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Nach Gewaltattacke: Mutter-Tochter-Gespann verhilft Waldbewohner zu Apartment

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Von: Norman Körtge

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Zwei neue Freunde und ein neues Dreirad: Stefan zusammen mit Anke (links) und Antonia Leben.
Zwei neue Freunde und ein neues Dreirad: Stefan zusammen mit Anke (links) und Antonia Leben. © Körtge

Im April wird Stefan in seinem Wald-Wohnwagen in Eppertshausen Opfer einer Gewaltattacke von Jugendlichen. Ein Wendepunkt in seinem Leben.

Eppertshausen/Münster- Das gerahmte Foto auf der Fensterbank in dem kleinen Appartement spricht Bände. Es zeigt einen lachenden Mann, eingerahmt von zwei Frauen. Ein Anblick, der in diesem Frühjahr noch undenkbar schien.

Stefan, so heißt der 61-jährige Mann, ist damals Opfer einer fiesen Gewalttat geworden. Er wohnte abgeschieden und alleine in einem Wohnwagen auf einem heruntergekommenen Grundstück in der Nähe des Hauses Westermann in Eppertshausen, als ihn Jugendliche attackierten und schwer verletzten. Im Nachgang ein entscheidender Wendepunkt in seinem Leben. Dass der Eremit den Weg zurück in die Zivilisation gefunden hat, ist der Hartnäckigkeit eines engagierten Mutter-Tochter-Gespanns zu verdanken.

Eppertshausen (Kreis Darmstadt-Dieburg): Mutter-Tochter-Gespann hilft Eremit

„Nein!“ – ein Wort, das die beiden Frauen auf dem gerahmten Foto auf der Fensterbank, Anke und Antonia Leben, im Frühjahr des Öfteren aus dem Mund von Stefan gehört haben, als sie ihm immer wieder ihre Hilfe und Unterstützung anboten. Der 61-Jährige grinst verschmitzt, während er zusammen mit den beiden auf gemütlichen Sesseln im Foyer des gepflegten Apartmenthauses „Boarding M“ im Münster Gewerbegebiet Auf der Beune sitzt, und den Anfängen ihrer Freundschaft lauscht.

Zwei Attacken im April

Ende April attackierten Jugendliche Stefan am helllichten Tag. Dabei rammten sie nach Polizeiangaben einen großen Holzpfahl durch die Wohnwagen-Scheibe und trafen ihn beim Lesen im Gesicht. Stefan erlitt Abschürfungen und ein Hämatom unter dem Auge. Außerdem beschädigten die Angreifer auch sein Dreirad und nahmen sein Kofferradio mit. Bereits Tage zuvor hatten die Jugendlichen Stefan heimgesucht und ihn mit Pfefferspray attackiert. Nach der zweiten Gewalttat informierte ein Bekannter von Stefan, der ihn verletzt aufgefunden hatte, die Polizei.

Es folgte eine öffentliche Fahndung nach den Tätern. Zwei Wochen später konnte die Polizei zwei der drei Tatverdächtigen im Alter von 16 Jahren festnehmen. Im Zusammenhang mit der Festnahme durchsuchte die Polizei auch die Wohnungen der Verdächtigen und stellte Handys sicher. Nach Angaben der Polizei hätten sich die beiden Eppertshäuser in den Vernehmungen einsichtig gezeigt und ihr Handeln weitgehend eingeräumt. Sie müssen sich nun unter anderem wegen gefährlicher Körperverletzung, Hausfriedensbruch und Bedrohung verantworten.  (nkö)

„Er ist ein total Netter“, sagt Antonia Leben. Mit Schrecken denkt sie an die ersten Begegnungen mit Stefan Ende April und Anfang Mai zurück. Sie hatte von der brutalen und hinterhältigen Attacke auf den Mann in der Offenbach Post gelesen. Ihr Gedanke: Ihm muss geholfen werden. So machte sich die junge Frau aus Ober-Roden auf den Weg ans Ende der Nieder-Röder-Straße in Eppertshausen. „Er sah total schlecht aus“, erzählt sie von der ersten Treffen. Seine rechte Gesichtshälfte war geschwollen und von einem großen Bluterguss geprägt.

Waldbewohner aus Eppertshausen: Bürgerliches Leben bis 1989

„Ich habe Glück gehabt, dass nicht mein Auge getroffen wurde“, erinnert sich Stefan. Hilfe habe er zunächst abgelehnt, wäre da nicht der Hunger gewesen. „Also bin einkaufen gefahren“, erzählt Antonia Leben. Eine ordentliche Brotzeit mit Wurst, Frikadellen, Käse und Apfelsaft brach das erste Eis und sorgte für Vertrauen, das nach und nach größer wurde.

„Da wollte ich auf keinen Fall hin. Alles marode“, erzählt Stefan schließlich, warum er trotz Kontakten zur Gemeinde Eppertshausen immer wieder Angebote abgelehnt habe, in die dortige Notunterkunft zu ziehen. Er zog den Wohnwagen im Wald der Sammelunterkunft vor. Zwölf oder 14 Jahren, so genau wisse er es auch nicht mehr, wohnte er auf dem Gelände der ehemaligen Waldgaststätte am Ortsrand.

Bis 1989 war Stefans Leben noch ganz bürgerlich gewesen. Er wohnte in Babenhausen bei seinem Onkel, einem US-Amerikaner. Aber als dieser zurück in die Staaten ging, verlor er diese Unterkunft. Er packte seinen Rucksack und zog durch Deutschland. Vier Jahre verbrachte er in Bruchsal in Baden-Württemberg, wo er in einer karitativen Einrichtung ein Zimmer hatte und dort auch arbeitete. Irgendwann ging es wieder ins Rhein-Main-Gebiet. In Frankfurt wollte er nicht bleiben, landete erst in Dieburg, bevor er durch Hörensagen auf das Gelände in Eppertshausen aufmerksam wurde.

Waldbewohner im Kreis Darmstadt-Dieburg: An Weihnachten steht Essenspaket vor Tür

„Der Wohnwagen stand schon immer da. Anfangs war da immer was los“, erzählt Stefan und davon, wie dort ein Gebäude abgebrannt sei. Aber irgendwann ist er dort alleine gewesen. Durch sein Fahrrad und später mit einem Dreirad, das bei Attacke der Jugendliche zerstört wurde, war er mobil. Ab und an kam auch jemand zu Besuch vorbei. Und besonders erinnert er sich, dass an Weihnachten immer jemand ein Essenspaket bei ihm abgestellt habe.

Als „hart und entbehrungsreich“ beschreibt Anke Leben, die in Jügesheim Inhaberin des Nachhilfe-Zirkels ist, Stefans Leben in den vergangenen Jahren. Zusammen mit Bekannten wollte das Mutter-Tochter-Team im Frühjahr als ersten Schritt das kaputte Wohnwagenfenster reparieren lassen und startete auch eine Aufräumaktion im und rund um die Behausung im Wald. Aber ein schlimmer Sturz, bei dem sich Stefan einen Oberschenkelhalsbruch zuzog, ließ Anke und Antonia Leben nicht ruhen.

Stefan könne nicht noch länger unter den spartanischen Zuständen leben – und sie organisierten ihm ein Apartment im „Boarding M“ von Ulrike Tauber. „Sie hat ihn freundlich und unkompliziert aufgenommen und beim Ausfüllen diverser Behördenformulare geholfen“, ist Anke Leben voll des Lobes über die Unterstützung.

Eppertshausen/Münster: Waldbewohner fühlt sich wohl in Wohnung

Nach Operation und Klinikaufenthalt in Groß-Umstadt sowie einer Reha in Wiesbaden, ist Stefan Mitte Juni in sein kleines Apartment eingezogen. Und fühlt sich offensichtlich sehr wohl. Auch, weil er in direkter Umgebung seinen Hausarzt, seine Physio und Einkaufsmöglichkeiten hat. Seit Kurzem hat er auch wieder ein Dreirad und ist damit mobil.

Indes dauert das Aufarbeiten der Gewalttat an. Um seine Interessen, vor allem hinsichtlich Schmerzensgeldforderungen, durchzusetzen, haben die Lebens den Rödermarker Anwalt Manfred Kant gewinnen können, der Stefan pro bono vertritt.

Spenden

Anke und Antonia Leben haben ein Spendenkonto eingerichtet, das sie gemeinsam mit Stefan verwalten: Sparkasse Dieburg, Leben, IBAN DE 03 5085 2651 0002 3852 84; eine Alternativ dazu ist, über Paypal: gemeinsamstrong@gmail.com. (nkö)

Eppertshausen/Münster: Tagesausflug ins Technikmuseum nach Sinsheim geplant

Nachdem Stefan mit der tatkräftigen Unterstützung von Anke und Antonia Leben den Weg zurück in gepflegte und geordnete Verhältnisse geschafft hat, würden ihm die beiden gerne einen gemeinsamen Tagesausflug ins Technikmuseum nach Sinsheim spendieren. „Das hat er sich nach diesem Jahr verdient“, meint Anke Leben. (siehe „Spenden“). Und vielleicht findet dann ein weiteres, gerahmtes Erinnerungsfoto an den Ausflug einen Platz in Stefans Apartment. (Norman Körtge)

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