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„Wie Fieber mit Jetlag“: Seltene Erkrankung setzt jungen Egelsbacher außer Gefecht

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Von: Nicole Jost

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Der 25-jährige Timo Gergen aus Egelsbach leidet an ME/CFS – und daher an ständiger Erschöpfung. Am Tag der seltenen Erkrankungen erzählt er seine Geschichte.

Egelsbach – Der heutige 28. Februar ist der weltweite Tag der seltenen Erkrankungen. Von den meisten der mehr als 7 000 Krankheiten, die als selten gelten, sind jeweils nur wenige Menschen betroffen. Zusammengenommen sind es aber alleine in Deutschland vier Millionen Personen, für die es nur wenig Forschung und Entwicklung gibt, somit wenige Therapie- und Heilungsmöglichkeiten.

Der Egelsbacher Timo Gergen ist einer der Betroffenen. Er leidet an ME/CFS, kurz für Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom – eine schwere neuroimmunologische Erkrankung, die häufig zu hohen körperlichen Einschränkungen führt. Für den 25 Jahre alten einst sehr aktiven Sportler und Germanistik-Studenten hat sich das Leben schleichend verändert. Waren es zu Beginn im Jahr 2016 nur anstrengende Sporteinheiten, die ihn für einige Tage mit Krankheitssymptomen außer Gefecht setzten, kann es heute eine zu lange Unterhaltung, ein zu langer Blick aufs Handy oder ein zu langes aufrechtes Sitzen sein, dass den jungen Mann völlig ausschaltet.

Seit Oktober habe ich das Haus nur noch für Arztbesuche verlassen, kann nur kurze Zeit am Tag aufstehen.

Timo Gergen
Selbst Lesen und Fernsehen sind kaum mehr möglich: Die Krankheit beeinträchtigt Timo Gergen so sehr, dass er die meiste Zeit des Tages im Bett verbringt.
Selbst Lesen und Fernsehen sind kaum mehr möglich: Die Krankheit beeinträchtigt Timo Gergen so sehr, dass er die meiste Zeit des Tages im Bett verbringt. © privat

„Es ist das Überschreiten von Belastungsgrenzen meines Körpers, das die sogenannten Crashs auslöst“, erklärt Timo Gergen via Sprachnachricht. Diese Belastungsintoleranz ist das Problem, denn die Schwelle ist im Laufe der Jahre immer niedriger geworden. Bei immer weniger Belastung reagiert der Körper heftig. Die Symptome eines Crashs sind fatal: „Es fühlt sich an wie eine sehr schwere Grippe mit 40 Grad Fieber und einem fiesen Jetlag oben drauf. Der komplette Körper schmerzt, auf allen Muskeln ist eine Spannung und Schmerzmittel helfen gefühlt überhaupt nicht“, erläutert Gergen. Die Symptome halten einige Tage, Wochen oder sogar Monate an und machen auch die Nächte zur Tortur.

Kranker Egelsbacher: „Ich liege die meiste Zeit des Tages im Bett“

Gergen zieht von Arzt zu Arzt, er sucht Spezialisten in ganz Deutschland auf – niemand weiß zunächst, was dem jungen Mann fehlt. Das Kranksein, der Verlust von Arbeit und Hobby sowie die soziale Isolation sind ein immenser Ballast – aber das Gefühl, von Ärzten und Gesundheitssystem nicht ernstgenommen zu werden und wenig bis keine Unterstützung zu bekommen, ist ein Schlag ins Gesicht. Erst Ende 2022 erhält er von einem Arzt in Münster die Diagnose ME/CFS.

Zuvor, Ende 2021, löst ein Belastungstest bei einem Kardiologen eine deutliche Verschlechterung des Krankheitsbildes aus: Er muss sein Studium an den Nagel hängen, seine journalistischen Nebenjobs kündigen. Nach einer Pause und einer Stabilisierung über den Sommer kommt im Oktober 2022 der nächste Tiefpunkt. „Völlig aus dem Nichts. Seitdem habe ich das Haus nur noch für Arztbesuche verlassen, kann nur kurze Zeit am Tag aufstehen. Ich liege die meiste Zeit des Tages im Bett und sogar der Handy- oder Fernsehbildschirm sorgen für eine sensorische Überbelastung“, erzählt der Betroffene. Damit er weiter am Familienleben teilnehmen kann, gibt es inzwischen ein zweites Bett im Wohnzimmer. Die beiden Hunde der Gergens verbringen viel Zeit an der Seite des Patienten.

Ein Bild aus besseren Tagen: Timo Gergen entspannt im Spanien-Urlaub.
Ein Bild aus besseren Tagen: Timo Gergen entspannt im Spanien-Urlaub. © privat

Mit der Corona-Pandemie ist die Erkrankung ME/CFS als Folge von Long Covid mehr ins Licht der Öffentlichkeit gerückt. Timo Gergen mag die Übersetzung von CFS nicht – Müdigkeitssyndrom: „Müdigkeit trifft es nämlich gar nicht. Eher Erschöpfung, aber selbst das greift nicht weit genug.“ Das Hauptproblem sei die beschriebene Belastungsintoleranz des Körpers. „Es ist für uns als Eltern der Horror, zu sehen, wie sich der Zustand von Timo permanent verschlimmert und wir können trotz aller Bemühungen nichts dagegen tun“, erzählt Vater Michael Gergen. Es gibt bislang keine Medikamente, keine Therapiemöglichkeiten. Dabei ist die Zahl der Betroffenen gar nicht so gering – 250 000 Menschen haben alleine in Deutschland die Diagnose ME/CFS. „Eines der vielen Probleme ist ja, dass die Betroffenen das Haus nicht mehr verlassen können. Sie werden unsichtbar und damit von der Welt draußen vergessen“, sagt Gergen.

Egelsbach: „Ich bin überwältigt von der Hilfsbereitschaft“

Einen kleinen Hoffnungsschimmer gibt es für die Familie jedoch: Ein Ärzteteam am Hämapherese-Zentrum in Köln erzielt gute Erfolge mit einer sogenannten Immunadsorption. Das ist eine Art Blutwäsche, bei der krankmachende Autoantikörper aus dem Blut herausgefiltert werden. Studien haben gezeigt, dass ME/CFS-Patienten diese Autoantikörper, die körpereigenes Gewebe angreifen, in erhöhter Anzahl im Blut haben. Das trifft auch auf Timo Gergen zu: „Ich habe die Hoffnung, dass diese Behandlung eine solide Verbesserung bringt“, weiß er von Erfahrungsberichten stark betroffener Patienten, dass die Therapie Entlastung gebracht hat. Die Kosten für das Verfahren, rund 15 000 Euro, werden von den Krankenkassen allerdings meist nicht übernommen.

Weltweite Aktionen

Der Tag der seltenen Erkrankungen („Rare Disease Day“) ist ein weltweiter Aktionstag, der seit 2008 immer am letzten Februar-Tag stattfindet. Mit Infoveranstaltungen, Flashmobs, Straßenaktionen, Fachtagungen und Aktionen auf Social Media wollen Betroffene auf sich aufmerksam machen. In Deutschland koordiniert die Achse (Allianz Chronischer Seltener Erkrankungen) die Aktionen.

„Wir sind eine normale Familie und haben in den vergangenen Jahren schon viel Geld für Labortests, Arzthonorare und Anwendungen aufbringen müssen“, sagt Gergen. Er hat daher eine Spendenaktion auf der Plattform gofundme.com gestartet. In nur vier Stunden kamen die 15 000 Euro zusammen, zwei Tage später waren schon über 30 000 Euro Spendengelder eingegangen. So wäre auch eine zweite Behandlung – wenn nötig – möglich. „Ich bin überwältigt von der Hilfsbereitschaft. Ich kann es kaum glauben, damit haben wir nicht gerechnet“, ist der Egelsbacher sehr berührt. Die Fahrt nach Köln, die der junge Mann aufgrund der Strapazen auch ein bisschen fürchtet, ist für Anfang März geplant.

Für Timo Gergen und seine Familie ist es wichtig, dass ME/CFS bekannter wird und Ärzte über die Erkrankung informiert sind, dass es endlich Anlaufstellen gibt, damit Betroffenen wirklich geholfen wird, und dass mehr in Forschung und Entwicklung von Therapien investiert wird. Dazu wollen sie mit seiner Geschichte am Tag der seltenen Erkrankungen beitragen. (Nicole Jost)

Weitere Neuigkeiten aus Egelsbach: Die Gemeindevertretung votierte vor wenigen Tagen einstimmig für die Errichtung eines Teo-Marktes. Doch beim Standort gibt es geteilte Meinungen.

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