Kleine Racker wieder fit machen

Dreieichenhain - Mit einem gefundenen Buntspecht im Wald vor einigen Jahren fing es an. Bei der Suche nach Hilfe kam Tanja Schäfer selbst auf die Idee, eine Wildtierhilfe aufzubauen, die über die Jahre ständig wuchs. Von Holger Klemm
Da das bisherige Domizil in Rödermark zu klein geworden ist, erfolgte nun der Umzug auf das Gelände des Tierheims Dreieich. „Für uns ist die Lage am Wald optimal.“ Da der Platz der bisherigen Wildtierstation in Rödermark längst zu eng geworden war, suchten Tanja Schäfer und ihre Familie nach einem neuen Quartier. Die Lösung fand sich im leer stehenden Bungalow am Tierheim im Haag. Dort laufen aktuell die Vorbereitungen für die neue Saison. Bislang finden sich in den Volieren oder Käfigen in der Aufnahmestation lediglich einige Igel. Das wird sich ab Februar und vor allem ab April ändern, wenn gefundene oder verletzte junge Eichhörnchen und Singvögel die ganze Aufmerksamkeit beanspruchen – und es werden nicht wenige sein.
Im vergangenen Jahr zählten zu den Schützlingen an die 470 Vögel wie Meisen, Amseln oder Spatzen, 110 Eichhörnchen und 40 Igel. Hinzu kamen Bilche (Siebenschläfer, Gartenschläfer oder Haselmäuse). Gepflegt wurden aber auch einige Rabenvögel, Enten oder Tauben. Größere Tiere gibt die Wildtierhilfe an Kollegen. „Wir sind gut vernetzt und tauschen uns aus.“

Mit ihrem ehrenamtlichen Engagement will Schäfer etwas für den Erhalt der Arten tun. Damit verbunden war aber auch die Aufgabe ihres Berufs, um sich ganz der Station zu widmen. „In der Saison ist man bis zu 19 Stunden am Tag mit Füttern und Aufpäppeln beschäftigt, da kann man keiner anderen Arbeit mehr nachgehen“, erzählt sie. Wegen der regelmäßig erforderlichen Fütterungszeiten bleibe wenig Zeit für private Erledigungen. „Da muss auch ein Einkauf genau geplant sein.“ Jedes Jahr komme mehr Arbeit auf die Wildtierhilfe zu. Das liege zum einen am größeren Bekanntheitsgrad, zum anderen aber auch am Zustand der Umwelt. „Es gibt immer weniger Insekten“, berichtet Schäfer. Vögel ließen immer öfter ihre Brut zurück, da sie diese nicht mehr aufziehen können. „Mir werden viele komplette Nester gebracht.“ Das wird ab April wieder der Fall sein.

Die ersten Klienten seien ab Februar junge Eichhörnchen. Das liege daran, dass dann oft Bäume gefällt oder geschnitten werden und die Tiere ihre Kobel (Nester) verlieren oder verletzt sind. Sollte ein Kobel einer Baumfällung im Weg sein, bittet Schäfer darum, den Müttern die Chance zu geben, ihre Jungen in eine andere Kobel zu bringen. Denn Eichhörnchen verfügen immer über ein Ersatzquartier, um ihren Nachwuchs bei Gefahr oder Zerstörung umzusiedeln. Auf jeden Fall sollte man handeln, wenn die gefundenen Tiere verletzt seien oder noch kein Fell hätten.

Schäfer kann von einer besonderen Eigenart der possierlichen Nager berichten. Diese suchen die Nähe zu Menschen, wenn sie Hilfe benötigen. „Ich bekam einmal ein Anruf eines Tankwartes, dem ein Eichhörnchen auf die Schulter gesprungen war und er es nicht mehr loswurde.“ Angst vor Tollwut brauche man bei ihnen nicht zu haben. Die Aufzucht der Nager sei sehr arbeitsintensiv. Je nach Alter stehe alle zwei Stunden das Füttern mit der Milchflasche oder tiergerechter Nahrung an. Um die Darmtätigkeit anzuregen, benötigen die Nager zudem eine Bauchmassage. Vogelkinder verlangen alle sechs Stunden nach Futter. Sie bekämen mit der Pinzette Insekten zugeführt. Wiederum andere Anforderungen hätten die Bilche, die nachtaktiv sind und abends ihr Essen fordern.
Angesichts des straffen Tagesablaufs bittet Schäfer um Verständnis, keine verletzten Tiere, die ihr gemeldet werden, abholen zu können. Die Leute reagierten dann oft enttäuscht oder sauer. Doch dafür fehle einfach die Zeit.

Oberste Maxime sei, Wildtiere weiter als Wildtiere zu behandeln. Schäfer sieht ihre Aufgabe darin, ihre Schützlinge aufzupäppeln und wieder auf ein Leben im Freien vorzubereiten. Deshalb würden die Tiere nicht gestreichelt. Auch Schmusen sei fehl am Platz. Wichtig sei es dagegen, dass sie mit Artgenossen aufwachsen und so voneinander lernen. So gebe es immer Eichhörnchen, die früher Nüsse knacken als andere oder Vögel, die Nahrung aufpicken. Kurz vor der Auswilderung würden beispielsweise die Eichhörnchen in Käfigen im Garten untergebracht. „Ich stelle nur noch Futter hin.“ Während der ersten Tage in Freiheit kämen die Nager in der Regel nachts zum Schlafen zurück. „Dann muss ich natürlich aufpassen, dass abends alles verschlossen ist, damit keine Füchse oder Marder eindringen können.“ Wenn die Eichhörnchen einmal selbst einen Schlafplatz gefunden haben, kehren sie nicht mehr zurück.
Nicht immer gibt es solche Erfolgserlebnisse. Oft überleben die Kleinen ihre Verletzungen nicht oder müssen eingeschläfert werden, wenn es nicht mehr geht. „Der Tod gehört zu der Arbeit dazu. Natürlich weine ich dann jedes Mal.“ Die Wildtierstationen seien dazu verpflichtet, ihre Schützlinge für die freie Natur fit zu machen. Ein Vogel mit einem Bein oder ein blindes Eichhörnchen habe da keine Chance.
Schon allein angesichts des Nahrungsbedarfs sei die Wildtierhilfe auf Unterstützung angewiesen. Im vergangenen Jahr bezifferte Schäfer den finanziellen Aufwand allein für die Nahrung auf 3 500 Euro - ohne Tierarztkosten. Insgesamt wurden an die 60 Kilo Insekten verfüttert. Schätzungsweise koste die Aufzucht eines Vogels 35, eines Eichhörnchens an die 80 Euro. Neben Spenden seien auch Sponsoren und Helfer willkommen. Schäfer hat zudem bei Amazon eine Wunschliste eingestellt. Dort finden sich neben Wildvogelfutter, Haselnüssen, Tannensamen oder Sonnenblumenkerne beispielsweise auch Wärmeplatten für die Kükenaufzucht oder andere für die Aufzuchtsarbeit benötigten Utensilien, die Interessierte für Schäfer bestellen können. Weitere Informationen auch zu dem Spendenkonto auf der Homepage.
Infos unter www.wildtierhilfe-roedermark.de