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„Der Ruf ist heute unermesslich“

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Von: Lisa Berins

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Peter Cachola SchmalMuseumsleiter
Peter Cachola SchmalMuseumsleiter © Agenturen

Frankfurt – Das Bauhaus ist schon längst zum Mythos geworden: Es gilt als wichtigste Bildungsstätte für Architektur, Kunst und Design im 20. Jahrhundert. Der 100.

Geburtstag wird in diesem Jahr mit Ausstellungen, Büchern, Feiern, Filmen, sogar neuen Museen gefeiert – ein regelrechter Bauhaus-Tourismus ist ausgebrochen. Wir haben mit dem Direktor des Deutschen Architekturmuseums in Frankfurt, Peter Cachola Schmal, über den Hype gesprochen und ihn um seine Einschätzung zur Bedeutung des Bauhauses gebeten.

Herr Schmal, das ist doch ein Wahnsinns-Wirbel dieses Jahr. Wird das Bauhaus generell vielleicht etwas überbewertet?

Ja. Erstens ist es überbewertet und zweitens wird heute aufgrund des Jubiläums alles miteinander vermengt. Und das ist ein Fehler. Tel Avivs „White City“ wird heute zum Beispiel als die größte Bauhausstadt der Welt verkauft, was Quatsch ist. Dort haben ausgewanderte Architekten eine neue Stadt der internationalen Moderne verwirklicht. Darunter waren auch ein paar Bauhausschüler, aber auch viele andere europäische Architekten, die sich der Moderne verpflichtet fühlten und ihrer neuen Stadt. Es gab in den 20ern, 30ern und nach dem Weltkrieg noch viele andere Bewegungen. Doch die Bauhäusler hatten es geschafft, dass ihr Name im Rückblick immer bedeutender wurde. Mit jedem Jahrzehnt wurde der Ruf größer, und heute ist er unermesslich. Das spiegelt aber nicht unbedingt die Bedeutung wieder, die es damals gehabt hat.

Inwiefern?

Die anderen Bewegungen waren mindestens genauso wichtig. Und eine der größten war hier das „Neue Frankfurt“ unter Ernst May, der von 1925 bis 1930 als Stadtplanungsdezernent tätig war und in diesen Jahren sehr viele gute Mitarbeiter im Hochbauamt einstellte. In nur fünf Jahren baute er etliche Siedlungen mit über 10 000 Wohnungen. Daneben entstand das IG-Farben-Haus, die neue Klinik, Schulbauten, Kirchen, die Großmarkthalle, Gemeinschaftsbauten. Es war das größte und wahrscheinlich interessanteste Projekt des Neuen Bauens überhaupt in Deutschland.

Wurden in Frankfurt denn nicht nur die ästhetischen Ideale des Bauhauses umgesetzt?

Nein, die Ideen stammen nicht von der Bauhaus-Schule, sie wurden nicht aus Weimar oder Dessau vorgegeben. Sie entstanden an mehreren Orten zur selben Zeit. Zum Beispiel in Karlsruhe, in Magdeburg oder in Stuttgart. Es war eine europäische Bewegung in Kunst und Kultur, auch in der Architektur.

Woher kamen auf einmal diese neuen Ideen vom modernen Bauen?

Als Ernst May 1925 aus Breslau kam, hat er sich die formalen Ideen der Moderne sehr schnell angeeignet und preschte voran. Er wollte der erste sein, der in Deutschland einen Bau der Moderne realisierte, und er war mit seiner eigenen Villa einige Monate früher fertig als Gropius mit dem neuen Bauhausgebäude in Dessau.

Woher hatte er die Vorstellungen, wie genau das neue Bauen aussehen soll?

Nach dem Ende des Weltkriegs und nach der russischen Revolution von 1917 hing ein großer Aufbruch in der Luft, nicht nur in der Kunst. Es gab Architekten, wie Le Corbusier, die eine bestimmte Auffassung prägten und formulierten: eine reduzierte Formsprache, ein modulares Denken, industrielle Produktionsmethoden, keine Verzierungen. Er nannte es den „L’esprit nouveau“. Neu war das Wort der Stunde. Die neue Architektur, der neue Mensch, daher auch das Neue Frankfurt.

Weshalb kennen wir dann heute vor allem das Bauhaus?

Das Bauhaus hatte wichtige Professoren, die später in den USA oder in Westeuropa eine große Rolle als die Architekten und Künstler der Moderne spielen sollten, wie Walter Gropius, Ludwig Mies van der Rohe, Marcel Breuer, Künstler wie Paul Klee, László Moholy-Nagy, Josef Albers oder Wassily Kandinsky. In Amerika nahm die Moderne erst mit den europäischen Einwanderern im Zweiten Weltkrieg richtig Fahrt auf. Sie wurde zum „International Style“, so der Titel der wichtigen Ausstellung im New Yorker MoMa 1932. Die beiden Bauhaus-Direktoren stellten sich in den USA quasi als die Erfinder der Moderne dar. Aus den USA wurde diese Moderne dann nach dem Krieg reimportiert nach Europa. Man baute jetzt große Kisten im Internationalen Stil mit Vorhangfassade.

Und was war mit den Protagonisten in Frankfurt?

Die sind leider in die falsche Richtung migriert: Ernst May und seine sogenannte Brigade sind, als es 1930 politisch wegen der wirtschaftlichen Lage und der aufkommenden Nationalsozialisten in Frankfurt schwierig wurde, in die Sowjetunion zu Stalin gegangen, ein lukrativer Auftrag wurde ihnen angeboten, Wohnungsbau im ganz großen Stil zu betreiben. Da die Sowjetunion auch nach dem Weltkrieg der größte Feind des Westens blieb, war das nicht sehr hilfreich für ihren weiteren Weg.

Mit der Auswanderung in die USA standen Gropius und Co. auf der „richtigen“ Seite der Geschichtsschreibung. Wie hat sich der Ruf des Bauhauses dann ins Unermessliche gesteigert?

Die Bedeutung des Wortes Bauhaus steigt seit mindestens 30 Jahren. Ich vermute, dass es auch mit einer fortwährenden Diskussion darüber zusammenhängt. Je größer der zeitliche Abstand, desto mehr wird der Begriff „Bauhaus“ zum Synonym der gesamten Moderne in Deutschland. Außerdem wollen nicht nur wir Deutschen, dass nicht alles aus Deutschland nur negativ besetzt ist. Und Bauhaus bietet uns die Chance auf einen guten und moralisch richtigen Impuls made in Germany, der ausweislich anti-nationalsozialistisch war, der uns heute entlasten und stolz machen kann. Wie man sieht, haben wir diese Chance ergriffen – und in allen Medien wird diese frohe Botschaft weitergetragen.

In Wirklichkeit ist aber das Neue Bauen in Frankfurt wichtiger als das Bauhaus?

Heute nicht, aber damals war es bedeutender. Das Bauhaus war die Schule, Frankfurt die Baustelle der Moderne. Und das wollten wir in den diesjährigen Ausstellungen im Deutschen Architekturmuseum, im Museum Angewandte Kunst und im Historischen Museum zeigen. Foto: bernd gabriel

Das Gespräch führte

Lisa Berins

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