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Gesundheitsrisiko Fluglärm: Wie Pest und Cholera

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Düsenkrach im Anflug. Anlässlich des „Frankfurter Fluglärmtags“ wurden neue wissenschaftliche Erkenntnisse zu den Auswirkung einer nächtlichen Beschallung der Menschen rund um den Flughafen vorgelegt.
Düsenkrach im Anflug. Anlässlich des „Frankfurter Fluglärmtags“ wurden neue wissenschaftliche Erkenntnisse zu den Auswirkung einer nächtlichen Beschallung der Menschen rund um den Flughafen vorgelegt. © dpa

Frankfurt - „Lärm nervt nicht nur, er macht krank.“ Das konstatierte Prof. Dr. Thomas Münzel, Direktor der Kardiologie der Universitätsmedizin Mainz und Lärmforscher, bei einer Veranstaltung im Rahmen des Frankfurter Fluglärmtages. Von Michael Eschenauer

Diese Erkenntnis sei seit zehn Jahren gesichert, schlage sich aber nicht in den Gesetzen zu Fluglärm und der Organisation des Luftverkehrs nieder. Münzel konnte jetzt die schädigende Wirkung von Fluglärm auf die menschlichen Gefäße nachweisen. „Eines Tages wird der Mensch den Lärm ebenso unerbittlich bekämpfen müssen wie die Colera und die Pest.“ Der Satz stammt von dem deutschen Mediziner, Mikrobiologen und Hygieniker Robert Koch und ist über 100 Jahre alt. Brandneu sind dagegen zum Teil die Erkenntnisse des Mediziners Münzel. So gelte es, untermauert durch Forschungsstudien, als gesichert, dass Fluglärm über damit verbundenen Stress zur verstärkten Ausschüttung von Adrenalin, Noradrenalin und Cortison führe, die Blutfette ebenso wie den Blutdruck und den Blutzucker ansteigen lasse und damit über die Jahre das Gefäßsystem schädige. Je stärker der empfundene Ärger durch Fluglärm beim Individuum ausfalle, umso größer sei außerdem dessen Risiko, an Depressionen zu erkranken oder eine Angststörung zu entwickeln. Bei Diabetes steige das Erkrankungsrisiko in Flughafennähe um 86 Prozent, Herzrhythmusschwäche und Schlaganfälle nähmen zu.

Bewiesen sei ebenfalls, dass unter den drei Lärmverursachern Verkehr, Bahn- und Flugbetrieb, es letzterer sei, der die Gesundheit der Menschen besonders beschädige. Ungünstig sei, so Mediziner Münzel, die ebenfalls nachgewiesene Tatsache, dass die Menschen zunehmend empfindlicher gegenüber Fluglärm reagierten. Dadurch stiegen die damit verbundenen physiologischen und psychologischen Effekte unabhängig von der tatsächlichen Lärmintensität zusätzlich.

Klar sei auch, dass man sich diesen Zusammenhängen kaum entziehen könne. „Auch bei Menschen, die sich am Morgen ausgeruht fühlen und deren Schlaf in der Nacht nicht fragmentiert wurde, steigt der Blutdruck, denn Ohren kann man im Schlaf nicht abschalten“, so Münzel.

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Als weltweit einzigartig bezeichnete Münzel eine unter seiner Leitung angefertigte Studie der Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg Universität Mainz, in der es darum ging, darzustellen, wie genau nächtlicher Fluglärm den Schaden an den Blutgefäßen anrichtet. Mit Hilfe von Fluglärm über Lautsprecher, Testpersonen und Mäusen fanden die Forscher heraus, dass die durch Lärm ausgeschütteten Stresshormone die innere Schicht der Blutgefäße, das „Endothel“, negativ beeinflussen. Das Endothel, seine Oberfläche ist beim Menschen so groß wie ein Fußballfeld, spielt eine wichtige Rolle bei der Regulation der Gefäßweite und der Durchlässigkeit der Blutbahnen. Ist seine Funktion gestört, kann das Arteriosklerose hervorrufen, aber auch jene Schädigungen des Herz-Kreislauf-Systems, die man im Zusammenhang mit Lärm diagnostizierte. Beim Versuch der Uni Mainz verspannten und verengten sich das Endothel beziehungsweise die Blutgefäße der mit Lärm traktierten Testpersonen und Mäuse.

Auslöser hierfür war ein Anstieg der Freien Radikale im Endothel. Freie Radikale können Zellen schädigen, haben aber auch einen zweiten Effekt: Sie bauen körpereigenes NO (Stickstoffmonoxid) ab. Und NO ist genau jener Stoff, der die Funktionsweise des Endothels verbessert. Sinkt hier der NO-Spiegel, verschlechtert sich die Funktion der Zellwand der Blutgefäße. Bei vorgeschädigten Menschen, so Münzel, sei der Wirkungszusammenhang noch ausgeprägter. Weitere Erkenntnisse der Mainzer Forscher – erstens: Die Gefäßschäden sind bereits nach einer Lärmnacht nachweisbar. Zweitens: Der Körper gewöhnt sich nicht an den Lärm. Drittens: Vitamin C – die Probanden nahmen vor dem Versuch zwei Gramm – fangen die Freien Radikale ab, was den schädlichen Kreislauf unterbricht. Das nächste Projekt der Forscher ist eine Untersuchung über Feinstaub. Denn es habe sich gezeigt, dass man bei eingeatmeten Feinstäuben – auch sie werden durch Flugzeuge erzeugt – mit ähnlichen Wirkungszusammenhängen wie beim Lärm rechnen müsse.

Statt auf die neue Forschungslage zu reagieren, werde zum Beispiel auch vom Umweltbundesamt die Gefahr verharmlost, kritisierte Münzel. „Flughafenplaner müssen die Tatsache, dass Fluglärm krank macht, stärker berücksichtigen, wenn es um Betrieb oder Ausbau geht“, fordert er. Es gebe neben einem echten Nachtflugverbot eine Vielzahl von Möglichkeiten, die Lärmbelastung zu senken: zum Beispiel steilere Landeanflüge, das Umfliegen dicht besiedelter Gebiete, Lärmpausen oder Lärmobergrenzen. Leider werde fast nichts durchgesetzt, so Mediziner Münzel. Angesichts der in den nächsten 20 Jahren erwarteten Verdoppelung des Luftverkehrs und der damit verbundenen Schäden für die Gesundheit der Menschen sei dies allerdings dringend geboten.

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