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„Nehmen uns die letzte Freude“: Zahlreiche Pächter müssen Gärten räumen

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Von: Nicole Jost

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Das Tor ins Grüne müssen Monika und Hans Gisa 2025 schließen beziehungsweise abreißen. Dann endet der mit der UNB vereinbarte Aufschub für den Garten im Seegewann.
Das Tor ins Grüne müssen Monika und Hans Gisa 2025 schließen beziehungsweise abreißen. Dann endet der mit der UNB vereinbarte Aufschub für den Garten im Seegewann. © Jost

Die Untere Naturschutzbehörde (UNB) ordnet die Abräumung von 44 Gärten in Sprendlingen, Dreieich, an. Doch für viele Pächter sind sie ein zweites Zuhause.

Dreieich – Auf den gut 1 000 Quadratmetern in Nachbarschaft zur Kinder- und Jugendfarm der Dreieichhörnchen hat die Natur gerade Hochkonjunktur. Die alten Apfelbäume stehen in voller Blüte, der riesige Walnussbaum, den Hans Gisa vor fast 40 Jahren als Steckling gesetzt hat und der für die Eichhörnchen ein Geschenk ist, treibt aus. Eine Blaumeise schimpft zunächst ein wenig über die menschliche Nähe, flattert dann aber doch in ihren Nistkasten, den Gisa an der braunen Gartenhütte angebracht hat. Monika Gisa und ihr Mann lieben den Garten im Dreieicher Seegewann – aber ihr Herz blutet.

„Insgesamt habe ich zwölf Nistkästen gebaut und hier verteilt. Dieses Jahr werden besonders viele als Brutstätten genutzt“, freut sich der Kleingärtner über den gefiederten Nachwuchs. Ein bisschen weiter hinten zeigt sich schon der Salat, etliche Kräuter wachsen hervorragend, auch Kartoffeln, Beeren, Gurken und Tomaten haben die Gisas gepflanzt. Mitten in diesem grünen Paradies sitzt Nikki. Die Panther-Katze ist Hans Gisa vor einigen Jahren zugelaufen – allein wegen ihr ist der 74-Jährige jeden Tag hier im Garten – Sommer wie Winter. Die schwarze Schönheit braucht schließlich Futter und frisches Wasser.

Dreieich (Kreis Offenbach): Die untere Naturschutzbehörde (UNB) schrieb die Pächter an

Seit 1985 haben die Gisas den Garten in Sprendlingen gepachtet. „Wir sind 1977 aus Schlesien nach Deutschland gekommen. Der Garten war unsere Rettung. Die Kinder haben hier gezeltet, wir haben hier gegrillt. Das war in unserer Drei-Zimmer-Wohnung im Kurt-Schumacher-Ring einfach nicht möglich. Auch für die Eltern, die inzwischen verstorben sind, war der Garten ein Zuhause. Wir haben damals 5000 Mark Abstand bezahlt, das waren fast drei Monatsgehälter, viel Geld für uns“, berichtet Hans Gisa.

Doch das Gartenidyll ist endlich – im Februar hat das Ehepaar Post von der Unteren Naturschutzbehörde (UNB) in Dietzenbach bekommen. Der Garten liegt illegal im Außengelände und darf aus naturschutzrechtlichen Gründen nicht bleiben. „Nachdem ich den Brief bekommen habe, habe ich meinen Nachbarn getroffen. Wir haben uns darüber unterhalten, er ist 80, für ihn ist der Garten sein Ein und Alles. Er hat geweint. Ich bin dann in meine Hütte gegangen und habe auch geweint“, erzählt Hans Gisa.

Eine rechtliche Grundlage, sich gegen die Räumung zu wehren, gibt es nicht. Die Gisas sind auch nicht die Einzigen, die jetzt in Sprendlingen betroffen sind. Eine Garteneigentümerin erzählt der Redaktion, dass auch sie den Brief vom Amt bekommen hat: „Ich bin wirklich für den Naturschutz und es ist gut, dass sich die Behörden der vermüllten Gärten annehmen, die es ja auch gibt. Aber es tut mir so leid für unsere Pächter, eine türkische Familie, die im Hochhaus lebt. Es ist so ein Idyll für sie, sie pflegen das Grundstück, pflanzen Obst und Gemüse an“, erzählt die Frau. Sie habe auch nichts gegen die Mitarbeiterin der Behörde: „Sie war sehr nett, sie macht auch nur ihren Job, aber es ist wirklich schade, dass hier nicht differenziert wird.“

Gärten in Dreieich im Kreis Offenbach müssen bis 2025 geräumt werden

Wie auch die Gisas hat die Sprendlingerin sich mit der UNB auf einen Aufschub geeinigt. Bis 2025 müssen ihre Pächter und auch Hans und Monika Gisa die Gärten abräumen. „Im ersten Brief stand, dass es uns 16 800 Euro kostet, wenn wir das nicht machen. Unsere Hütte, den kleinen Schuppen und den Kaninchenstall werde ich abbauen müssen. Den Kirschlorbeer habe ich schon ausgepflanzt. Die Obstbäume dürfen bleiben“, berichtet Hans Gisa.

Der Schlosser in Rente und seine Frau, die 35 Jahre bei der Post Verteilerin war, sind untröstlich: „Auf die alten Tage nehmen sie uns unsere letzte Freude“, bedauert Monika Gisa das nahende Ende des Gartens für ihre Familie. Was Hans Gisa mit seiner vierbeinigen Freundin Nikki in drei Jahren macht, ist noch fraglich. „Sie ist ja eine halbwilde Katze, wir können sie nicht mit zu uns in die Wohnung nehmen“, hofft er, eine gute Lösung zu finden.

Die UNB weiß, dass die Abräumung der Gärten durch die Behörde ein hochemotionales Thema ist. Derzeit sind in Sprendlingen 44 Gärten betroffen; acht sind bereits abgeräumt, 29 Fälle werden aktuell bearbeitet, sieben weitere Gartenbesitzer werden in Kürze angeschrieben. Zwei Drittel der Gärten sind in Benutzung, ein Drittel ist völlig verwildert. „Die vertragliche Verlängerung mit dem Kreis ist nur eine Ausnahme in Härtefällen“, erläutert Sandra Klauß von der Pressestelle der Kreisverwaltung. Die Gisas wollen die noch verbleibende Zeit in ihrem Garten genießen. „Obwohl ich befürchte, dass die Jahre schnell vergehen. 2025 bin ich 77 Jahre alt – dann fange ich auch keinen neuen Garten mehr an“, ist Hans Gisa betrübt. (Nicole Jost)

Auch Kleingärtner im Dreieicher Stadtteil Götzenhain wurden angewiesen, ihre Parzellen zu räumen. Die Pächter haben allerdings Widerspruch eingelegt.

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