Omar El Manfalouty aus Egelsbach sucht im Mittelmeer nach Flüchtlingsbooten

Omar El Manfalouty aus Egelsbach engagiert sich als Pilot in der Seenotrettung: In seiner Freizeit fliegt der 29-Jährige ans Mittelmeer, um dort aus der Luft Flüchtlingsboote aufzuspüren.
Egelsbach – Der 27. Dezember 2021 ist ein ungemütlicher Tag. Zehn Grad, Regen, das Mittelmeer schlägt hohe Wellen. Mit drei weiteren Freiwilligen steigt Omar El Manfalouty auf Lampedusa in ein Flugzeug und beginnt seine Mission. Die Aufgabe lautet: ein Flüchtlingsboot finden, das fünf Tage zuvor einen Notruf abgesetzt hatte und seitdem vermisst wird. Letzter bekannter Standort: 200 Kilometer südöstlich von Malta, irgendwo im Nirgendwo.
Anderthalb Stunden dauert der Anflug, dann beginnt die Suche. El Manfalouty lenkt die kleine Maschine im Tiefflug über den peitschenden Ozean, auch der Rest der Crew hält mit Ferngläsern Ausschau nach dem winzigen Boot. Drei Stunden vergehen, vier Stunden, dann taucht sie plötzlich auf: eine kleine Plastik-Nussschale, auf der sich 18 Leute zwängen, viele von ihnen dehydriert und schwach, einige bereits bewusstlos. Auf dem Radar entdecken die vier Insassen des Flugzeugs einen Öltanker aus Panama, sie funken den Kapitän an und bitten um Hilfe. Mit Erfolg: „Das Schiff ist direkt umgedreht, hat die Menschen gerettet und nach Malta gebracht“, erzählt El Manfalouty. „Wenn wir sie nicht gefunden hätten, wären sie gestorben.“
Geschichten wie diese sind es, die den Egelsbacher in dem bestärken, was er tut. Die ihm zeigen, dass es sich lohnt, Freizeit und Urlaub für seine ehrenamtliche Arbeit in der Seenotrettung zu opfern. Der 29-Jährige ist einer von 15 Piloten, die regelmäßig für die Schweizer Organisation Humanitarian Pilots Initiative übers Mittelmeer fliegen, um Flüchtlingsboote in Seenot aufzuspüren. Gefangen inmitten der Wellen, wartend auf den sicheren Tod, falls keine Hilfe kommt.
Die Leidenschaft fürs Fliegen verspürt El Manfalouty schon seit Kindestagen. Er wächst in Bayerseich auf, in Fußnähe des Flugplatzes. „Jede frei Minute bin ich rüber gelaufen, um Flugzeuge anzugucken“, erzählt er. Sein erster Ferienjob mit 14: Flugzeuge putzen. Nach dem Abitur 2010 beginnt er, Geschichte, Jura und Archäologie zu studieren. Er erhält ein Stipendium, 300 Euro im Monat. Das Geld steckt er in Flugstunden, 2017 hat er den Privatpilotenschein in der Tasche. Anfangs ist die Fliegerei nur ein Hobby, mit Freunden geht es zur Frankfurter Skyline, mit der Familie an den Bodensee. Er tritt dem DFS Fliegerclub bei, einem Pilotenverein der Deutschen Flugsicherung. Dort lernt er einen Mann kennen, der sich selbst bei der Humanitarian Pilots Initiative engagiert – und der ihn fragt, ob er sich nicht auch dort bewerben möchte. Gesagt, getan. „Ich dachte mir, wenn ich mit meinen fliegerischen Fähigkeiten was Gutes tun kann, warum nicht?“, sagt El Manfalouty. Seit 2018 ist er fester Teil des Teams. 2020 macht er seine Berufspilotenausbildung, die ihm auch erlaubt, kommerziell zu fliegen.
Im Hauptberuf ist El Manfalouty wissenschaftlicher Mitarbeiter am historischen Seminar der Frankfurter Goethe-Universität und schreibt an seiner Doktorarbeit über Konzepte politischer Freiheit bei jüdischen und frühen christlichen Gemeinden im Römischen Reich, dazu unterrichtet er in Egelsbach Flugschüler. Wann immer er dazwischen Zeit findet, steigt er in einen Linienflieger nach Malta oder Palermo, um für sieben bis zehn Tage Einsätze als Seenotretter zu fliegen. Vergangenes Jahr war er sieben Mal für die NGO im Einsatz – und dabei gute 200 Stunden in der Luft. Mit zwei Kleinflugzeugen suchen die Ehrenamtler dann das Meer nach havarierten Flüchtlingsbooten ab und informieren – wenn sie eines finden – örtliche Küstenwachen sowie nahe gelegene Marine- und Handelsschiffe. „Sie haben eine Beistandspflicht, egal, ob Regierung oder Privatperson“, betont El Manfalouty. „Das ist wie, wenn man im Straßenverkehr einen Unfall sieht. Da kann man auch nicht einfach weiterfahren.“

Bei seinen Einsätzen erlebt der junge Egelsbacher, der seit Beginn des Jahres auch für die SPD in der Gemeindevertretung sitzt, schwer verdauliche Dinge, die Bilder brennen sich ein. Einmal findet er bei einer fünfstündigen Mission 18 Boote. Ein anderes Mal muss er mitansehen, wie eine libysche Miliz Jagd auf ein Boot macht. „Erst haben sie es gerammt, dann das Feuer eröffnet.“ Aus der Luft filmt El Manfalouty mit seinen Kollegen die Schüsse. Solche Fälle bedrücken ihn. „Aber wenn wir nicht Präsenz zeigen würden, würde das noch viel öfter passieren.“ Verärgert hat ihn ein Fall aus dem Jahr 2020: Aus der Luft entdecken die Seenotretter ein Boot mit einer Leiche, die italienische Regierung sichert zu, es zu bergen. Doch Wochen später findet ein anderer Suchtrupp dasselbe Boot wieder. Niemand hatte sich darum gekümmert. „Wenn wir es nicht mal schaffen, die Toten zu beerdigen, will ich nicht wissen, was mit den Lebenden passiert“, sagt El Manfalouty.
Dass viele Länder das Problem ignorieren und jedes Jahr tausende Menschen beim Versuch, das Mittelmeer zu überqueren, sterben, ist in seinen Augen unterlassene Hilfeleistung. Natürlich müsse man bei jedem einzelnen Geflüchteten mit einem ordentlichen Verfahren prüfen, ob er Anspruch auf Asyl habe. „Aber die Leute sterben zu lassen, weil ich nicht weiß, was ich mit ihnen anfangen soll, wenn ich sie rette, ist ehrlos. Migrationspolitik durch Ertrinken ist nicht akzeptabel.“
Deswegen versuchen El Manfalouty und seine Mitstreiter, vor allem Transparenz und ein Bewusstsein zu schaffen, indem sie die Vorfälle aus der Luft mit Foto- und Videokameras dokumentieren. Der Fall mit der auf dem Mittelmeer umhertreibenden Leiche wurde dank der Arbeit der Humanitarian Pilots Initiative sogar im italienischen Parlament diskutiert. Ein kleiner Erfolg für Omar El Manfalouty, der sich nicht entmutigen lässt und Mitte März zu seiner nächsten Mittelmeer-Mission aufbricht. „Meine Devise ist: Jedes Menschenleben zählt“, sagt er. „Die Vorgeschichte ist mir egal.“ (Manuel Schubert)