Stute Petty macht Kinder glücklich

Dreieichenhain - Es sind Kleinigkeiten, die bei der Arbeit von Tanja Schmidkunz die großen Erfolge ausmachen. Ein schwerstbehinderter Junge, der lernt zu lachen. Ein Mädchen, das seine panischen Angstzustände ablegt. Ein verschlossener Autist, der aus sich herauskommt. Von Manuel Schubert
Für viele Kinder nichts Besonderes - für die Eltern von Schmidkunz’ jungen Patienten bedeutet das oft die Welt. Die 24-Jährige ist Reittherapeutin. Das ist ein Job, der einen nicht kalt lässt. „Sehr intensiv“ sei die Arbeit, sagt Schmidkunz. „Es ist schön zu sehen, wie man die Kinder mit so wenigen Mitteln so glücklich machen kann.“
Ein kalter Wind weht über den Dreieichhof in Dreieichenhain. Zwei Stallburschen mit Mistgabeln in der Hand grüßen freundlich, als Schmidkunz über das Grundstück läuft. Man kennt die junge Frau, seit vielen Jahren kommt sie auf das Gelände am Fischäcker, jeden Tag. Denn hier, im Stall von Landwirt Reiner Beck, wohnt Petty, ihre 19 Jahre alte Stute. Ohne das Pferd könnte Schmidkunz die Arbeit nicht machen, nicht das Leben einiger Kinder ein kleines Stück besser machen.
Insbesondere Pferde, hat die Dreieichenhainerin gemerkt, könnten einen ganz besonderen Kontakt zu Personen mit geistiger Behinderung herstellen. „Dazu sind Menschen gar nicht in der Lage“, führt sie weiter aus. Pferdebesitzerin ist Schmidkunz schon seit elf Jahren. Ihre Eltern hatten ihr damals die Oldenburger-Stute geschenkt, seitdem fuhren die beiden schon zusammen in den Urlaub, ritten an Nordseestränden entlang und spazierten durch den Bayerischen Wald, nur sie und ihre Petty.
Das Reiten war für Schmidkunz lange ein Hobby – bis sie 2013 ein achtwöchiges Praktikum in einem Wiesbadener Kinderhospiz machte. Dort besuchte ab und zu ein Therapiehund die jungen Krankenhausgäste. Schmidkunz war begeistert. „Tiere“, glaubt sie, „sind wie eine Art Türöffner.“ Also entschied sie, selbst unter die Therapeuten zu gehen. Die Dreieicherin absolviert momentan in Darmstadt eine Ausbildung zur Kinderkrankenschwester, aktuell ist sie im dritten Lehrjahr. Parallel dazu ließ sie sich 2015 an einem Dortmunder Institut zur Reittherapeutin fortbilden, wochenendweise ging es zusammen mit einer gleichgesinnten Freundin in den Ruhrpott. Seit November ist Schmidkunz nun zertifizierte Reittherapeutin, zum 1. Januar 2016 meldete sie ein Kleingewerbe an.
Reittherapie mit Herz heißt ihre kleine Firma, die bereits einige Klienten hat. Alle sind zwischen zwei und sechs Jahren alt. Die Therapiestunden gestalten sich, je nach Patient, total unterschiedlich: Manche Kinder brauchen es, einfach nur auf dem Pferd zu liegen und zur Ruhe zu kommen, andere lernen, beim Reiten Bälle zu werfen und zu fangen, andere dürfen Petty mit Fingerfarben bemalen. Sie passe sich ganz den Wünschen der Kinder an, sagt Schmidkunz. „Wenn sie eine halbe Stunde lang nur auf dem Pferd sitzen und erzählen wollen, dann machen wir das. Und wenn sie singen wollen, dann machen wir das auch.“
Die Klienten kommen mit den unterschiedlichsten Bedürfnissen zu ihr. Einige haben geistige oder körperliche Behinderungen, andere leiden unter psychischen Problemen oder Traumata, manche haben Probleme in den Bereichen Motorik oder Sprache. Wer zur Reittherapie komme, müsse aber nicht zwangsläufig krank sein, betont Schmidkunz. „Manche sind auch einfach sehr still oder haben wenig Selbstbewusstsein.“ Einmal kam etwa ein Mädchen zu ihr in die Therapie, das zwei schwerkranke Geschwister hat. Die kleine Patientin war äußerst zurückhaltend, litt unter extremer Angst. Anfangs traute sie sich kaum auf das Pferd, krallte sich krampfhaft an den Sattel. „Mittlerweile“, erzählt Schmidkunz, „werfen wir uns Bälle zu.“ Ans Festhalten denkt das Mädchen gar nicht mehr.
Und Stute Petty? „Sie ist eigentlich fast ein bisschen zu groß für ein Therapiepferd“, gibt Schmidkunz zu. „Aber vom Charakter her ist sie perfekt.“ Der pechschwarze Vierbeiner hatte überraschend wenig Probleme damit, sich auf die Arbeit mit den Kindern einzustellen. „Petty ist vollkommen entspannt, sie weiß, was sie tun soll“, sagt Schmidkunz. „Ich würde sogar sagen, dass sie sich jedes Mal drauf freut.“
Wenn Schmidkunz kommendes Jahr ihre Ausbildung beendet, wird sie den Job der Kinderkrankenschwester nicht an den Nagel hängen, sondern parallel zur Reittherapie betreiben. Ihr Wunsch ist es jedoch, irgendwann allein von der Arbeit mit dem Pferd leben zu können. Und einen großen Traum hat Schmidkunz auch: ein eigenes Therapiezentrum, mit mehreren Pferden, vielleicht auch einem Hund. Warum das Ganze? „Wenn man sieht, was die Kinder für Fortschritte machen und wie sehr das die Eltern freut“, sagt sie, „das macht einfach riesigen Spaß.“