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Wie Biotest aus Dreieich mit seinen Medikamenten den US-Markt erobern will

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Von: Philipp Keßler

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Biotest Next-Level heißt die neue Produktionsstätte des Biotechnologieunternehmens im Dreieichenhainer Gewerbegebiet
Biotest Next-Level heißt das Projekt, mit dem das Biotechnologieunternehmen im Dreieichenhainer Gewerbegebiet ausbaut und seine Produktpalette ausweitet. Für das Jahr 2023 wird ein Gewinn von rund 100 Millionen Euro erwartet. © Biotest

Das Biotechnologieunternehmen Biotest gehört zu den größten Unternehmen im Kreis Offenbach. Im Interview erklärt Vorstandsvorsitzender Michael Ramroth, wie die nächsten Schritte des Herstellers von Medikamenten auf Basis von Blutplasma aussehen.

Dreieich - Mehr als 2350 Mitarbeiter, davon mehr als 1500 alleine in Dreieich. Mehr als 500 Millionen Euro Umsatz pro Jahr, rund 600 Millionen Euro Investitionen im vergangenen Jahrzehnt. Biotest gehört zu den größten Firmen im Kreis Offenbach. Im Interview berichtet Vorstandsvorsitzender Michael Ramroth über Herausforderungen der vergangenen Jahre, Zukunftsaussichten und Fachkräftemangel als Wachstumsbremse.

Herr Ramroth, Coronavirus-Pandemie, Ukraine-Krieg, Energiekrise, Inflation - wie steht Ihr Unternehmen nach diesen turbulenten Jahren da?

Wir haben beim Umsatz im Vergleich zum Vorjahr knapp zugelegt, das Ergebnis ist allerdings etwas schlechter, weil wir die Aufwendungen für Forschung und Entwicklung noch einmal deutlich erhöht haben. Unser angestammtes Geschäft haben wir allerdings gut durch die krisenhaften Jahre hindurchgebracht, während wir mit unseren Investitionen aus meiner Sicht die richtigen Dinge angestoßen haben. Gemessen an den düsteren Prognosen, die es zwischenzeitlich mal gab, stehen wir heute sogar besser da als gedacht – und sind auch für die Zukunft sehr optimistisch.

Michael Ramroth ist seit 19 Jahren bei Biotest, seit 2019 ist er Vorstandsvorsitzender des Unternehmens mit Sitz in Dreieich.
Der Lenker: Michael Ramroth ist seit 19 Jahren bei Biotest, seit 2019 ist er Vorstandsvorsitzender des Unternehmens mit Sitz in Dreieich. © Patrick Scheiber

Ihr Unternehmen gehört als Aktiengesellschaft inzwischen zum spanischen Pharma-Konzern Grifols, der 2022 die Mehrheit von einem chinesischen Investor übernommen hat. Wie macht sich das in Ihrer Arbeit bemerkbar?

Es ist natürlich zunächst einmal schön, dass die spanische Grifols-Gruppe uns übernommen hat, weil die Chinesen Finanzinvestoren sind und Grifols ein Unternehmen ist, das im selben Marktsegment tätig ist. Das gibt uns innerhalb einer größeren Gruppe mehr Möglichkeiten. Ganz konkret: Wir haben eine neue Anlage, in der wir ein neues Immunglobulinpräparat produzieren, das wir auch in den USA vertreiben möchten. Wären wir alleine, müssten wir jetzt dort eine Vertriebsorganisation aufbauen, was aufgrund der Größe des Landes eine recht große Organisation sein müsste. Mit Grifols brauchen wir das nicht, denn wir können auf deren Vertriebsorganisation zurückgreifen und so unser Produkt in den USA vermarkten.

Abgesehen davon, dass der US-Markt für Biotest grundsätzlich tabu war, als das Unternehmen unter chinesischer Flagge unterwegs war ...

Das ist richtig. Die angespannten wirtschaftspolitischen Beziehungen zwischen den USA und China haben dazu geführt, dass wir damals nach der Übernahme unsere Aktivitäten in den USA aufgeben mussten. Das ist jetzt mit der mehrheitlichen Zugehörigkeit zu einem europäischen Konzern wieder möglich. Die USA sind weltweit der größte Markt für unsere Produkte und entsprechend attraktiv für uns.

Die Produktion in Deutschland ist für uns Fluch und Segen zugleich. 

Michael Ramroth

Und es ist kaum zu erwarten, dass sich an den wirtschaftspolitischen Beziehungen etwas ändert...

Das hat ja letztlich auch dazu geführt, dass die Chinesen ihr Biotest-Aktienpaket wieder verkauft haben, als sie erfahren haben, dass der Plan, durch mehrere europäische Unternehmen einen größeren Plasmaproteinhersteller zu schaffen, der auch in die USA liefert, immer schwieriger wird, je mehr Unternehmen aus Europa sie kaufen – bis es schlussendlich ganz unmöglich wurde. Als sie zudem gemerkt haben, dass US-Präsident Joe Biden China gegenüber nicht anders als Donald Trump agiert, haben sie uns zum Verkauf angeboten.

Welche Rolle spielt die Politik bei Ihren unternehmerischen Entscheidungen überhaupt?

Die politischen Rahmenbedingungen sind in vielen Geschäftsbereichen und unserer strategischen Ausrichtung spürbar und maßgeblich prägend. Ein einfaches Beispiel ist die Gesundheitspolitik in Deutschland, wo es Zwangsrabatte oder Preismoratorien gibt. In Deutschland dürfen wir seit 2014 keine Preise mehr erhöhen, während unsere Kosten steigen.

Sie produzieren trotzdem weiter im Hochlohnland Deutschland. Warum?

Die Produktion in Deutschland ist für uns Fluch und Segen zugleich. 60 Prozent unserer Herstellungskosten sind die Kosten für Blutplasma als Rohstoff unserer Produkte. Lohnkosten spielen in der Größenordnung zwischen sieben und neun Prozent eine Rolle, sodass das nicht der Löwenanteil ist. Aber natürlich müssen auch wir darauf achten, dass die Kosten nicht durch die Decke gehen. Andererseits haben wir den Vorteil, dass wir in Deutschland gut ausgebildete Fachkräfte bekommen. Von daher ist es für uns nie überlegenswert gewesen, wegen steigender Personalkosten ins Ausland gehen.

Welche Rolle spielt der Standort in Dreieich für Sie als Unternehmen?

Unser Unternehmen stammt aus Frankfurt-Niederrad. 1961 sind wir nach Dreieich gezogen, da innerhalb der Stadtgrenzen Frankfurts die Möglichkeiten begrenzt waren. Damals wie heute spielt die Nähe zum Flughafen für den Export unserer Produkte eine große Rolle. Des Weiteren haben wir mit der Nähe zur A 5 und der A 661 auch sonst eine gute Verkehrsanbindung. Wir haben darüber hinaus mit allen Universitäten der Region Kooperationsvereinbarungen zur Rekrutierung von Nachwuchskräften.

Sie haben in Dreieich sehr viel Geld in die Hand genommen: 300 Millionen Euro Investitionen in ihre Produktion, 300 Millionen Euro in Forschung und Entwicklung. Wie ist da der aktuelle Stand?

Wir haben es in der Tat mit der Drei: jeweils 300 Millionen in Beton und Edelstahl bzw. Forschung und Entwicklung – und das für drei neue Produkte. Für unser Immunglobulin haben wir seit vergangenem November die Zulassung, seit Dezember verkaufen wir es auch, nachdem wir es in der neuen Anlage produzieren. Die anderen beiden Produkte sind noch in der dritten und letzten klinischen Entwicklungsphase, da geht es um einen speziellen Gerinnungsfaktor, ein Fibrinogen, und ein Medikament zur Behandlung von schweren Lungenentzündungen.

In der Tat sind Fachkräfte aktuell der größte Engpass, der auch die entscheidende Bedingung dafür ist, dass wir unsere Produktion wie geplant hochfahren können. 

Michael Ramroth

Was kann man sich unter diesen Produkten genau vorstellen?

Unsere Produkte ersetzen in der Regel Eiweißmoleküle. Immunglobuline sind Antikörper, die dafür sorgen, dass bestimmte Viren und Bakterien identifiziert und neutralisiert werden. Die Körper unserer Patienten können diese etwa wegen eines genetischen Defekts nicht bilden, sodass ihr Immunsystem unvollständig ist. Der größere Einsatzbereich sind aber Menschen, die etwa nach einer Organtransplantation Medikamente bekommen, die verhindern, dass das neue Organ abgestoßen wird – die aber den Nebeneffekt haben, dass auch das Immunsystem schlechter funktioniert. Fibrinogen als einer von 13 Gerinnungsfaktoren im menschlichen Körper sorgt dafür, dass eine Blutung stoppt, wenn man sich etwa geschnitten hat. Menschen mit der Bluterkrankheit fehlt es, aber auch Menschen mit einem hohen Blutverlust bei einem schweren Unfall oder einer OP sind darauf angewiesen. Trimodulin soll Menschen helfen, die wegen einer schweren Lungenentzündung künstlich beamtet werden müssen. Denn da ist die Sterblichkeit immer noch sehr hoch, weil häufig Organe versagen. Spannend ist außerdem das Thema Cytomegalie. Hier entwickeln wir gerade ein Präparat, das verhindern soll, dass eine schwangere Frau dieses Virus, das schwere Hirnschäden und Missbildungen auslösen kann, an ihr ungeborenes Kind überträgt.

Bedeutetet der Fortschritt bei diesen Entwicklungen, dass die Phase der großen Investitionen vorbei ist?

Investitionen in Forschung und Entwicklung müssen immer weitergehen. Ein Pharmaunternehmen, das nicht weiter forscht, manövriert sich selbst in eine Sackgasse. Wir werden allerdings keine direkten Nachfolgeinvestitionen am Standort tätigen, auch wenn wir noch Platz zum Bauen hätten. Wir fahren in den kommenden zwei, drei Jahren unsere Anlage erst richtig hoch, investieren daneben weiter in Forschung und Entwicklung von neuen Produkten und sind gleichzeitig auf der Suche nach neuen Indikationen für unsere marktreifen Präparate.

Sie wollen ihre Produktion ausweiten. Inwiefern ist das problematisch, weil der Rohstoff Blutplasma weltweit begrenzt ist?

Das ist in der Tat ein entscheidender Punkt, weshalb wir uns bei der Suche nach Plasma auch nicht auf Deutschland beschränken können. Allerdings ist die kommerzielle Spende von Plasma, also gegen eine Aufwandsentschädigung für den Spender, aktuell nur in Deutschland, Österreich, Ungarn und Tschechien erlaubt, wo wir auch Plasmazentren betreiben. In den USA ist das auch möglich, hier sind allerdings die gezahlten Aufwandsentschädigungen deutlich höher, das Plasma also teurer. Wenn der Plasmamarkt also von der Größe her ungefähr gleich bleibt, gleichzeitig aber immer mehr Einsatzmöglichkeiten für Produkte aus Plasma gefunden werden und auch die Produktionskapazitäten steigen, steigt damit auch der Einkaufspreis für Firmen wie uns.

Inwiefern können Sie als Unternehmen auf Staaten einwirken, um den Markt zu vergrößern?

Das tun wir, es ist aber sehr mühsam. Aktuell führen wir etwa Gespräche mit der Türkei, die eine große Bevölkerung und mit dem Roten Halbmond auch eine Organisation hat, die über eine entsprechende Infrastruktur zum Spenden von Blut und Blutplasma verfügt. Bislang wird das Blut von Spendern zentrifugiert, doch mangels Produktionskapazitäten wird das Plasma entsorgt. Die Tatsache, dass diese Gespräche aber sehr schwierig sind, führt dazu, dass wir aktuell immer mehr eigene Spendenzentren eröffnen und entsprechende Öffentlichkeitsarbeit betreiben. Die Spende von Plasma ist übrigens ein guter Gesundheitsschutz, denn damit geht ein umfassender ärztlicher Check einher, über dessen Ergebnisse wir die Spender informieren.

Aktuell haben Sie mehr als 60 Stellen auf Ihrer Website ausgeschrieben. Inwieweit ist der Fachkräftemangel ein Problem?

Wir haben für dieses Jahr sogar 160 Stellen eingeplant, also noch nicht einmal alle ausgeschrieben. In der Tat sind Fachkräfte aktuell der größte Engpass, der auch die entscheidende Bedingung dafür ist, dass wir unsere Produktion wie geplant hochfahren können. Wir haben deshalb auch schon sehr früh damit begonnen, unsere eigenen Ausbildungskapazitäten auszuweiten: Aktuell haben wir über 80 Auszubildende – ein Rekord. Des Weiteren nehmen wir an Ausbildungsmessen teil, werben über Soziale Medien und kooperieren mit Hochschulen. Derzeit mangelt es vor allem an Chemikanten, Laboranten und Ingenieuren.

Mit welchen Argumenten wollen Sie Bewerber von sich überzeugen?

Zunächst einmal ist die Arbeit bei uns eine sinnstiftende Tätigkeit, stellen wir doch lebensrettende Medikamente her. Wichtig sind auch eine gute Work-Life-Balance und eine gute Verkehrsanbindung. Wir bieten kostenlose Parkplätze und das kostenlose Laden des Elektroautos. Wir haben darüber hinaus eine eigene Kindertagesstätte und verfügen über eine sehr gute Kantine. Außer in der Produktion bieten wir zudem in sehr großem Umfang mobiles Arbeiten an, was für viele ein wichtiges Argument ist. Wir führen demnächst außerdem eine Pendler-App ein, damit man den Arbeitsweg gemeinsam absolvieren kann, vernetzen die Mitarbeiter über die Abteilungen hinweg. Das alles führt dazu, dass wir – wenn wir die Leute erst einmal haben – eine hohe Verweildauer unter den Mitarbeitenden haben.

Ein weiteres Firmenziel ist Klimaneutralität bis 2035. Welche Faktoren spielen hier eine Rolle?

Das ist für uns definitiv nicht ganz einfach. Das fängt damit an, dass Blutplasma bei minus 30 Grad gelagert werden muss, was sehr energieintensiv ist. Wir haben im Zuge unserer Investitionen drei Blockheizkraftwerke gebaut, die zwar sehr effizient sind, aber mit Gas befeuert werden. Wir warten gerade auf die Installation einer Fotovoltaikanlage und loten sämtliche Möglichkeiten aus, Kälte und Wärme, die während der Produktionsprozesse entstehen, wiederzugewinnen. Das alles folgt der inneren Überzeugung, dass wir eine Verantwortung für die Gesellschaft haben, also dass wir unseren Beitrag dazu leisten, das Klima zu retten.

Vertrauen ist ein zentraler Wert.

Michael Ramroth

Welche Werte sind darüber hinaus für das Unternehmen wichtig?

Die Gesundheit unserer Patienten steht für uns in Vordergrund. Das sind häufig chronisch kranke oder schwerstkranke Patienten, die ihre Medikamente lebenslang brauchen. Ihre Versorgung müssen wir sicherstellen. Auf der anderen Seite liegt uns aber auch sehr viel am Wohl unserer Spender, weil wir auf sie angewiesen sind. Vertrauen ist deshalb ein zentraler Wert.

Sie gehören zu den Biotechnologie-Firmen, die spätestens seit der Corona-Pandemie in aller Munde sind. Wie blicken Sie langfristig auf den Markt?

Die Natürlichkeit und damit die Verträglichkeit unserer Produkte sind durch ihre Herkunft, nämlich den menschlichen Körper, gegeben. Ein synthetischer Ersatz ist aktuell noch utopisch. Unser Rohstoff ist zudem regenerativ. Deshalb glaube ich, dass es für Produkte wie unsere immer einen Markt geben wird. Insofern sehe ich sehr optimistisch in die Zukunft, zumal wir immer neue Krankheitsbilder entdecken, bei denen unsere Produkte helfen. Das gilt besonders für den Bereich von Allergien oder Autoimmunerkrankungen, die noch relativ unerforscht sind, wo es aber vielversprechende Ansätze gibt.

Das Gespräch führte Philipp Keßler

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