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„Unternehmerische Vollkatastrophe“

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Von: Jens Dörr

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Bei der Kreuzfahrt-Messe von marena im Januar 2019 beriet Inhaber Peter Scholtis (Zweiter von rechts) in der Eppertshäuser Bürgerhalle noch viele Stammkunden und Interessenten. Nun ist seine Branche lahmgelegt – im konkreten Fall bereits mit dramatischen Folgen. 
Foto: Dörr
Bei der Kreuzfahrt-Messe von marena im Januar 2019 beriet Inhaber Peter Scholtis (Zweiter von rechts) in der Eppertshäuser Bürgerhalle noch viele Stammkunden und Interessenten. Nun ist seine Branche lahmgelegt – im konkreten Fall bereits mit dramatischen Folgen. Foto: Dörr

Der Eppertshäuser Kreuzfahrt-Anbieter marena entlässt wegen der Corona-Pandemie fast die Hälfte seiner Mitarbeiter und schließt fünf Büros. Der Standort seines Büros am Franz-Gruber-Platz bleibt erhalten. VON JENS DÖRR

Eppertshausen – „Kreuzfahrt-Boom: marena mit 20 Prozent Wachstum“: So überschrieb unsere Zeitung im Januar 2019 einen Artikel zum „Kreuzfahrt-Erlebnistag“ in der Bürgerhalle, den das Eppertshäuser Unternehmen alle zwei Jahre veranstaltet. 17 Monate und eine Pandemie später ist nichts mehr, wie es war: Den bis dato erfolgreichen Kreuzfahrt-Anbieter vom Franz-Gruber-Platz trifft die Corona- und Reisekrise so hart, dass er fünf seiner Standorte schließen muss und fast die Hälfte seiner Mitarbeiter entlassen hat. Trotz Soforthilfe und KfW-Kredit verdeutlicht marena-Inhaber Peter Scholtis, dass der Status quo nicht mehr lange zu ertragen sei.

Eigentlich propagieren Bund und Länder, dass die Soforthilfe für die hiesigen Unternehmen beim Bezahlen der betriebswirtschaftlichen Ausgaben zumindest drei Monate lang helfen sollen. „In unserem Fall hat sie gerade für den März gereicht“, schildert Scholtis, was in seinem realen unternehmerischen Alltag Sache ist. Bei zehn deutschen Standorten mit ebenso vielen Büros kam marena mit der genehmigten Soforthilfe nicht weit; deren Höhe bemisst sich nach der Zahl der Mitarbeiter, die bei marena bei zwölf liegt. Besser gesagt: lag.

Denn die Corona-Krise und der Totaleinbruch im Reisegeschäft haben beim Eppertshäuser Kreuzfahrt-Spezialisten bereits zur schlimmsten aller unternehmerischen Konsequenzen geführt: Fünf seiner zwölf Mitarbeiter musste Scholtis entlassen. „Weitere fünf sind derzeit in Kurzarbeit“, berichtet er, der am Franz-Gruber-Platz die Stellung hält. Der Standort Eppertshausen soll erhalten bleiben, ebenso die Büros in Offenburg, Hannover und Bad Kreuznach. Die Handvoll weiterer Standorte, die marena bislang betrieb, werden geschlossen.

Denn trotz der Lockerungen, die es in den nächsten Wochen auch im internationalen Tourismus geben soll: Das Virus wird die Möglichkeiten der Branche im Allgemeinen und der Kreuzfahrt-Anbieter im Speziellen noch lange einschränken. „Uns war im März klar, dass der Neustart nicht im Mai erfolgen würde“, sagt Scholtis zwar. „Wir hatten aber auf den August gehofft.“ Auch daran sei nun aber überhaupt nicht mehr zu denken: „Vielleicht können wir im September wieder erste Fluss-Kreuzfahrten durchführen. Bei Hochsee-Kreuzfahrten sehe ich die ersten ganz vorsichtig wieder Ende November starten.“

Die Hygienekonzepte der Reedereien lägen vor, sagt Scholtis. Dass das Geschäft noch Ende dieses Jahres wieder nennenswert in Gang kommen könnte, bezweifelt er jedoch: „Wir sind sehr nah an unseren Kunden dran. Mit Maske, Abstand und viel Ungewissheit hat keiner Lust, auf eine Kreuzfahrt zu gehen. So stellt sich niemand einen Urlaub vor.“

Abzuwarten bleibe auch, inwiefern sich eine Kreuzfahrt für die Veranstalter wirtschaftlich darstellen lasse, wenn ein Schiff nur mit 50 Prozent der Gäste ausgelastet werden dürfe. „Zumal man wahrscheinlich eher mehr als weniger Personal brauchen wird“, meint Scholtis und hat dabei zum Beispiel die Buffets im Kopf, wo die Ausgabe der Speisen durch die Crew die Selbstbedienung ablösen könnte.

Mit marena will Peter Scholtis unbedingt durchhalten, hat aber nichts schönzureden: „Unternehmerisch ist das eine Vollkatastrophe.“ Nicht nur wegen der Standort-Schließungen und der Entlassungen: „Wir haben monatelang praktisch umsonst gearbeitet.“ Die Provisionen, die eigentlich verdient schienen, können nun nicht realisiert werden oder müssen zurückgezahlt werden. 250 marena-Kunden ist ihre Kreuzfahrt in den vergangenen Wochen schon flöten gegangen – und dem Unternehmen damit 580 000 Euro Umsatz.

Das ist noch nicht alles, wie Scholtis erläutert: „Von März bis heute fehlen Neubuchungen im Wert von einer Million Euro.“ Auch in den kommenden Wochen dürften ihm die Kunden kaum die Bude einrennen. Weil die staatliche Soforthilfe nur ein Tropfen auf den heißen Stein war, hat sich marena verschuldet: „Wir haben einen KfW-Kredit aufgenommen“, sagt der Inhaber. „Die Hürden der Bank dafür waren sehr hoch, wir bekamen ihn aber genehmigt. Schließlich waren wir vorher unternehmerisch ja sehr gut und erfolgreich tätig.“

Das will Scholtis auch weiter sein, obgleich marena personell erst mal kleiner aufgestellt sein wird und sich wohl über eine lange Strecke berappeln muss: „Wir werden erst in fünf, sechs Jahren wieder auf dem Stand von heute sein“, glaubt er. Persönlich habe er seit Ausbruch des Corona-Virus’ „meine Altersvorsorge gestoppt und mir kein Gehalt mehr ausgezahlt“.

Was ihn positiv bleiben lasse, sei seine Erfahrung mit Krisen, „auch wenn diese nach Pleiten von Airlines, Reedereien oder Thomas Cook die schwerste ist, die diese Branche erlebt hat“, wie Peter Scholtis konstatiert. Trotzdem: „Wir kriegen’s hin und bleiben optimistisch!“

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