Knackpunkte Geld und Personal

Der Vorschlag liefert jede Menge Diskussionsstoff. Verena Bentele, Präsidentin des VdK Deutschland, fordert – vergleichbar zu den Kitaplätzen – einen Rechtsanspruch auf Tagespflege für Senioren. Die Entlastung pflegender Angehöriger könne, neben weiteren Vorteilen, auch dem Fachkräftemangel entgegenwirken, meint die Chefin des Sozialverbands. 2,2 Millionen pflegende Angehörige arbeiten laut Bentele nicht oder nur in Teilzeit. Die Redaktion hat sich bei Fachleuten in Dreieich umgehört.
Gabriele Roettger findet die Forderung gesamtgesellschaftlich gesehen gut: „Es wäre eine erhebliche Entlastung für pflegende Angehörige, aber solch eine gesetzliche Regelung muss finanziert werden. Da bleibt die Frage im Raum, was es uns als Gesellschaft wert ist, die alten Menschen gut betreut zu wissen“, sagt die Leiterin des Johanniter-Hauses Dietrichsroth in Dreieichenhain. Um eine flächendeckende Betreuung zu gewährleisten, brauche es ausreichend Personal. Das sei jetzt schon schwierig zu akquirieren. Roettger ist sich sicher, dass viele Familien das Angebot nutzen würden. „Die Nachfrage nach Tagespflege bei uns ist jetzt schon immens. Wir haben 20 Plätze, die komplett besetzt sind. Und wir haben eine lange Warteliste nur mit Menschen aus Dreieich. Die hohe Nachfrage aus den umliegenden Orten können wir gar nicht bedienen.“ Die Tagespflege ist nach ihren Erfahrungen für viele eine Art Einstieg beim Warten auf einen stationären Platz. So können sich die alten Menschen schon mal an das Haus gewöhnen.
Klientel hat sich gewandelt
Das Klientel in der Tagespflege habe sich in den vergangenen Jahren gewandelt. Waren es früher oft noch relativ fitte Senioren, die der Einsamkeit zu Hause über den Tag entfliehen wollten und Unterstützung bei der Versorgung mit Mittagessen begrüßten, sind es heute meist Menschen mit demenziellen Erkrankungen, die in der Tagespflege betreut werden, schildert Roettger. Politischen Handlungsbedarf sieht die Leiterin definitiv: „Seit Jahrzehnten wird uns der demografische Wandel vorausgesagt. Er ist längst angekommen. Aber alle Angebote, die wir an stationären Plätzen, Tagespflege und auch betreutem Wohnen vorhalten, reichen kaum noch aus und sind mit Wartezeiten verbunden.“
Jana Kirchner, Leiterin des Kursana Domizils in Sprendlingen, ist skeptisch, was den Rechtsanspruch auf Tagespflege betrifft: „Es wäre eine noch viel extremere Diskrepanz, wie wir sie jetzt bei den Kindertagesstätten haben. Es würden immens viele Plätze fehlen, die so schnell nicht zu schaffen sind. So viel Personal gibt es nicht und auch die Finanzierung wäre schwierig.“ Die Fachfrau ist sich auch nicht sicher, wie groß der Bedarf ist. „Was in meinen Augen fehlt, ist eine umfassende Beratung von Senioren und deren Angehörigen, wie groß das Angebot in der Altenpflege inzwischen ist. Das fällt mir in vielen Beratungen auf, die ich habe“, so Kirchner.
Kapazität nahezu ausgeschöpft
Das Kursana Domizil hat keine Tagespflegeplätze, aber die stationäre Kapazität ist nahezu ausgeschöpft. „Derzeit gibt es vier freie Zimmer, aber zwei sind schon in der Warteschleife und auch die anderen beiden werden schnell wieder belegt sein“, so die Kursana-Chefin.
Ceynep Kantar, stellvertretende Sozialdienstleitung im Haus Ulmenhof in Sprendlingen, findet den Bentele-Vorschlag gut. Insbesondere für Senioren, die eben noch nicht in die stationäre Pflege müssen, sei die Tagespflege eine Option. „Wir haben im Ulmenhof keine Tagespflege, aber wir haben immer alle stationären Plätze besetzt – der Bedarf an Pflege ist groß. Die Herausforderungen bei der Umsetzbarkeit eines solchen Rechtsanspruchs sind der Mangel an Personal und die Frage der Finanzierung.“
„Die Idee klingt erst mal toll, aber ob sie durchzusetzen ist, steht auf einem anderen Blatt“, sagt Jutta Schiefer, Vorsitzende des Sprendlinger VdK-Ortsverbands. Auf jeden Fall seien da dicke Bretter zu bohren. Auch Schiefer sieht in der notwendigen Finanzierung einen ausschlaggebenden Punkt. Zudem fehle in den Seniorenheimen ja jetzt schon oft Personal, gibt sie zu bedenken.
Schiefer hat sich überlegt, Benteles Vorschlag beim nächsten Info-Café des Ortsverbandes am Samstag, 4. März, zur Diskussion zu stellen. „Ich bin gespannt, wie dort die Meinungen sind.“ Sie hofft, dass auch einige kommen, die selbst Angehörige pflegen und über ihre Erfahrungen sprechen. Das Info-Café öffnet um 15 Uhr im Awo-Haus der Begegnung in der Eisenbahnstraße 9.
Von Nicole Jost Und Frank Mahn