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Geschichte und Geschichten des Bürgerhauses Sprendlingen

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Von: Frank Mahn

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Meister seines Fachs: Mauro Tonini lässt die Polit-Prominenz in die Töpfe gucken (von rechts) Erich Scheid, Hans Salomon, Heiner Keim und Walter Schmitt.
Meister seines Fachs: Mauro Tonini lässt die Polit-Prominenz in die Töpfe gucken (von rechts) Erich Scheid, Hans Salomon, Heiner Keim und Walter Schmitt. © wenho

Zum Jubiläum „50 Jahre Bürgerhaus“ in Sprendlingen ist ein unterhaltsames und informatives Buch erschienen, das Geschichte und Geschichten Revue passieren lässt.

Dreieich – Der Spruch wird ihm sein Leben lang begleiten. „Mailand oder Madrid, Hauptsache Italien!“ Bevor Weltmeister Andy Möller 1992 nach Turin wechselt, spricht er diesen verhängnisvollen Satz in die Kamera. Und Fußball-Deutschland folgert: Die hellste Kerze auf der Torte ist da nicht gerade auf dem Absprung. Doch mit Vorurteilen sollte man ja vorsichtig sein.

Eintracht-Edelfan Henni Nachtsheim kann ein Lied davon singen. Er tut’s im „Gästebuch“, das anlässlich des 50-jährigen Bürgerhaus-Bestehens erschienen und dort für zehn Euro zu haben ist.

Irgendwann in den 90ern: Nach einem Anruf von Möller macht der Badesalz-Comedian 40 Freikarten klar für Mannschaft samt Anhang. Die Premiere von „Uffgeplugged“ ist seit Wochen ausverkauft. Nach dem Auftritt essen und trinken alle gemeinsam, bis sich die Starkicker langsam verkrümeln. Übrig bleiben: Henni und sein Kumpel Gerd Knebel – und die Rechnung über 985 Mark. Am nächsten Morgen ruft Nachtsheim immer noch fassungslos bei Möller an und fordert eine Erklärung für die Zechprellerei. „Ich glaube, das nennt man mannschaftliche Geschlossenheit“ – bei der Antwort bleibt selbst dem Komiker die Spucke weg.

Nicht nur ob dieser Anekdote ist das mehr als 200 Seiten dicke Werk eines, das viel Vergnügen beim Lesen bereitet – und beim Betrachten der zahlreichen Fotos, alten Zeitungsausschnitte und Illustrationen. Der langjährige FR-Redakteur Peter Holle, ein Sprendlinger Bub und federführend bei dem Projekt, erzählt die Entstehungsgeschichte des Bürgerhauses und stellt sie in den Kontext zur Entwicklung Sprendlingens. Aber das „Gästebuch“, betont er, sei ein Gemeinschaftswerk. Mit im Boot: Bürgerhauschef Benjamin Halberstadt, Veranstaltungsleiterin Maria Ochs und eine ganze Reihe von Gastautoren, in deren Leben das Haus eine besondere Rolle spielte. Nicht zu vergessen Wilhelm Schäfer, ehrenamtlicher Mitarbeiter des Stadtarchivs, der Originaldokumente und Akten zu Vor-, Bau- und Frühgeschichte aufspürt und zugänglich macht.

Die Idee, in Sprendlingen ein kulturelles und gesellschaftliches Zentrum etablieren zu wollen, stößt damals beileibe nicht nur auf Zustimmung. Im Gegenteil: Laut einer Studie der Uni Frankfurt votiert das Gros der Sprendlinger für ein Hallenbad, nur eine „Randgruppe“ favorisiert in der Wunsch-Rangliste den Bau eines Bürgerhauses. Die Gegner artikulieren ihre Ablehnung mit einem Transparent, das sie in einer Nacht-und-Nebel-Aktion kurz vor der Grundsteinlegung auf der Baustelle platzieren: „Hier baut sich die SPD ein Denkmal“ ist darauf zu lesen. Und von einem „Bürgerhaus ohne Geist“. Dabei hat die SPD das Projekt nicht allein auf den Weg gebracht. Der Beschluss der Stadtverordneten, datiert vom 27. April 1965, ist einstimmig getroffen worden.

Doch die Skeptiker sehen sich schnell eines Besseren belehrt. In der Eröffnungswoche werden um die 16 000 Besucher gezählt. Gustav Halberstadt, der sich auf den letzten Drücker beworben hat, entpuppt sich als Glücksfall für die Stadt, er macht das Haus zu einer der ersten Kulturadressen im Rhein-Main-Gebiet. TV- und Showgrößen wie Vico Torriani, Heidi Kabel, Marika Rökk, Zarah Leander und Blacky Fuchsberger geben sich die Klinke in die Hand. Quasi über Nacht wird Sprendlingen zur „Kulturhauptstadt“ der Region.

Der „fachfremde“ Halberstadt, er kommt aus der Gewerkschafterszene, hat nicht nur ein Händchen für die Prominenz aus dem Showbusiness. Er führt ein offenes Haus, in dem sich alsbald viele Vereine wohlfühlen. Sitzungen der Fastnachter, Asternfest der Fußballer, Bälle der Stenografen, des Tennisclubs und der Feuerwehr – es brummt. Und es dauert auch nicht lang, bis das Haus zu einem Epizentrum der Kunstszene wird.

Gustav Halberstadt ist auch jemand, der junge Menschen in ihrem Schaffensdrang fördert. So wie einen gewissen Alfred (Ali) Dietrich, der mit seinen Kumpels am Abend der großen Einweihungsfeier vor dem Eingang herumlungert. Die sechs Halbstarken in Parkas wollen sich nicht aussperren lassen – und den Honoratioren das Büfett streitig machen. „Es hieß ja schließlich allenthalben, das Bürgerhaus solle ein Ort für ALLE werden“, schreibt Dietrich im Buch. Weil die Kontrolleure am Einlass unerbittlich sind, soll ein Sitzstreik – „notfalls bis in alle Ewigkeit“ – den Widerstand brechen. Halberstadt ist es, der die verfahrene Situation auflöst: Die Jungs bekommen eine volle Stunde im Saal und dürfen so viel essen und trinken, wie reingeht. Danach Abmarsch. Es werden eineinhalb Stunden, zum Abschied bietet Halberstadt dem Wortführer der „Aufständischen“ das Du an und lädt ihn in sein Büro ein, denn Dietrich hat seine musikalischen Ambitionen geschildert. Aus dieser Karriere wird zwar nichts, aber dafür ist er später mit dem Koffertheater nicht nur in Dreieich erfolgreich.

Die Stadtoberen ziehen aber nicht nur mit Halberstadt das große Los. Mauro Tonini managt das Restaurant in einer Art und Weise, wie es nach ihm keinem Gastronomen mehr gelingt. Wer gerne gut und etwas raffiniertes isst, geht „zum Tonini“. Dort gibt’s – eine Sensation auf dem Land – gegrillte Seezunge mit gebratenem Ruccolasalat. Für 4,20 Mark. Der Wirt aus Italien bespielt auch noch die Keglerstube im Keller, in der es deftiger zugeht. Und in der zwei Kult-Kellner ihr charmantes Unwesen treiben: Mimoun und Nino. Nicht nur sie sind Legende, auch die berühmten „Lendchen à la Tonini“.

Von Frank Mahn

Trois Chefs: Gustav Halberstadt, Till Friedrich und Benjamin Halberstadt (von links) bei der Wachablösung 2000. Seit 2005 ist Halberstadt Junior Betriebsleiter.
Trois Chefs: Gustav Halberstadt, Till Friedrich und Benjamin Halberstadt (von links) bei der Wachablösung 2000. Seit 2005 ist Halberstadt Junior Betriebsleiter. © -
Gab sich 1974 die Ehre: Mario Adorf.
Gab sich 1974 die Ehre: Mario Adorf. © -
Bei der Grundsteinlegung am 3. Oktober 1970 ist „unser Sprendlinger Gut Stubb“, wie Bürgermeister Erich Scheid (Bild) das Bürgerhaus unter anderem nennt, noch von reichlich Walachei umgeben.
Bei der Grundsteinlegung am 3. Oktober 1970 ist „unser Sprendlinger Gut Stubb“, wie Bürgermeister Erich Scheid (Bild) das Bürgerhaus unter anderem nennt, noch von reichlich Walachei umgeben. © stadtarchiv/bürgerhausarchiv

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