Ehemaliges Pfarrerehepaar aus Dreieichenhain lebt seit neun Jahren in Chile

Mit großem Bedauern hat die Burgkirchengemeinde Dreieichenhain Johannes Merkel und Nicole Oehler im Jahr 2014 nach Chile ziehen lassen. Das Paar, das seit 2008 beziehungsweise 2010 in Dreieichenhain zu Hause war, erfüllte sich seinen Traum, über einen längeren Zeitraum in Südamerika zu leben. Jetzt sind es fast neun Jahre, die das Pfarrerehepaar mit seinen beiden Kindern in Chiles Hauptstadt Santiago wirkt.
Dreieich - Pünktlich zu Weihnachten erzählt Johannes Merkel vom Leben in der Millionenstadt, der etwas anderen Art, Glauben zu leben, und was es bedeutet, bei hochsommerlichen Temperaturen Weihnachtslieder zu singen.
Ehefrau Nicole ist gerade mit den Kindern bei einem Sozialprojekt der evangelischen Auslandsgemeinde, bei dem 300 Kinder in einem Armenviertel unterrichtet werden, als Merkel gut gelaunt über das Telefon bei 35 Grad vom anderen Ende der Welt grüßt. Er und seine Frau teilen sich eine Stelle – eine bewusste Entscheidung. Mit dem Verzicht auf Einkommen bleibt mehr Zeit für die Familie, was Johannes Merkel als sehr schön beschreibt, gerade als die Kinder klein waren. Für die rund 300 Mitglieder zählende Gemeinde gibt es keine Pfarrsekretärin und keinen Küster. Gerade steckt das Paar in den letzten Vorbereitungen für Weihnachten. „Die Advents- und Weihnachtszeit ist hier etwas völlig anderes. Man trifft sich nicht bei Glühwein in dicken Sachen. Hier ist es Tradition, nach dem Gottesdienst am ersten Advent mit kurzen Hosen gemeinsam am Grill zu stehen“, erklärt der Pfarrer. Die Gemeinde im Nordosten von Santiago freut sich mit rund vier Stunden Zeitverschiebung heute auch auf einen festlichen Gottesdienst mit Krippenspiel und die Weihnachtsverkündigung.
Der eigentliche Gottesdienst an Heiligabend ist sehr ähnlich mit Bibeltexten und Liedern. „Mit dem Unterschied, dass die Kinder beim Krippenspiel barfuß sind und die Gemeinde lacht, wenn es bei den Hirten heißt, wie kalt es ist. Dieses Jahr haben wir besonders heiße Temperaturen, die eigentlich erst für den Januar und Februar üblich sind“, berichtet Merkel. Insgesamt ist Weihnachten in Chile gefühlt weniger getragen, bedächtig und von weniger innerer Einkehr geprägt als in der deutschen Heimat: „Die Lieder und ihre Melodien sind sehr fröhlich, die Weihnachtsfreude über die Geburt Jesu ist spürbar und das passt natürlich zu der ausgelassenen Sommerstimmung. Unsere Weihnachts-Familientradition ist es, nach getaner Arbeit, also nach den Gottesdiensten, mit der Familie im Garten zu tanzen“, erzählt der Pfarrer.
Apropos Garten: Das Grundstück am Pfarrhaus war wohl die größte Überraschung bei der Ankunft im Sommer 2014: „Wir haben Avocados, Aprikosen und können alles reif vom Baum ernten“, sagt der Pastor. Insgesamt liegt das Weihnachtsfest in einer eher hektischen Zeit in Chile. Die Familien kehren nach dem 25. Dezember sofort in ihren Alltag zurück. Es gibt kein ruhiges zwischen den Jahren im Kreis der Familie: „Das liegt daran, dass hier im Januar und Februar Sommerpause ist und es davor viel zu tun gibt.“ Die Menschen beschreibt Johannes Merkel in Südamerika als entspannter im Vergleich zum hektischen Rhein-Main-Gebiet. Auch dem Glauben wird mehr zugetraut. „Es kommt vor, dass es an der Haustür klingelt und jemand sagt, er brauche jetzt mal ein Wunder. Oder es klingelt mitten in der Nacht das Telefon. Und mir wird von einem Gemeindemitglied erzählt: Es ist das und das passiert und ihr müsst jetzt mal für uns beten. Das sind besondere, ans Herz gehende Momente“, so der Pfarrer.
Insgesamt sind die südamerikanischen Menschen weniger lamentierend und besorgt. Das Glas ist meist halb voll, die Chilenen sind flexibel und spontan. Diese Lebensart birgt auch Ungewohntes, an das sich die Familie erst gewöhnen musste: „Um ein weihnachtliches Beispiel zu nennen: Oft wissen wir erst am 23. Dezember, ob wir einen echten Weihnachtsbaum für die Gemeinde bekommen und wer ihn liefert. Mit der Zeit habe ich gelernt, die Zuversicht zu besitzen, dass am Ende alles gut gehen wird“, sagt der Pfarrer lachend. Auch eine festgelegte Sitzung scheitert schon mal, weil Santiago gefühlt immer kurz vor dem Verkehrskollaps steht. Andererseits ist die Familie Merkel/Oehler trotz des Großstadtdschungels der Natur nahe. Schon direkt vor dem Pfarrhaus kann die Wanderung beginnen. Es ist nicht weit in die Anden und nicht weit bis ans Meer – das wird rege genutzt. Für die Familie war es im Rückblick die richtige Entscheidung, die Stelle im weit entfernten Chile anzunehmen. „Aber wäre es nicht Santiago gewesen, wären wir nicht aus Dreieichenhain weggegangen“, betont Johannes Merkel. Bis heute haben sie Verbindungen nach Dreieich. Eine töpferne Burgkirche, ein Abschiedsgeschenk, steht im Wohnzimmer. „Es war für uns beide die erste Stelle, unsere Kinder sind dort die ersten Schritte gelaufen. Das bleibt uns für immer. Wir erzählen noch oft von der Burgkirche, von Pfingsten und der Kerb. Dreieichenhain hat Spuren hinterlassen.“
Den Überraschungsbesuch zum Jubiläumsgottesdienst zum 300. Kirchengeburtstag hat Merkel noch in guter Erinnerung: „Das hat so viel Spaß bereitet.“ Jetzt bricht das letzte Weihnachtsfest in Santiago für das Pfarrerpaar an. Nach neun Jahren ist die maximale Aufenthaltsdauer für eine Pfarrstelle im Ausland erreicht. Im Juli fliegt die Familie nach Deutschland zurück – dann geht es auf zu neuen Abenteuern, diesmal in Wiesbaden.
Von Nicole Jost

