Das Richtige tun in brenzligen Situationen

Wie verhalte ich mich richtig, wenn mich ein Fremder auf der Straße anspricht? Und kann ich meinen Großeltern eigentlich sagen, dass ich ihre Schlabberküsse gar nicht mag? Sich in diesen Situationen selbstbewusst auszudrücken, das bringt Holger Meier den Vorschulkindern der Kita Schulstraße in Dreieich bei.
Dreieich - Der pensionierte Kriminalhauptkommissar weiß aus 30-jähriger Berufserfahrung, wie oft unangenehme Situationen im Alltag auftreten – auch schon in jungen Jahren: „Das kann der Opa sein, der dem Enkel bei einem Besuch in den Po kneift, aber auch der neue Freund von Mama, der die Tochter beim ins Bett bringen zwischen den Beinen streichelt. Das Bewusstsein, dass mein Körper mir gehört, ist ganz wichtig.“ Aus seiner Tätigkeit beim Bundeskriminalamt berichtet er, dass die meisten Fälle von Missbrauch im Bekannten- und Freundeskreis begangen werden und nicht etwa von einem dunkel gekleideten Täter auf der Straße. Das Wörtchen „Nein“ sei daher das Zauberwort, das in diesem Umfeld oft schwer über die Lippen zu bringen ist.
Training für den Ernstfall
Um in diesen, aber auch anderen brenzligen Situationen die richtigen Worte zu finden, trainiert Meier drei Tage lang mit zwei Gruppen der Kinder den Ernstfall. „Selbstbehauptung und Selbstverteidigung werden dabei häufig in einen Topf geworfen, sind aber zwei unterschiedliche Dinge“, erklärt der ausgebildete Konfliktmanager. Mit einer aufrechten Körperhaltung fange alles an, denn die zeige bereits, ob eine Person unbewusst Opfersignale ausstrahlt. Eine alltägliche Übung soll dieses Gefühl schon trainieren, indem man sich vor einen Spiegel stellt und einfach großartig findet. Sofort springt die kleine Svea auf, stellt sich mit beiden Armen in die Hüfte gestemmt vor die Gruppe und sagt: „Ich bin Svea und ich fühle mich toll, wie ich bin.“ „Genau so muss es sein“, lobt Meier.
Dann geht es raus auf die Straße, um das richtige Verhalten gegenüber fremden Personen zu üben. Der ehemalige Polizeibeamte verkleidet sich mit einem Hut und kommt immer weiter auf die Kinder zu. „Da bekommt man schon ein mulmiges Gefühl“, stellt Karane fest. Dann holt Holger Meier auch noch einen Plastikregenwurm aus seiner Tasche und sagt: „Ihr kommt hier erst durch, wenn ihr diesen Regenwurm esst.“ Sofort wissen die Kinder, was zu tun ist, rufen „Ich mache da nicht mit“ und laufen weg. Diese Art von Mutprobe könnte auf allen Schulhöfen passieren und da müsse man einfach wissen, wie man adäquat antwortet, so Meier.
Tritt gegen das Schienenbein
Sich auch dann noch verteidigen zu können, wenn ein potenzieller Täter eines der Kinder mitnehmen möchte, hat die Gruppe ebenfalls gelernt. Erneut kommt der verkleidete Hauptkommissar auf Svea zu, packt sie am Arm und zieht sie zur Seite. Svea weiß genau, was zu tun ist, lässt sich auf den Boden fallen, tritt gegen Meiers Schienbein und ruft laut: „Lassen Sie mich los, ich will das nicht!“ Der Trainer merkt an, dass der Ausdruck „Sie“ hierbei besonders wichtig ist, denn er zeige, dass man die Person nicht kennt, was umstehende Passanten dazu auffordern sollte, zu intervenieren. Auch einen gezielten Verteidigungsschlag mit der Hand übt die Gruppe mit kleinen Brettern.
„Natürlich werden diese Fähigkeiten kaum gebraucht, denn solche Extremfälle passieren sehr selten. Ich möchte hier auch keine Panik machen, sondern nur auf die harte Realität hinweisen“, erklärt Meier. Die meisten Betroffenen von Mobbing seien nämlich überbehütete Kinder. „Da brauche ich auch im Anschluss die Eltern im Boot, die das angestoßene Training zu Hause immer wieder thematisieren und ihre Kinder mental stärken.“
Die Leiterin der Kita Schulstraße, Nadine Vogt, möchte dabei unterstützen und auch in Zukunft weiter am Ball bleiben: „Für den Übergang in die Schule ist es wichtig, dass die Kinder stark sind, Gefühle benennen können und sich auf dem Schulhof behaupten.“ Die Kurse würden daher nun immer wieder angeboten, damit alle Vorschulkinder von sich überzeugt sind und sagen können: „Ich schaffe das!“
Von Moritz Kegler