Spuren einer bekannten Bauhaus-Künstlerin führen nach Buchschlag

Alma Siedhoff-Buscher war eine der erfolgreichsten Bauhaus-Designerinnen, die die 1919 gegründete Kunstschule von Walter Gropius in Weimar, später in Dessau und Berlin, hervorgebracht hat. Ihr Schiffbauspiel aus dem Jahr 1923, das bis heute von einer Schweizer Firma vertrieben wird, ist das kommerziell erfolgreichste Produkt der Bauhaus-Ära. Die Künstlerin ist mit Buchschlag verbunden – wenn auch auf tragische Weise.
Dreieich - Ihre im gleichen Jahr entstehenden Wurfpuppen sind gar das einzige Bauhaus-Spielzeug, für das je ein Patent angemeldet wird. Dabei handelt es sich um Geschöpfe aus Rundstrick mit praktischem Holzkopf, die im Vergleich zu den damals üblichen Porzellankopfpuppen viel robuster sind.
Als die ARD 2019 anlässlich des 100. Bauhaus-Geburtstags „Lotte am Bauhaus“ ausstrahlt, wird die Sprendlingerin Ingrid Kiunke auf Alma Siedhoff-Buscher aufmerksam. Jene Lotte in dem Film beruht auf der Geschichte von Alma. Kiunke beginnt zu forschen und stößt auf spannende Verbindungen nach Dreieich. Die Künstlerin ist am 25. September 1944 bei einem Bombenangriff in Buchschlag im Keller des Hauses Zaunweg 12 ums Leben gekommen. Kiunke wendet sich an Frauenbeauftragte Karin Siegmann, die noch Sonja Arnold ins Boot holt.
Die Frauen besuchen im März die Alma-Siedhoff-Buscher-Ausstellung in Kreuztal bei Siegen, die Stadt, in der die Künstlerin 1899 geboren ist. Danach nimmt das engagierte Frauen-Trio eine intensive Recherche-Fahrt auf. Fahrt ist das richtige Wort, denn sie reißen etliche Kilometer runter. „Wenn wir und unsere Stadt mit so einer großen Frau – wenn auch auf tragische Weise – verbunden sind, dann sollten wir etwas daraus machen“, findet Ingrid Kiunke.
Schon jetzt sind die Ergebnisse unfassbar spannend: Durch den Anruf bei dem inzwischen 95 Jahre alten Sohn von Alma, Schauspieler Joost Siedhoff (er spielte den Sohn der „Hesselbachs“), erfahren die Dreieicherinnen Neuigkeiten: „Am Ende fragte ich eher beiläufig, wo seine Mutter begraben liegt“, erzählt Ingrid Kiunke, „wie aus der Pistole geschossen sagt er: in Buchschlag neben Mathilde Lejeune.“ Mathilde Lejeune ist das zweite Todesopfer, das der Bombenangriff in Buchschlag im September 1944 fordert. Lejeune ist die Enkelin des Buchschlag-Gründers Jakob Latscha. Ihr Grab ist ein Ehrengrab. Der Friedhofszweckverband bestätigt die Angaben von Joost Siedhoff und hat sogar einen alten Belegungsplan. „Die eigentliche Grabstelle ist abgeräumt, aber der Platz ist noch frei“, sagt Sonja Arnold. Das könnte noch bedeutsam werden.
Alma Buscher ist die Tochter eines Reichsbahnbeamten in Lichtenberg. Nachdem ihr älterer Bruder im Ersten Weltkrieg fällt, unterstützt der Vater die Ausbildung seiner Tochter. „Alma studiert an der renommierten Kunstschule Reimann in Berlin“, berichtet Sonja Arnold. 1922 nimmt sie das Studium am Bauhaus in Weimar auf. Die Design-Studentin weiß, was sie will. „Es gibt das schöne Zitat ,Ich habe nie Beziehung zum Faden gehabt’ aus einem Brief an Walter Gropius von ihr, als man sie in die Weberei setzte – sie durfte dann in die Holzwerkstatt“, erzählt Arnold. Eine gute Entscheidung, denn dort entstehen ihre berühmten Entwürfe.
Am Bauhaus lernt Alma Buscher den Tänzer und Schauspieler Werner Siedhoff kennen. 1926 heiraten sie, im gleichen Jahr kommt Sohn Joost auf die Welt. Gropius lehnt 1927 ihren Wunsch nach einem eigenen Atelier und einer Festanstellung ab. In Interviews spricht Joost Siedhoff darüber, dass seine Mutter später nie wieder als Designerin arbeitet, sie darunter leidet, unter den Nazis nicht mehr über ihre glückliche Bauhaus-Zeit reden zu dürfen. 1928 wird Tochter Lore geboren, es folgen viele Umzüge durch Engagements des Ehemanns. 1942 lebt die Familie in Frankfurt in der Corneliusstraße. „Mann und Sohn sind im Krieg, die Tochter auf einer Kinderlandverschickung im Allgäu. Alma arbeitet bei dem Buchschlager Paul Peter Beck in seiner Näherei in Frankfurt, der Militärkleidung herstellt“, erzählt Arnold. Als die Frankfurter Näherei in das Wohnhaus des Arbeitgebers umzieht, schreibt Alma ihrem Sohn, dass sie froh ist, dem Frankfurter Bombenhagel zu entkommen. Am 25. September 1944 zerreißt der Luftdruck einer amerikanischen Fliegerbombe ihre Hauptschlagader, wie die Sterbeurkunde belegt. Alma Siedhoff-Buscher wird 45 Jahre alt.
Ingrid Kiunke, Sonja Arnold und Karin Siegmann sind längst nicht fertig mit ihrer Forschung. Am 15. Juni treffen sie Joost Siedhoff in Potsdam. Außerdem besichtigen sie in den kommenden Tagen das schon 1945 neu gebaute Haus im Zaunweg. Sie haben mit dem Produzenten des ARD-Films gesprochen, mit Autoren über Alma Siedhoff-Buscher. Sie möchten, dass das Leben und die Geschichte der Bauhaus-Designerin in Dreieich sichtbar wird. Drei Ziele haben die Frauen: Wenn das Spiel von Alma Siedhoff-Buscher und die Wurfpuppe ihr 100-jähriges Jubiläum feiern, soll es in der Stadtgalerie im ersten Quartal 2023 eine Ausstellung geben. Darüber hinaus wünschen sie sich, dass der Vorplatz des Bahnhofs, der Wendehammer, wo Alma 1944 jeden Tag aus dem Zug von Frankfurt stieg und in den Zaunweg lief, nach ihr benannt wird. „Bislang gibt es nur zwei Straßen, die nach Alma benannt sind, eine in Berlin und eine in München“, weiß Karin Siegmann. Der dritte Wunsch wäre ein Ehrengrab auf dem Buchschlager Friedhof. Das bedarf allerdings noch etwas Arbeit und Anfragen an diverse Stellen.
Ingrid Kiunke, Sonja Arnold und Karin Siegmann wünschen sich Unterstützung: Wer kann sich erinnern, wie das Grab ausgesehen hat? Vielleicht gibt es alte Fotos? Wie war das Leben 1944 in Buchschlag? Gibt es jemanden, der etwas zu der Näherei sagen kann? Wer etwas beitragen möchte, kann sich per Mail an karin.siegmann@dreieich.de wenden.
Von Nicole Jost
