Krippenbauer gewährt Einblick in seine Sammlung

Reiner Michler aus Egelsbach hat schon als Teenager angefangen, Krippen zu bauen. Über die Jahre wurden seine Konstruktionen immer aufwendiger. Pünktlich zu Weihnachten gibt der 86-Jährige einen Einblick in seine umfangreiche Sammlung.
Egelsbach – Maria und Josef knien in einem Stall aus stabilen Holzbalken vor der Krippe und bestaunen das Jesuskind. Die Hirten wärmen sich an einem rot leuchtenden Feuer. Hoch über ihren Köpfen geht es einen steilen, moosbewachsenen Berg hinauf. Und am Hang stehen kleine Häuser und Tempel mit filigranen Zinnen und Türmchen, manche haben auch goldene Dächer, die an den Felsendom in Jerusalem erinnern.
Wer Reiner Michlers kleines Reihenhaus in Bayerseich betritt, wird nicht nur von vier stürmischen Yorkshire Terriern begrüßt, sondern dem sticht auch sofort die gigantische Krippe ins Auge, die in einer Ecke des Wohnzimmers auf einer dunklen Holzkommode thront. Der 86-jährige Egelsbacher hat sie in mühevoller Kleinarbeit selbst gebaut. Er hat die Holzbalken zurecht gesägt, die Moosdecke aufgeklebt und die Häuschen mit der Laubsäge geformt. Er hat die kleinen Glühbirnen verkabelt, die aus Taschenlampen stammen, das Lagerfeuer aus Streichhölzern gebastelt, aus Holz einen Brunnen geschnitzt und mit Sandkörnern beklebt. Ein beeindruckendes Gesamtkunstwerk.
Und das ist nur eine von vielen Krippen, die Michler besitzt. Er hat sie alle selbst gebaut. „Ich finde Krippen einfach schön“, sagt der Rentner, der sich seine handwerklichen Fähigkeiten schon in jungen Jahren selbst erarbeitet hat. Michler wächst zur Zeit des Zweiten Weltkriegs im Saarland auf. „Wir hatten damals ja nichts“, betont er. Also baut er sich seine Spielzeugbagger und -autos einfach selbst. „Einmal habe ich auch die Räder vom Wagen unseres Kohleofens an ein Brett geschraubt und bin damit die Schutthaufen hinunter gefahren“, erinnert er sich.
Als nach dem Krieg der Cousin seiner Mutter aus England zurückkommt, wo er als U-Boot-Fahrer in Kriegsgefangenschaft gelandet war, bringt er Michler einen Satz Krippenfiguren mit. „Da dachte ich mir: Baust du mal ’ne Krippe.“ Gesagt, getan, 1951 ist das Erstlingswerk fertig: eine mehrere Meter breite Landschaft mit Moos, Hügeln und Höhlen, einer kleinen Burg – und Palmen aus Pfeifenreiniger. „Die gab’s für 20 Pfennig, die habe ich mir von meinem Taschengeld gekauft“, erzählt Michler. Er ist ja damals erst 15 Jahre alt.
Eine Krippe fungiert als Christbaumständer
Nachdem er seine erste Krippe gebaut hat, erlernt der junge Reiner den Beruf des Werkzeugmachers, später arbeitet er als technischer Zeichner und Pneumatiker, unter anderem bei den Stadtwerken Langen. Seine beruflichen Fähigkeiten helfen ihm auch bei seinem Hobby, die Krippen werden immer aufwendiger. Michler schlägt einen Ordner auf, darin hat er all seine Bauwerke akribisch dokumentiert, mit Jahreszahlen und Fotos aus unterschiedlichen Perspektiven. Auch seine erste von 1951 ist auf einem vergilbten Bild zu erkennen. Bei einer Krippe, die er 1992 baut, weist dann schon ein beleuchteter Stern den Hirten den Weg. Geschlängelte Wege verbinden die verschiedenen Bereiche des mehrere Meter breiten Kunstwerks. „Das ist die schönste“, findet Michler. 2002 blasen vier Engel in Fanfaren, die Krippe fungiert gleichzeitig als Christbaumständer. Und 2017 fließt ein blauer Bach unter einer Brücke hindurch.
Was immer auffällt: Die äußerst filigranen Verzierungen im Holz. Die großen Sperrholzplatten lässt sich Michler im Baumarkt zurecht sägen, alles weitere übernimmt er mit der Laubsäge selbst. „Man muss sehr vorsichtig arbeiten, damit das Sägeblatt nicht bricht“, sagt er. Oft feilt er monatelang in seinem Hobbykeller an den Krippen, bis sie fertig sind. Seine 2020 verstorbene Ehefrau Gisela störte es nicht, dass ihr Mann so viel Zeit in sein Hobby steckt. „Sie hat sich immer gefreut, wenn es eine neue Krippe gab“, sagt Michler.

Er holt einen zweiten Ordner hervor, darin hat er nicht nur fein säuberlich aufgelistet, welches Krippenteil in welcher Kiste verstaut ist, er hat auch detaillierte Schaltkreise für die Elektronik aufgemalt, da kommt der Zeichner in ihm durch. Und er hat für jede Krippe eine haargenaue Aufbauanleitung notiert. „Tempel aufsetzen und anschließen“, „Stadtmauer auf Felsen aufsetzen“, „Beleuchtung für Turm an Steckerleiste anschließen“, steht dort etwa. „Sonst kriegt man das nie wieder hin“, sagt Michler und lacht.
Der Aufbau ist für den 86-Jährigen etwas beschwerlich geworden. Für die Krippe in seinem Wohnzimmer, Baujahr 2003, hat er fünf Tage gebraucht. Aber er wollte sie mal wieder in ihrer vollen Pracht bewundern. Michler findet es schade, dass Krippen „nicht mehr in“ sind. „Früher hat man immer welche in Prospekten und Zeitungen gesehen, heute nicht mehr“, hat er festgestellt. „Ich würde mich freuen, wenn es wieder mehr Krippen gibt“, sagt Michler. „Meine Kinder haben immer viel Freude daran gehabt, sie waren ganz verrückt danach.“ (Manuel Schubert)