Bürgermeister im Interview: „Sind schon Lichtjahre vorangekommen“

Die Gemeindevertretung hat vergangene Woche den Haushalt 2023 verabschiedet. Die Friedhofserweiterung und die Sanierung der Heidelberger Straße hat das Parlament gestrichen, weitere Investitionen vertagt. Im Interview äußert sich Bürgermeister Tobias Wilbrand (Grüne) zu den Finanzen und zur Kritik an seiner Person in den Haushaltsreden.
Sie hatten die Fraktionen aufgefordert, Sparvorschläge zu machen und bei den Investitionen zu priorisieren. Sind Sie zufrieden mit dem Ergebnis?
Grundsätzlich bin ich zufrieden, es geht in die richtige Richtung. Die Fraktionen sind sensibilisiert, die Dringlichkeit ist allen bewusst. Es ist aber noch nicht genug, um eine Grundsteuererhöhung 2025 zu vermeiden. Es wird sicher noch die ein oder andere schmerzhafte Entscheidung geben müssen.
Was bedeuten die nun gefassten Beschlüsse konkret für die Grundsteuer B?
Erst einmal bedeuten die zwei Streichungen eine Reduzierung um circa 37 Grundsteuerpunkte. Viele Investitionen wurden hingegen mit einem Sperrvermerk belegt, weil die Fraktionen sich noch weitere Informationen dazu wünschen. Die liefern wir ihnen gerne. Aber die Summen sind ja nicht gestrichen, sie fallen trotzdem irgendwann an. Der beschlossene Investitionsplan würde – Stand jetzt – 2025 zu einer Erhöhung auf 1038 Grundsteuerpunkte und 2026 auf 1058 Punkte führen (momentan liegt die Grundsteuer B in Egelsbach bei 815 Punkten, Anm. d. Red.).
Das ist eine Menge.
Ja. Aber 2023 und 2024 können wir den Haushalt nach aktuellem Stand ausgleichen. Und bis 2025 kann noch viel passieren. Wenn wir zum Beispiel für die Freibadsanierung die maximale Fördersumme von 5,5 Millionen Euro kriegen, sind das gleich 60 bis 70 Punkte weniger, um die wir die Grundsteuer erhöhen müssten. Und hinter manche Projekte haben die Fraktionen ja durchaus ein Fragezeichen gesetzt. Wenn sie zum Beispiel entscheiden, dass wir uns das Bürgerhaus als zweite Versammlungsstätte nicht mehr leisten können, fallen 2,8 Millionen Euro für die Sanierung weg.
Bei den Haushaltsreden gab es Kritik an Ihnen: Sie würden es sich zu leicht machen, indem Sie die Priorisierung den Gemeindevertretern überlassen.
Ich zitiere mal die Hessische Gemeindeordnung: Da heißt es in Paragraf 51, dass die Gemeindevertretung die Entscheidung über Erlass der Haushaltssatzung und des Investitionsprogramms nicht übertragen kann. Wir leben in einer parlamentarischen und nicht in einer präsidialen Demokratie. Hier entscheidet ein Gremium von mehreren gewählten Vertretern. Es ist aber klar, dass diese Ehrenamtlichen ausreichend informiert werden müssen, um vernünftige Entscheidungen treffen zu können.
Manche Fraktionen beklagen genau diese fehlenden Informationen.
Ich habe das Gefühl, manche vergessen, wie es noch vor ein paar Jahren war. So viele Informationen und Hintergrundwissen wie jetzt hatte die Gemeindevertretung noch nie. Ich kann mich nicht erinnern, dass vor meiner Amtszeit irgendjemand für ein Investitionsprojekt eine Wirtschaftlichkeitsberechnung gemacht hat. Jetzt geben wir Prognosen zur Grundsteuer 2025 und 2026 ab, das konnte ich 2020 noch nicht – weil ich die Tools dafür nicht hatte und der Haushalt nicht so sortiert war, dass man das vernünftig abbilden konnte. Außerdem stellen wir Excel-Tools zur Verfügung, bilden Arbeitskreise zum Freibad oder dem Sporthallenbau... Ich bin mir sicher, dass wir schon um Lichtjahre vorangekommen sind im Gegensatz zu dem, was ich bei Amtsantritt vorgefunden habe.
Stört es Sie, dass Sie so viel Zeit in Grundlegendes stecken müssen?
Das war einer der Gründe, warum ich überhaupt angetreten bin. Weil ich das Gefühl hatte: Das hat keine Struktur, keinen roten Faden. Als Gemeindevertreter habe ich mich häufig gefragt: Können oder wollen sie uns nicht sagen, wie es um die Finanzen steht? Heute weiß ich: Sie konnten nicht. Und das war nicht mal böser Wille, die Infos haben einfach gefehlt. Leute im Rathaus wussten nicht, wie viel von ihrem Budget noch übrig ist. Wie will man da eine anständige Finanzplanung machen?
Beim Thema Rathaus-Anbau haben Sie selbst zugegeben, dass Sie zu wenige Informationen geliefert haben.
Wir haben als Verwaltung den Fehler gemacht, unser Hintergrundwissen nicht ausreichend zu kommunizieren. Für uns ist der Rathaus-Anbau alternativlos. Die Intention der Verlegung des Bürgerbüros in die Ortsmitte war ja, den Ortskern zu beleben. Spätestens seit Schließung des Central Marktes ist klar: Das hat nicht funktioniert. Das Bürgerbüro zieht nicht genug Laufkundschaft an, um die Geschäfte drumherum am Leben zu halten. Dazu kostet die Datenübertragung vom Rathaus ins Bürgerbüro ein Heidengeld, ständig gibt es Botendienste oder die IT muss rüber fahren, um einen Computer zu reparieren. Das ist einfach ineffektiv, kostet Geld und Zeit.
Zur Bürgerbüro-Problematik kommt hinzu, dass die Gemeindevertretung im Sommer auf Antrag der SPD eine Ausweitung des Stellenplans beschlossen hat.
Ich habe im Rathaus aber gar keinen Platz mehr, wo ich neue Leute hinsetzen könnte. Wir bräuchten auch mehr Büros. Homeoffice ist in einer Verwaltung mit Sprechzeiten, mit Akten, die nicht digitalisiert sind, nur begrenzt möglich. Dazu kommt noch: Durch unser Gemeindearchiv läuft eine große Wasserleitung, wenn die mal platzt, ist das Archiv Vergangenheit. Und „last but not least“ sind unsere Serverräume brandschutztechnisch problematisch.
In den Haushaltsreden wurde Ihnen auch vorgeworfen, Sie würden den Rathaus-Anbau vorantreiben, hätten im Gegenzug aber „keinen Bock“ auf Projekte wie die Wohnungsbaugesellschaft.
Sehen Sie, mit 15 oder 20 Wohnungen ist der Verwaltungsapparat einer solchen Gesellschaft nicht zu finanzieren. Sie brauchen einen Geschäftsführer, müssen Abrechnungen und Steuererklärungen machen und so weiter. Aus meiner Sicht benötigen wir um die 200 Wohnungen, damit sich das lohnt. Deswegen ist das unter den aktuellen schwierigen Rahmenbedingungen nicht meine oberste Priorität. Stattdessen haben wir für ein Bauprojekt im Kurt-Schumacher-Ring einen städtebaulichen Vertrag abgeschlossen. Dort entstehen 190 Wohnungen, davon 34 gefördert oder zumindest mit einem verminderten Mietpreis – doppelt so viele wie für die im SPD-Antrag vorgeschlagenen 4,7 Millionen Euro. Dabei kostet dieses Projekt die Gemeinde nur 200 000 Euro. Wir tun also etwas für den sozialen Wohnungsbau und halten gleichzeitig die Finanzen beieinander.
Das Argument, beschlossene Projekte würden nicht umgesetzt, kommt aber immer wieder.
Ich habe schon vor meiner Wahl gesagt: Wir müssen erst die Finanzen in den Griff kriegen, dann die Verwaltungsstruktur. Als ich ins Amt kam, war kein Bauamtsleiter da, kein Ingenieur und kein Architekt. Die Strukturen mussten erst wiederaufgebaut werden. Die letzten zwei Jahre haben wir massiv Zeit und Geld in Neuanstellungen investiert, jetzt sind wir wieder ganz gut besetzt. Hinzu kommt, dass zum Beispiel die Firma, die wir für Tiefbauarbeiten zur Straßensanierung beauftragt haben, einfach den Rahmenvertrag nicht erfüllt. Auch die Arbeiten am Kirchplatz sind beauftragt, es gibt aber Lieferengpässe bei der Pergola. Ich hätte das schon gerne alles gemacht, aber die aktuell schwierigen Rahmenbedingungen gelten eben auch für Egelsbach. Diese ständigen Vorwürfe, ich würde nichts tun, verbuche ich unter politischen Scharmützeln vor dem anstehenden Bürgermeisterwahlkampf.
Der große Sanierungsstau ist ja auch nicht über Nacht aufgetaucht. Wurde das in der Vergangenheit verschlafen?
Dieser Stau an nicht umgesetzten Beschlüssen ist schon vor meiner Amtszeit entstanden. Die letzten 15 bis 20 Jahre sind Dinge auf die lange Bank geschoben worden, die hätten entschieden werden müssen. Das Freibad diskutieren wir jetzt seit Ende der Neunziger, das Bürgerhaus seit rund 15 Jahren, die letzte Straße wurde 2011 saniert.
Trotzdem: Können Sie den Frust der Fraktionen verstehen, dass manches nicht vorankommt?
Ich kann den Frust verstehen, Ich habe aber im Gegensatz zu meinen Vorgängern kontinuierlich an der Umsetzung gearbeitet und immer begründet, warum etwas nicht geht. Und wenn man – überspitzt gesagt – in jeder Sitzung drei neue Projekte beschließt und dann frustriert ist, dass die Verwaltung nicht hinterherkommt, bedarf es vielleicht auch mal eines Realitäts-Checks der Erwartungshaltung.
Das Gespräch führte Manuel Schubert