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Tanzlokal, Szene-Kneipe, Restaurant: Ein Stück Kulturgeschichte verschwindet

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Von: Frank Mahn

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Musikboxen, Geldspielautomaten, Flipper und andere Unterhaltungsgeräte vertrieben Friedrich W. Jost (rechts) und sein Bruder Georg Heinrich Jost (links daneben). Das Foto wurde im Gründungsjahr der Firma 1951 gemacht.
Musikboxen, Geldspielautomaten, Flipper und andere Unterhaltungsgeräte vertrieben Friedrich W. Jost (rechts) und sein Bruder Georg Heinrich Jost (links daneben) in Dreieich. Das Foto wurde im Gründungsjahr der Firma 1951 gemacht. © Privat

Das Gebäude in der Birkenau ist längst ein Stück Kulturgeschichte in Dreieich: Ein Tanzlokal, eine Kult-Kneipe und Restaurants haben über Jahrzehnte zahlreiche Gäste angezogen. Nun ist das Ende absehbar.

Dreieich – Der Betrieb läuft schon seit Monaten nur auf Sparflamme. Notgedrungen, wegen Corona. Im Cavalo Negro im Dreieicher Stadtteil Offenthal können Liebhaber spanischer und portugiesischer Spezialitäten nur Freitag-, Samstag- und Sonntagabend Speisen zum Abholen bestellen. In einem guten halben Jahr wird sich auch das erledigt haben. Ebenfalls notgedrungen. Der Pachtvertrag von Wirt Rui Emanuel Da Costa Alves läuft im September aus, der langjährige Eigentümer Heinz-Fred Jost hat das Grundstück in der Birkenau verkauft.

Erworben hat es die Firma Salco aus Langen, die – nach dem Abriss des in auffälligem Gelb gestrichenen Gebäudekomplexes – Wohnungen bauen wird.

Gastro-Szene in Offenthal blutet seit Jahren aus

Für die seit Jahren ausblutende Offenthaler Gastroszene ist dies ein weiterer Schlag ins Kontor. Im „Schwarzen Pferd“ werden seit 2007 Speisen serviert, seit 2016 führt Rui Emanuel Da Costa Alves mit seiner Familie das Lokal mit der ruhmreichen Vergangenheit. Wie es nach dem September für ihn weitergeht, vermag der Wirt nicht zu sagen. Natürlich würde er gerne als Gastronom weitermachen und hält Ausschau nach geeigneten Lokalitäten vorzugsweise in Dreieich. Bislang hat er nichts gefunden. Andererseits ist die Lage der Branche durch die Pandemie extrem schwierig. „Es weiß ja kein Mensch, was noch passiert“, sagt Da Costa Alves. Im schlimmsten Fall gebe es im Herbst noch eine Corona-Welle. Sich vor diesem Hintergrund eine neue Existenz aufzubauen ist ein Schritt mit vielen Unbekannten.

Seit 1952 wurde hier getanzt, gegessen und getrunken. Ende dieses oder Anfang nächsten Jahres will die Firma Salco den Gebäudekomplex abreißen.
Seit 1952 wurde hier getanzt, gegessen und getrunken. Ende dieses oder Anfang nächsten Jahres will die Firma Salco den Gebäudekomplex abreißen. © strohfeldt

Der Schwerpunkt der Firma Salco liegt auf dem Geschosswohnungsbau. Den favorisiert die Gesellschaft auch für das Projekt in Offenthal. Man sei aber noch in einer „sehr frühen Planungsphase“, sagt Geschäftsführer Adrian Khalifé und berichtet von Abstimmungsgesprächen mit Stadt und Kreis. Fakt ist: Für das Gebiet existiert kein Bebauungsplan. Die Aufstellung eines solchen hat die Stadt nach Khalifés Worten abgelehnt. Das bedeutet: Die künftige Bebauung richtet sich nach Paragraf 34 – soll sich also an der nachbarschaftlichen Umgebung orientieren.

Abriss der Gaststätte geplant – Mieter müssen zum Jahresende ausziehen

Der Abriss sei frühestens Ende des Jahres denkbar, sagt Adrian Khalifé. Bis dahin, so hofft er, haben sich auch Lösungen für die Mieter gefunden, die über und neben der Gaststätte wohnen. „Wir setzen niemanden auf die Straße“, versichert der Geschäftsführer. Mit den Mietern sei man in Kontakt.

Zur insgesamt etwa 4 200 Quadratmeter großen Liegenschaft gehört im Übrigen auch die bislang als Parkplatz genutzte Fläche auf der anderen Seite der Straße. Dort möchte Salco laut Khalifé ein „schickes Mehrfamilienhaus“ mit einer Mischung aus Eigentums- und Mietwohnungen bauen.

Mit Abriss schwindet ein Stück Kulturgeschichte in Offenthal

Nun ist es an der Zeit für einen kleinen Streifzug durch die Vergangenheit. Mit dem Abriss verschwindet auch ein Stück Kulturgeschichte des Stadtteils. Man schrieb den 19. Juli 1952, als in der Birkenau mit einem Sommerfest die Gaststätte „Zum Automaten-Jost“ eröffnet wurde. Es war die Zeit der Tanzlokale, in Offenthal trafen sich junge Leute aus der ganzen Region zum Schwofen. Noch heute schwärmen ältere Offenthaler von der Erdbeerbowle. Im Keller gab es eine Bar, in der es hoch herging.

Druckfehler gab’s auch früher schon: Es sollte natürlich Gaststätte heißen.
Druckfehler gab’s auch früher schon: Es sollte natürlich Gaststätte heißen. © Privat

Friedrich W. Jost hatte nach dem Krieg einen Automatengroßhandel aufgezogen und vertrieb Unterhaltungsgeräte. Die Monteure stellten Musikboxen, Flipper und andere Spielgeräte auf. In ihren Glanzzeiten hatte die Firma um die 20 Angestellte. In den achtziger Jahren ging der Betrieb in Konkurs. Es gab noch einige Nachfolgefirmen wie „Spiel mit“, aber irgendwann war ganz Schluss.

In der Birkenau befand sich eine Szene-Kniepe mit Hotel und Reitanlage

Anders verhielt es sich mit der Gastronomie. Aus „Zum Automaten-Jost“ wurde in den 60er Jahren der „Ponyhof“, ein Restaurant samt Hotel und Reitanlage. Später mauserte sich der Ponyhof zur Szene-Kneipe. Legendenstatus hat die Band „The Quixx“ der beiden damaligen Wirte Martin Isekeit und Matthias Lang.

Im Laufe der Jahre kamen und gingen die Pächter, Anfang der 2000er Jahre hieß die Kneipe dann mal „Schnitzelwirt“, ehe 2007 die portugiesisch-spanische Küche einzog. Im September geht der Herd endgültig aus, die Erinnerungen aber bleiben wach. (Von Frank Mahn)

Die Corona-Krise stellt seit Monaten Gastronomen in Dreieich vor Herausforderungen. Im Juni hatte sich in Dreieich die Initiative „Wir für Hier“ gegründet, die Unternehmen, Gastronomen und Einzelhändlern aus der Krise helfen will.

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