„Das Imperium des Schönen“ bei Frankfurter Positionen im Kammerspiel
Frankfurt – Vorab gab es eine inhaltliche Dissonanz zwischen der ursprünglichen Regisseurin und dem Autor. Eine andere Regisseurin hat daraufhin die Sache übernommen. Herausgekommen ist eine Inszenierung, die einesteils sehr einlässlich mit dem Text umgeht – in einem fundamentalen Punkt indes hat sie ihm durch Weglassen eine wesentliche Dimension genommen. Von Stefan Michalzik
Die Stuttgarter Uraufführung von „Das Imperium des Schönen“ vom Januar durch Tina Lanik war am Mittwoch im Zuge des Festivals Frankfurter Positionen in den Kammerspielen des hiesigen Schauspiels zu sehen.
Der Dramatiker Nis-Momme Stockmann schickt in seinem neuen Stück eine Familie auf eine Reise nach Japan. Falk, ein Professor der Philosophie (Marco Massafra), hat über Frau und Kinder hinaus auch die Kosten für seinen schluffigen Bruder Matze (Martin Bruchmann) übernommen. In einem Moment, in dem er ein Glas zuviel getrunken hat, lädt er dessen Freundin Maja (Nina Siewert) mit auf die Reise ein.
Maja ist Bäckereifachverkäuferin und Vegetarierin, was schon mal einiges Konfliktpotenzial birgt. Erst recht bringt es Falk auf die Palme, dass sie sich für den weltgrößten Elektronikmarkt mehr interessiert als für die vielen Tempel, die er besuchen will. Von seinem 120 Euro teuren Sake will sie nichts wissen, weil sie gerade keinen Alkohol trinkt und Matze es deshalb auch nicht darf. Überhaupt will sie mehr allein mit Matze unternehmen. Der dreht und windet sich und will es jedem Recht machen.
In Tokio, das lässt Maja fortwährend anklingen, leben die Menschen ungeheuer dicht gedrängt und nichtsdestotrotz sterben ganz viele einsam. Es geht in diesem Stück um Fragen der Gemeinschaft, um den Einzelnen und die anderen, Anpassung und Individualität. Und um die Unterschiede zwischen der westlichen und der fernöstlichen Kultur. Den Umstand, dass in Stockmanns Vorlage der zwanghaft penible und dominant bestimmende Falk einmal Maja auf einer universitären Party angebaggert hat, unterschlägt die Regisseurin Tina Lanik. Warum auch immer.
So kommt es in erster Linie zum rhetorisch brillant spitzfindig-aggressiven, intellektuellen Schlagabtausch zwischen Falk und Maja, die auf Augenhöhe Paroli zu bieten vermag. Mehr noch: Falk steht zum Schluss vollends alleine da. Nicht nur reist Maja mit dem willfährigen Matze im Schlepptau ab, auch seine Frau Adriana, von Katharina Lauter im japanischen Kostüm famos launig-trocken gespielt, verlässt ihn mit den Kindern, weil sie sich vernachlässigt fühlt.
Laniks bis auf zwei seitliche Stuhlreihen leerer schwarzer Raum ist der Präsentierteller für eine fast schon comicstriphaft überzeichnete, bei allem Humor indes in keinem Moment ins Alberne getriebene Szenenfolge. Eine kommentierende Rolle, beinahe nach Art des antiken Chores, nehmen Daniel Fleischmann und Marielle Layher als die beiden in altuniversitäre Uniformen gesteckten Kinder ein.
Das ist eine sehr amüsante Theaterarbeit, mitnichten verliert sie sich in einer wohlgefälligen Überdrehtheit. Ein ausgezeichneter Text, der sich tatsächlich als „Drama“ klassifizieren lässt. Mag er auch seiner tatsächlichen Uraufführung noch harren, die leichtfüßige wie formbewusste Inszenierung von „Das Imperium des Schönen“ ist es allemal wert, angesehen zu werden.