1. Startseite
  2. Region
  3. Frankfurt

Mo ist Türsteher, Pädagoge und volltätowiert: „Menschen urteilen sehr, sehr schnell“

Erstellt:

Von: Luis Teschner

Kommentare

Moacy Valencise steht auf der Straße und schaut in die Kamera
Mo ist volltätowiert: „Wenn ich in den Spiegel schaue, dann sehe ich nicht meine Tattoos.“ © Luis Teschner

Seit 24 Jahren lässt Mo sich von Kopf bis Fuß tätowieren, auch im Gesicht. Für ihn sind seine Tattoos etwas Bleibendes in einer vergänglichen Welt.

Frankfurt – Wenn der 40-jährige Moacy Valencise durch Frankfurt läuft, bleiben einige Leute stehen und gucken. Manche sprechen ihn an und möchten ein Selfie mit ihm machen. Oder sie beleidigen ihn. Oder sie bekreuzigen sich und spucken auf den Boden. Dabei ist Mo nicht etwa eine Person des öffentlichen Lebens, die regelmäßig für erhitzte Gemüter sorgt.

Nein, aber Mo hat auffällige Tattoos am ganzen Körper, auch im Gesicht und auf den Händen. Damit sorgt der Türsteher und Traumapädagoge für Aufsehen und gespaltene Meinungen. Mit IPPEN.MEDIA sprach er über seinen Alltag und was die Tattoos für ihn und seine Mitmenschen bedeuten.

Mo über seinen Weg zu den Tattoos: „Mein erstes Tattoo war furchtbar hässlich“

Wie hat deine Leidenschaft für Tattoos angefangen?

Mein erstes Tattoo bekam ich mit 16, die Tätowiererin war gleichzeitig meine erste Freundin. Es wurde ein furchtbar hässliches Tribal auf dem Oberarm, das heute übermalt ist. Dann ging es zum Unterarm weiter. Dabei bin ich an eine gesellschaftlich auferlegte Grenze gekommen: die Hände. Ich habe mich dennoch dazu entschlossen, aber anschließend wollte ich erstmal weg von dieser Grenzüberschreitung.

Also bist du erstmal woandershin ausgewichen.

Genau. Anschließend ging es auf den Rücken und auf die Beine. Dann dachte ich mir: „Was interessiert mich die Meinung der anderen Leute? Lass mal meinen Hals anfangen.“ Als der Hals voll war, fragte ich mich, warum nicht auch das Gesicht. Peu à peu wie ein Puzzle. Irgendwann war das Gesicht auch voll.

Was hat dich zu dieser „Grenzüberschreitung“ auf die Hände bewegt?

Na ja, man rebelliert immer, egal wie alt man ist. Unterbewusst gegen das Elternhaus, und ich hatte ein sehr konservatives Elternhaus. Und je stärker dir von außen suggeriert wird, dass du etwas nicht darfst, desto stärker ist der individuelle Drang, es trotzdem zu tun.

Was sagen deine Eltern zu deinen Tattoos?

Natürlich waren meine Eltern nicht glücklich damit und es wurde ja immer schlimmer. Aber mittlerweile bin ich eben derjenige, der ich bin und bin sehr cool mit meinen Eltern. Im Gesicht war es anders, weil es auch mein sonstiges Umfeld stärker betraf. Je mehr ich gespürt habe, wie mein Umfeld darauf reagiert, desto egaler wurde es mir. Und das war ein sehr schöner Moment, denn umso egaler mir das Ganze wurde, desto entspannter wurden auch die Leute um mich herum.

Hast du dir die Tattoos stechen lassen, um bewusst Grenzen zu überschreiten?

Nein. Die Grenzüberschreitung war das, worin es gemündet ist, nicht die Intention. Ich habe irgendwann festgestellt, dass wir in einer sehr verschwenderischen Gesellschaft leben. Alles, was wir haben, materielle Dinge, aber auch Freundschaften und sogar Liebe, ist irgendwie vergänglich. Außer Tätowierungen. Dafür bezahlst du ein einziges Mal und dann gehen sie nicht mehr weg und du trägst sie mit dir, bis du stirbst. Das fühlt sich nach wie vor sehr gut an.

Deine Handflächen sind nicht tätowiert. Welche Stellen sind für dich immer noch tabu?

Dazu gibt es eine lustige Geschichte. Ich war neulich in Bornheim auf dem Markt und dann kam eine ältere Frau auf mich zu. Sie hat mich von oben bis unten gemustert und laut gefragt, ob mein Penis auch tätowiert ist. Fand ich ziemlich lustig, sehr diskret war sie auf jeden Fall (lacht). Ich habe ihr dann gesagt, dass es sie nichts angeht. Er ist übrigens nicht tätowiert. Anschließend habe ich mich aber gefragt, ob das irgendwann kommen könnte – definitiv nein. Also das ist eine Stelle, auf die ich gar keinen Bock hätte.

Moacy Valencise

Moacy Valencise ist 40 Jahre alt, aufgewachsen in Usingen und wohnt heute in Sachsenhausen in Frankfurt. Nach einem Studium der Sozialpädagogik bildete er sich zum Traumapädagogen weiter. Nebenbei arbeitet er seit 14 Jahren in verschiedenen Frankfurter Clubs als Türsteher.

„Am Anfang waren die Reaktionen sehr ablehnend, sehr erschrocken“

Wie reagieren die Menschen auf deine Tattoos?

Ich habe das anfangs sehr deutlich gemerkt, weil ich darauf geachtet habe. Wie, wenn man ein neues Mode-Accessoire hat. Das trägt man nicht nur, weil man es selbst schön findet, sondern man hofft auch auf die Reaktion der anderen.

Und waren die Reaktionen wie erhofft?

Am Anfang waren viele Menschen sehr ablehnend und erschrocken. Manchmal kommt es vor, dass Leute Fotos mit mir machen wollen. Oder sie bekreuzigen sich und spucken auf den Boden. Menschen beobachten Menschen und urteilen sehr, sehr schnell. Inzwischen habe ich mir einen Tunnelblick angeeignet. Ich sehe das nicht mehr. Wenn jemand auf mich zukommt, bin ich erst mal erschrocken, weil ich mich frage, was dieser Fremde von mir will.

Treffen dich die Reaktionen oder hast du ein dickes Fell?

Auf jeden Fall ein dickes Fell. Wenn ich in den Spiegel schaue, dann sehe ich nicht meine Tattoos, sondern dann sehe ich so, wie ich eben bin. Das bin ich und so gehe ich jeden Tag aus dem Haus. Wenn jemand sich an mir stört, ist das nicht mein Problem. Sich das ständig widerzuspiegeln, führt zu einem sehr dicken, aber auch einem sehr schönen und beruhigten Fell, weil es einen einfach nicht mehr juckt.

Ist Deutschland tolerant gegenüber Menschen mit Gesichtstattoos?

Ich bin in einem kleinen Kaff im Hintertaunus groß geworden, das ich extrem gehasst habe. Da wäre es für mich wesentlich schlimmer gewesen als in Frankfurt, wo man anonymer ist. Trotzdem sehe ich Verbesserungsbedarf bezüglich der Toleranz.

Inwiefern?

Das ist ähnlich wie mit der Toleranz gegenüber allem, was einem fremd erscheint. Manchmal frage ich mich: Warum sind diese Menschen so feindselig? Weil sie Angst haben vor dem, was sie nicht kennen. Vielleicht wollen sie auch gerne so sein wie ich, aber trauen sich nicht. Manche Menschen wehren sich permanent gegen Unbekanntes. Deshalb finde ich es wichtig, dass es Menschen gibt, die aus dem Raster fallen.

Traumapädagoge und Türsteher: „Beruflich haben meine Tattoos noch nie Probleme gemacht.“

Türsteher und Traumapädagoge sind zwei sehr verschiedene Berufe. Oder?

Es gibt viele Überschneidungen. Wenn jemand sturzbetrunken vor mir zusammen sackt, dann wünscht sich derjenige nicht einen harten Türsteher, der ihn dann noch quer über die Straße schleift, sondern Empathie und jemanden, der auf einen aufpasst. Natürlich, wenn es irgendwie mal kracht und es unangenehm ist oder ich jemanden rausschmeißen muss, dann hat das nichts mit dem zu tun, was ich hauptberuflich mache. Als Pädagoge ist für mich der beste Arbeitstag, wenn Menschen sich in akuter Notlage sich befinden und nicht wissen, wohin und ich ihnen ein bisschen die diese Angst nehmen kann. Dann weiß ich, ich habe alles richtig gemacht.

Haben deine Tattoos dich in deinem beruflichen Werdegang gehindert?

Nein. Ich konnte immer mit Fachkompetenz und der Art und Weise überzeugen, wie ich mit Klientel oder mit Patienten umgehe. Natürlich ist es aufgefallen, natürlich wurde danach gefragt. Ich habe dann aber immer darauf hingewiesen, dass es hier nicht darum geht, wie ich aussehe, sondern einzig und alleine darum, was ich gelernt habe und was ich kann. Alles andere ist meine Privatsache.

Interview: Luis Teschner

Auch interessant

Kommentare