„Nur fürs Klima demonstrieren geht nicht“

Vor kurzem standen Fridays for Future noch voll im Fokus. Mittlerweile sind sie ein wenig vom Radar der Medien verschwunden. Was ist aus der Bewegung geworden?
Frankfurt/Offenbach – 300 000. Mehr als doppelt so viele Demonstrierende, wie Offenbach Einwohner hat. So viele Menschen hat Fridays for Future (FFF) am 15. März 2019 für den ersten globalen Protesttag der Klima-Bewegung in Deutschland mobilisiert. An ihren Aktionen wie den freitäglichen Schulstreiks konnte sich manche reiben. Wer alt genug sei, um zu demonstrieren, „ist auch alt genug, um den Stoff nachzuholen“, sagte etwa die damalige CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer.
Und trotzdem, von den wöchentlichen Schulprotesten bekommt man mittlerweile nichts mehr mit. Ist die Demo-Lust schon wieder verflogen? Ilkhom Soliev forscht an der Universität Halle-Wittenberg zu Zusammenhängen von sozialen und umweltpolitischen Themen. FFF hat er zuletzt intensiv verfolgt. Er glaubt: „Die Bewegung hatte damit zu kämpfen, dass sie während Corona nicht mehr aktiv protestieren konnte.“ Andere Herausforderungen seien hinzugekommen. Je mehr FFF wuchs, desto mehr musste organisiert werden. „Es gab Anzeichen für einen internen, strukturellen Wandel. Es ging darum, wie die Initiative besser koordiniert werden soll. Und ob FFF überall die gleichen oder doch eher diverse Messages verbreiten will, um die verschiedenen Aspekte der Klimapolitik zu adressieren.“
Die eigene Protest-Bandbreite hat FFF erweitert
Leon, der sich in der Frankfurter Ortsgruppe engagiert, sagt: „Wir haben jetzt eigene Themen.“ Klima-Fragen verknüpft FFF immer öfter mit anderen Themen-Komplexen. „‚Nur’ für Klimaschutz demonstrieren geht nicht. Soziale Probleme hängen mit dem Klima zusammen“, erläutert er. Privileg in Frankfurt sei beispielsweise, dass dort viele wichtige Akteure aus dem Finanzsektor sitzen. Letzten August rief die Ortsgruppe etwa zum Protest gegen klimaschädliche Investitionen im Bankenviertel auf und mobilisierte rund 2 600 Menschen.
Auch Dinge, die nicht mit der Umwelt zu tun haben, besetzt FFF mittlerweile. So nahm die Hanauer Ortsgruppe kürzlich an der Gedenkdemo für die Opfer der rassistischen Morde vom 19. Februar oder auch einer Veranstaltung zum Weltfrauentag teil.
FFF ist noch politischer geworden – die Frage nach der medialen Aufmerksamkeit beantwortet das aber nicht. Auch dazu hat sich Soliev Gedanken gemacht. „Natürlich war die Pandemie ein wichtiger Faktor. Sie und andere Großereignisse sind in den Fokus gerückt. Afghanistan, zuletzt die Ukraine.“ Dann ist da auch noch die Idee vom „Tipping-Point“. „In der Gesellschaft gibt es möglicherweise die Wahrnehmung, dass ein Wendepunkt bereits erreicht ist. Man nimmt an: ‘Klar, es gibt noch viel zu tun. Aber die Grundlagen, auch wenn langsamer als gewünscht, verbessern sich. Eine grünere Regierung haben wir zumindest.“
„Politik geht nur scheinbar mehr auf uns zu“
Philipp Kremser, der sich bei der neu gegründeten FFF-Ortsgruppe Kreis Offenbach West engagiert, bereitet dieser Trend Bauchschmerzen: „Die Politik geht scheinbar mehr auf uns Jugendliche zu. Aber nur scheinbar.“ Manche Schritte seien aus einer Klima-Perspektive nicht sinnvoll, würden andere Entscheidungen beeinträchtigen. Aktuell besorgt ihn das Thema Aufrüstung. Dass eine selbsterklärte Klimaregierung viel Geld für das Militär in die Hand nehme, obwohl die Rüstungsindustrie gewaltige CO2-Emissionen produziere, ärgert ihn. „Wir werden angeblich gehört, aber dann eben doch nicht.“
Deswegen wird FFF weiter auf die Straße gehen. Für gezieltere Aktionen der Ortsgruppen, Spezial-, und Lokalthemen. Aber eben auch groß angelegte Demos, bei denen weiterhin Zehntausende bundesweit zusammenkommen, wenn auch nicht jede Woche. „Insgesamt sind wir immer noch eine Bewegung, nicht viele einzelne Städte“, sagt Kremser. Vielleicht auch wieder heute, denn an diesem Freitag findet der nächste globale Klimastreik statt.
