Erstklässler-Geschenk der Kirche sorgt für Irritationen

Die Humanistische Gemeinschaft Hessen kritisiert ein Geschenk, das an der Wilhelm-Leuschner-Schule an alle Erstklässler verteilt wurde. Die Lesetüte kommt von der Evangelischen Kirche.
Egelsbach – Ein Einschulungsgeschenk sorgt an der Wilhelm-Leuschner-Schule für Diskussionen. Wie die Humanistische Gemeinschaft Hessen, kurz HuGH (siehe Infokasten), in einem offenen Brief kritisiert, haben alle neuen Erstklässler im Unterricht eine Tüte mit der Aufschrift „Lesen in Gottes Welt“ erhalten. „Wir protestieren auf das Schärfste gegen eine religiöse Vereinnahmung der Grundschulkinder und auch der Eltern“, schreiben die Humanisten.
In der Tüte befanden sich das Kinderbuch „Pudel, Pauken und ein Plan“, ein an die Kinder gerichtetes Schreiben der Kirchengemeinde und die Broschüre „Lesen in Gottes Welt“ für die Eltern. Vor allem Letztere sehen die Humanisten kritisch. Darin befinden sich Tipps wie: „Wenn Sie Ihr Kind zur Schule verabschieden, streicheln Sie seinen Kopf und sprechen Sie: ,Gott segne Dich an diesem Tag.‘ Und dann ab!“
Die HuGH weist darauf hin, dass staatliche Schulen gemäß Grundgesetz zur religiösen Neutralität verpflichtet seien. Religions- oder Ethikunterricht sei – entsprechend der persönlichen Wahl – natürlich möglich. „Aber eine ,Werbung‘ für jedwede Religion oder Weltanschauung sollte außerhalb des jeweiligen (Fach-)Unterrichts aus Neutralität und dem Recht auf negative Religionsfreiheit tunlichst unterbleiben“, so die Humanisten weiter. „Die Art und Weise, in der die Kinder durch ein solches, außerschulisches – aber im Unterricht überreichtes – Geschenk manipuliert werden, ist nicht zumutbar.“
Schulleiter spricht von Versehen
„Das war ein Versehen“, gibt Schulleiter Martin Höhn auf Anfrage zu. Das Geschenk habe eigentlich nur an die protestantischen Kinder verteilt werden sollen. „Die Evangelische Kirchengemeinde Egelsbach hat die Tüten gespendet und hätte sie gern an alle Kinder verteilt. Wir haben sie dann geprüft und entschieden, sie besser nur an die Kinder zu verteilen, die evangelisch sind. Sonst ist es ja Werbung, aber wir müssen uns neutral verhalten“, so Höhn. Durch einen Organisationsfehler seien die Tüten dann aber doch von den Lehrern an alle Kinder verteilt worden. Eltern hätten sich bei der Schulleitung bislang jedoch keine beschwert.
Pfarrer Martin Diehl sieht kein Problem. „Unsere Rechtsabteilung wird sich noch mal mit den Humanisten in Verbindung setzen. Aber aus unserer Sicht ist das von der Rechtslage abgedeckt. Es gibt ja auch ein Recht auf freie Religionsausübung und freie Meinungsäußerung“, sagt er. Laut seiner Aussage wollte die Kirche die Geschenke aber nur an die protestantischen Kinder ausgeben. „Wenn es jetzt an alle gegangen ist, finde ich das persönlich nicht so schlimm“, so Diehl. Schulleiter Höhn gibt sich selbstkritisch: „Das ist uns durch die Lappen gegangen. Vielleicht haben wir da nicht eindeutig miteinander kommuniziert.“ (Manuel Schubert)
Konfessionsfreie Weltanschauung
Die Humanistische Gemeinschaft Hessen (HuGH) bezeichnet sich selbst als „Weltanschauungsgemeinschaft für Konfessionsfreie“ und möchte eine „weltliche, aufgeklärte und zeitgemäße Alternative zu den Angeboten der christlichen Kirchen und anderer religiöser Gemeinschaften“ bieten. Zu den Kernwerten der Humanisten gehören etwa Individualität, Selbstbestimmtheit und Solidarität, aber auch das Eigenrecht der Natur oder der konstruktive und friedliche Austausch von Ideen. Als Alternative zum Religions- und Ethikunterricht bieten die Humanisten Unterricht im Schulfach „Humanistische Lebenskunde – Freie Religion“ an. Mehrere Vorstandsmitglieder des hessischen Landesverbandes sind auch in der Ortsgemeinschaft Egelsbach/Erzhausen/Langen aktiv. (msc)