Omar El Manfalouty bringt als Pilot Menschen aus der Ukraine

Omar El Manfalouty engagiert sich aus der Luft in der Seenotrettung: Der 29-Jährige ist ehrenamtlicher Pilot für die Schweizer Organisation Humanitarian Pilots Initiative (HPI) und fliegt regelmäßig übers Mittelmeer, um Flüchtlingsboote in Seenot aufzuspüren. Nun fliegt der Egelsbacher, der als wissenschaftliche Mitarbeiter an der Goethe-Uni arbeitet und für die SPD in der Gemeindevertretung sitzt, auch an die ukrainische Grenze, um Menschen aus dem Kriegsgebiet zu retten. Im Interview spricht er darüber, wie er diese Einsätze erlebt.
Wie ist diese Hilfsaktion entstanden?
Wir von der Humanitären Piloten Initiative sind eigentlich an anderer Stelle ehrenamtlich in Krisenregionen aktiv: So unterstützen wir seit 2015 die zivile Seenotrettung im Mittelmeer durch Luftaufklärung oder bringen in Ostafrika mit unserem selbst entwickelten Fallschirmabwurfsystem empfindliche medizinische Ausrüstung präzise ins Ziel. Der russische Überfall auf die Ukraine hat bei uns im Vorstand aber die Frage aufgeworfen, ob und was wir sinnvoll tun können, um den Ukrainern beizustehen. Nach der Beratung mit Partnern in den Grenzregionen war uns schnell klar, dass die meisten Menschen auf dem Landweg zum Beispiel Deutschland oder die Schweiz erreichen können – aber auch, dass dies für Verwundete, Verletzte oder Schwerkranke oft nicht möglich ist. Auch der Mangel an Arzneimitteln und medizinischer Ausrüstung vor Ort wurde deutlich. Daraufhin starteten wir einen Spendenaufruf, identifizierten geeignete Flugzeuge und machten uns an die Arbeit.
Wie oft fliegen Sie zurzeit an die ukrainische Grenze? Und wo genau sammeln Sie die Menschen ein?
Zuletzt haben wir neun Flugzeuge auf den Weg gebracht; wir sind also im Durchschnitt etwas mehr als einmal täglich im Einsatz: Acht flogen nach Polen, eins nach Rumänien, jeweils bis unmittelbar an die ukrainische Grenze heran. So konnten wir auf dem Hinweg insgesamt 5 000 Kilogramm dringend benötigte medizinische Ausrüstung liefern. Auf dem Rückweg gelang die sichere Evakuierung von 30 Menschen. Sie waren von Partnerorganisationen vor Ort als besonders gefährdet identifiziert worden, aufgrund Kriegsverletzungen, Behinderungen, Hochrisikoschwangerschaften oder dringend behandlungsbedürftiger Krebserkrankungen. Unsere Flüge beschränken sich nicht auf Polen und Rumänien: So führte mich mein letzter Evakuierungsflug in die Slowakei.
Wie genau läuft die Koordination?
Beruflich ist unser Spezialgebiet die Luftfahrt – als Verkehrspilotinnen und -piloten oder Fluglehrer – und auch bei unserem ehrenamtlichen Engagement bei HPI konzentrieren wir uns darauf. Das heißt, dass wir sowohl für die Identifikation benötigter Medikamente auf dem Hin- als auch für die Auswahl besonders gefährdeter Menschen auf der Flucht auf dem Rückweg auf Partnerorganisationen angewiesen sind. Diese Triage erfolgt zum Beispiel durch unsere Partner vom Blau-Gelben Kreuz e.V. oder vom Verein „City of Hope“, während die „Apotheker ohne Grenzen“ Arzneimittelspenden bereitstellen. Bei der Flugdurchführung unterstützen uns die Malteser Hessen mit medizinischer Expertise und Spezialausrüstung. Grundsätzlich kann unter www.hpi.swiss jeder eine Hilfsanfrage stellen. Dann prüfen wir, ob wir helfen können, und versuchen, die Lieferung von Hilfsgütern mit der Evakuierung gefährdeter Menschen zu verbinden. Da unsere Flüge spendenfinanziert und die Mittel begrenzt sind, müssen wir die Anfragen priorisieren.
Wie geht es mit den Menschen weiter, nachdem sie in Deutschland gelandet sind?
Nach Ankunft in Deutschland übernehmen unsere Partner hier vor Ort. Sie holen die Menschen vom Zielflugplatz ab und unterstützen sie erst einmal mit einem Dach über dem Kopf und bei den nötigen Behördengängen. Auch die weitere medizinische Betreuung ist schon im Vorfeld koordiniert. Das ehrenamtliche Engagement, gerade hier lebender Ukrainerinnen und Ukrainer, für diese Form der Hilfe nach der Flucht ist überwältigend – der Zeitaufwand der Organisatoren im Hintergrund, der Dolmetscherinnen und Dolmetscher und der medizinischen Spezialisten übersteigt meinen eigenen bei der Flugvorbereitung und -durchführung um ein Vielfaches.
Wie fühlen Sie sich, wenn Sie mit Leuten in einem Flieger sitzen, die gerade ihr Zuhause, ihr Hab und Gut – eventuell Angehörige – verloren haben?
Ende März evakuierten wir einen kleinen Jungen, Mykola aus Makariv, der mit seiner Familie versucht hatte, über einen sogenannten „humanitären Korridor“ der russischen Armee zu fliehen. Eine russische Einheit eröffnete dennoch das Feuer und tötete seine Mutter und seinen Großvater, während er selbst mit Splitterverletzungen überlebte. Ich, der ich hier in Egelsbach im Frieden aufgewachsen bin, kann nur ahnen, was in Mykola bei unserem Flug nach Deutschland vorging. Aber ich bin sehr dankbar dafür, meinen Teil dazu beitragen zu dürfen, dass die Familien der Verteidigerinnen und Verteidiger der Ukraine, die auch uns schützen, bei uns in Sicherheit kommen. Mittlerweile wissen wir sehr genau, dass die russischen Kriegsverbrechen – wie auch schon in Syrien – systematisch sind, Methode haben, dass ein Kriegsziel die Auslöschung der ukrainischen Nation als solche ist. Gegen den Krieg selbst kann ich als Zivilist in Deutschland leider nicht viel tun – aber dieses zentrale russische Kriegsziel verhindern wir alle, wenn wir helfen.
Das Gespräch führte Manuel Schubert