Vor 50 Jahren eröffnete das Ehepaar Povigna das italienische Eiscafé in Dreieichenhain

Kaum zeigen sich die ersten Sonnenstrahlen, herrscht in der Fahrgasse in Dreieichenhain Hochbetrieb. Die Schlange vor dem Eisfenster des Cafés Altstadt ist lang. Kinder, Familien, Rentner, Fahrräder und Kinderwagen haben den Platz vor dem Fachwerkhaus erobert.
Dreieichenhain – Hier trifft man sich, nicht nur um Eis zu genießen, auch um Freunde zu treffen und Neuigkeiten zu erfahren – und das schon seit einem halben Jahrhundert.
Man kann mit gutem Recht von einer Dreieichenhainer Institution sprechen: Vor genau 50 Jahren an Pfingsten eröffnete Tarcisio Povigna zusammen mit seiner Frau Ingrid das Café St. Bernhard, den ersten Eisladen in der Altstadt von Dreieichenhain. Der Zeitpunkt war gut gewählt, denn traditionell findet an Pfingsten die Haaner Kerb statt, die schon immer zahlreiche Menschen nach Dreieichenhain lockte.
Zur Eröffnung war das Café St. Bernhard, dessen Name auf eine Quelle in der Nähe von Povignas ligurischem Heimatort zurückgeht, noch eher provisorisch ausgestattet. Doch das schien die Gäste nicht zu stören. Schnell fanden das hausgemachte Eis und das Angebot an Kuchen und Torten großen Anklang. „Wir haben von Anfang an nicht nur auf Eis gesetzt, der Erfolg gab uns recht“, erzählt der heute 77-jährige Tarcisio Povigna. Zu Beginn waren es übrigens sechs Eissorten. Die Zahl kletterte über die Jahre auf mehr als 30. „Man muss mit der Zeit gehen. Ich persönlich stehe eher auf die klassischen Sorten wie Schokolade und Zitrone“, betont er. Gar nicht vorstellen konnte sich Povigna früher, dass Spaghetti-Eis einmal ein solcher Renner werden sollte. „Heute ist es gar nicht mehr wegzudenken.“
Das Ehepaar erinnert sich noch gut an die Schwierigkeiten, die die Pläne, in der Altstadt ein italienisches Café zu eröffnen, begleiteten. Die Proteste der Nachbarn reichten sogar bis zu Unterschriftslisten, mit denen sie gegen das Vorhaben demonstrierten. Doch davon ließen sich der Italiener und seine deutsche Frau, die beide nebenbei noch in Frankfurt arbeiteten, nicht abschrecken.
Mit viel Liebe zum Detail und ganzem Körpereinsatz sanierte Tarcisio Povigna zusammen mit wenigen Handwerkern das alte Fachwerkhaus. Dabei erlebten sie so manche Überraschung, die Bauherren von heute bekannt vorkommen dürfte. Die Mühe lohnte sich. Aus dem alten Gebäude wurde ein Schmuckstück.
Mit der Eröffnung kamen die Gäste, und mit der Zeit wich die anfängliche Skepsis der Nachbarschaft einem herzlichen Miteinander. Aus Tarcisio Povigna wurde „Eis-Toni“ und das Café St. Bernhard wurde schnell zum Treffpunkt in der Altstadt. Hier wurde politisch diskutiert, hier gründeten sich politische Ortsverbände und es entstand die Hainer Initiative, die sich vehement für den Erhalt der Altstadt einsetzte. Noch heute erinnert sich Tarcisio Povigna gerne an sein „Kind“ und ist stolz auf das Ergebnis der Bemühungen: Die Hainer Initiative habe sicherlich dazu beigetragen, dass die Altstadt von Dreieichenhain heute etwas Besonderes ist.
Im Laufe der Zeit entstanden viele Freundschaften zwischen den Besitzern und den Gästen, die teilweise noch bis heute bestehen. Mit seinen 50 Jahren blickt das Café auf eine lange und spannende Geschichte zurück, die viel mit der Entwicklung der Dreieichenhainer Altstadt gemeinsam hat. Tarcisio und Ingrid Povigna: „Wir können viele Geschichten erzählen, die es alle lohnt, aufzuschreiben.“
Mittlerweile sind die beiden Gründer nur noch Gäste im Café. 2002 haben sie sich aus dem Geschäft zurückgezogen. Nach der Familie Colusso übernahm 2016 Paulo Spezzano. Povigna und seine Frau freuen sich, dass ihr Café mit seiner ereignisreichen Geschichte weiterhin in guten Händen ist – auch unter neuem Namen. Sie hoffen, dass das Café Altstadt als Eisdiele mit einer großen Auswahl an Kuchen und Torten noch lange ein beliebter Treffpunkt in der Altstadt bleiben wird. Die aktuell langen Schlangen vor dem Eisfenster sprechen dafür, dass sich daran nichts ändern wird.
hok