Medienzentrum Offenbach in Sprendlingen.
Sein Seminar „WhatsApp, Instagram & Snapchat – was geht Schule das an?“ in der Aula des Medienzentrums auf dem HLL-Campus hat nichts von einer trockenen Fortbildung, erinnert eher an die Bühnenauftritte von „Lebenscoaches“, wie man sie aus den USA kennt. Becker, der für Smiley – einen Verein zur Förderung der Medienkompetenz aus Hannover – arbeitet, redet charismatisch und pointiert. Er spickt seine Ausführungen immer wieder mit Anekdoten aus seinem (Arbeits)Alltag oder zitiert Schüler. Er verzichtet auch auf eine Powerpoint-Präsentation und stellt anfangs klar: „Was ich Ihnen hier sage, basiert nicht auf Studien, sondern auf Erfahrung.“
Matthias Demeter, Leiter des Medienzentrums, betont, dass Referendare viele Fragen rund um das Thema Mediennutzung und -erziehung ihrer Schüler haben und sich so ein Seminar wünschen. Von den vielen Anmeldungen war er überrascht, doch das zeige die Relevanz des Themas. „Wir wollen hier die ganzheitliche Lehrerausbildung unterstützen“, sagt Demeter zum Kurs, den auch Schulamtsleiterin Susanne Meißner und Ausbilderinnen des Studienseminars verfolgen.
Die 120 Junglehrer im Saal hängen an Beckers Lippen, finden sich offensichtlich wieder in dem, was er sagt. Der Sozialarbeiter und -pädagoge, Jahrgang 77, arbeitet mit Klassen und ergründet mit ihnen ihre Mediennutzung. Aber er berät eben auch Lehrer und Eltern zum Thema. Denn die Folgen der massiven Handynutzung der Schüler betreffen auch den Schulalltag. Becker geht es darum, dass die Erwachsenen nachvollziehen, warum Jugendlichen ihr Smartphone und die sozialen Netzwerke so wichtig sind. Dazu sagt der Referent: „Die Jugendlichen suchen online nach Anerkennung, wenn sie die nicht bekommen, ist Aufmerksamkeit der Plan B.“ Er vergleicht das mit einem Schüler, der solange mit seinem Stuhl wippt, bis er damit umfällt. Die Bedürfnisse von Schülern sind heute dieselben, sie haben sich nur verlagert, lautet Beckers Theorie.
Und Pubertierende streben nach Anerkennung, weiß der Vater zweiter Teenager-Töchter. Die suchen sie nicht nur in Elternhaus, Sportverein oder Schule – sondern auch im Netz. Das klinge nach Küchenpsychologie, gibt Becker zu, sei aber so. „Pubertät 4.0 bedeutet, im Internet Bestätigung zu bekommen. Die sozialen Netzwerke funktionieren über soziale Anerkennung.“ Der Dozent scheut sich nicht, die Schattenseiten des Systems aufzuzeigen. „Beliebtheit spiegelt sich in Likes wieder“, stellt er klar. Während ein beliebtes Mädchen für ihr Foto bei Instagram Komplimente bekommt, erntet ihre unbeliebte Klassenkameradin für ihr Bild mit identischer Pose Spott und Beleidigungen. Einer seiner Schützlinge habe ihm mal gesagt, ein Mitschüler sei „so egal, der wird nicht mal gemoppt“. Das gehe schon im Grundschulbereich los. „Mein Traum ist, dass im Internet die gleichen Regeln gelten wie im echten Leben“, sagt der Sozialpädagoge.
Aber auch Datensicherheit ist ein Thema. Becker meint: Die Jugendlichen wissen sehr genau, was die Gefahren eines öffentlichen Accounts sind. Die meisten sagen aber: „Wir wollen Likes“. Und die kriegen die Schüler eben nur, wenn sie ihre Konten für mehr Nutzer als nur ihre Freunde freigeben. Becker rät Lehrern deshalb dazu, in den Klassen „nicht über Datenschutz zu referieren, sondern zu diskutieren“. Es gebe viele Gründe für die exzessive Nutzung von Social Media durch Jugendliche, oft führten sie aber wieder zurück zu mangelnder Aufmerksamkeit oder Anerkennung.
Kinder so lange wie möglich von der Technologie fernzuhalten hält der Experte für kontraproduktiv. Er habe schon mitbekommen, dass in einer siebten Klasse Enthauptungsvideos über Chatgruppen verbreitet werden, nennt Becker einen krassen Fall. „Doch WhatsApp ist nichts anderes als ein Blatt Papier – man kann darauf einen Drohbrief oder einen Liebesbrief schreiben.“ Ein gesundes Heranführen an das Smartphone und soziale Netzwerke sei besser als die Strategie „so spät wie möglich“, findet Becker. Denn die Bildschirmmedien gehören nicht nur zum privaten Alltag der Schüler, sondern finden spätestens in der weiterführenden Schule oft im Unterricht Platz. Und wenn sie vorher ignoriert wurden, gebe es dann erst recht Probleme. Becker glaubt deshalb nicht an eine Altersgrenze, sondern plädiert dafür: „Ein Kind ist dann bereit für das erste Smartphone, wenn es damit umgehen kann.“