Neues Leben auf Bewährung: AWO Frankfurt kümmert sich um straffällige Frauen

Frauen mit Hafterfahrung waren oft schon vor dem Gefängnis in einer Notlage. Wie schaffen sie den Weg zurück ins Leben? Zwei Entlassene erzählen ihre Geschichte.
Frankfurt – Dass Michelle ihre Geschichte persönlich erzählen kann, ist alles andere als selbstverständlich. Noch vor einem halben Jahr saß sie im Preungesheimer Frauengefängnis in Untersuchungshaft. Vier Monate musste sie dort auf ihren Prozess warten. Gerichtlich angeordnet, weil sie damals keinen festen Wohnsitz hatte. Im vorigen Dezember dann endlich die Verhandlung: Wegen eines Betrugsdeliktes drohte ihr eine mehrjährige Haftstrafe. „Der Anwalt hat gesagt, die Chancen stehen nicht gut. Die Entscheidung hätte in beide Richtungen kippen können“, sagt sie.
Zu ihrem Glück lautete das Urteil auf Bewährung – aber eine lange, auf drei Jahre ausgelegte. „Im ersten Moment habe ich gar nicht realisiert, dass ich wieder frei bin“, erinnert sich Michelle an die Momente nach der Urteilsverkündung. Heute sitzt sie in einem Zimmer der AWO-Anlaufstelle für straffällig gewordene Frauen in Frankfurt. Sie sieht jung aus, nicht viel älter als 20. Dass sie harte Monate hinter sich hat, ist ihr nicht anzumerken. Wenn sie redet, wirkt sie aufgeweckt, lacht manchmal. Auf die Vergangenheit schaut sie erstaunlich abgeklärt zurück. „Insgesamt bin ich froh, wie es passiert ist. Wäre ich nicht ins Gefängnis gekommen, hätte ich vielleicht immer so weitergemacht.“
AWO Frankfurt: Viele Insassinnen kämpfen mit Sucht und psychischen Problemen
Bianca Shah leitet die AWO-Anlaufstelle seit 2018. Sie sagt: „Unser Hauptziel ist die soziale Integration der betroffenen Frauen. Integration, nicht Re-Integration, weil viele schon vor der Haft nicht wirklich Teil der Gesellschaft waren.“ Mit ihrer Arbeit will die Anlaufstelle für das Notwendigste sorgen. Bei der Arbeits- und Wohnungssuche unter die Arme greifen, dabei unterstützen, den Alltag zu meistern, psychosozial beraten.
Laut Erhebung des Statistischen Bundesamts verbüßten im März vergangenen Jahres 3 064 Menschen in Hessen eine Haftstrafe. Darunter waren nur 186 weibliche Gefangene. Wer sind die Frauen, die in diese prekäre Situation geraten? Der letzte Jahresbericht der Anlaufstelle gibt Einblicke: „Bis zu 80 Prozent aller inhaftierten Frauen in Deutschland weisen psychische Störungen auf“, steht dort. Zwei von fünf weiblichen Gefangenen hätten mit einer Suchtproblematik zu kämpfen.

Frankfurt: AWO kümmert sich um straffällige Frauen
Von den Frauen, die letztes Jahr von der Anlaufstelle in Frankfurt betreut wurden, saß ein Großteil nicht etwa wegen Gewaltverbrechen ein. Viel häufiger ging es bei den Taten um Materielles. Eigentumsdelikte, Raub, Leistungserschleichung. Eine finanzielle Notlage war auch Auslöser für Michelles Straftaten. Mit 17 setzten ihre Eltern sie nach einem Streit vor die Tür. Von einem Tag auf den anderen stand sie auf der Straße, minderjährig und ohne Geld. Um sich über Wasser zu halten, traf sie eine Entscheidung mit Folgen.
„Im Internet habe ich über Jahre Sachen angeboten, verkauft, aber nicht verschickt. Das Geld habe ich trotzdem eingezogen.“ Was es den Ermittlern schlussendlich einfach machte: Die Ware bot Michelle unter ihrem echten Namen an. „Die Ehrlichkeit wurde mir dann zumindest positiv vor Gericht ausgelegt.“
Frankfurt: Integration von straffälligen Frauen nach der Haft
Im Knast zu sitzen, wo sie ihren Prozess abwartete, das wünscht sie keinem. Gleich nach ihrer Inhaftierung erlebte sie einen Lockdown im wahrsten Sinne des Wortes. Als Teil der Corona-Prävention musste sie zwei Wochen in Quarantäne – 23 Stunden am Tag war sie in der Zelle eingeschlossen.
Außerdem machte ihr der raue Umgang zu schaffen. „Du sitzt dort mit Mörderinnen zusammen. Auch psychisch Gestörte kommen in den Vollzug, die da einfach nicht reinpassen. Von der Art her sind die Menschen im Knast anders, suchen Stress. Manchen ist egal, dass sie im Gefängnis sind. Oft leugnen die sogar ihre Taten – ich bin einfach nicht die Person, die da reingehört.“
Zumindest die Justizvollzugsbeamten seien immer nett zu ihr gewesen. Wenn es Streitigkeiten mit den anderen Insassinnen gab, hätten die sie in Schutz genommen. Hängen gelassen hat sich Michelle in der ganzen Zeit nicht. „Ich habe sogar gearbeitet, in der Gefängniswäscherei“, sagt sie und hebt einen Finger, um ihre Aussage zu unterstreichen.
Nicht jede Gefängniserfahrung ist gleich: Frauen aus Frankfurt berichten über ihre Haftstrafe
Was es bedeutet, als Frau hinter Gittern zu sein, das hat Susanne noch intensiver erlebt. Im Gefängnis war sie nicht vier Monate, sondern über fünf Jahre, auch wegen eines Betrugsdeliktes. Vergangenen Sommer ist sie freigekommen. Auch sie sitzt im Besuchsraum der Anlaufstelle. Auf dem Tisch steht ein Teller mit einer Nussecke und einem Stück Donauwelle, die unangerührt bleiben.
Jetzt, wo sie sich diese Zeit vor Augen führt, muss sie schlucken. Sie wird emotional. „Normal ist noch nichts. Ich wohne noch nicht so, wie ich will. Dass ich Exkriminelle bin, bleibt ein Geheimnis. Die Leute hätten Angst, wenn sie das hören würden.“ Sie fürchtet sich davor, von anderen identifiziert zu werden.
Im Gefängnis musst du gar nichts können, draußen dann wieder alles.
Über ihre Inhaftierung spricht sie anders als Michelle. Die Institution Gefängnis macht sie vor allem wütend, das ist ihr anzumerken. „Vertrauen habe ich zu niemandem mehr“, sagt sie. „Menschen werden da drin nicht resozialisiert.“ Von ihren Mitgefangenen habe sie alles über Drogen gelernt, über Straftaten und wie sie vertuscht werden können. Alles Dinge, von denen sie vorher keinen blassen Schimmer hatte.
Viel schlimmer sei aber, dass die Insassinnen nicht nur ihre Freiheit, sondern auch die eigene Persönlichkeit abgeben müssten. „Alles wird für einen entschieden. Wann du telefonierst, isst, duschst. Das Konzept Gefängnis ist: Drinnen musst du gar nichts können, draußen dann wieder alles.“
AWO Frankfurt ist Anlaufstelle für straffällige Frauen: Nach der Entlassung nicht stolpern
Für Michelle war die Erfahrung, vielleicht auch bedingt durch die kürzere Zeit in Haft, vor allem ein Anstoß. Nach ihrer Entlassung wollte sie ihr Leben wieder selbst in die Hand nehmen und in die richtige Bahn lenken. Gerade diese Zeit könne für Ex-Gefangene aber ein gefährlicher Stolperstein sein, sagt Anlaufstellen-Beraterin Annette Pach. Entlassene verfügten in der Regel über wenig Geld. Sie bräuchten ein Handy, einen Personalausweis, ein neues Konto. Oft seien sie bei diesen Aufgaben auf Unterstützung angewiesen.
Als Michelle freikam, fehlten ihr wichtige Dokumente. Sie habe weder Winterkleidung noch Mietvertrag gehabt. Ihr engagierter Anwalt habe geholfen, sagt sie – und die Anlaufstelle der AWO. Die vermittelte ihr ein Übergangs-WG-Zimmer, wo sie jetzt zusammen mit einer anderen ehemaligen Insassin wohnt.
Neues Leben auf Bewährung: Frauen aus Frankfurt blicken nach dem Gefängnis nach vorne
Mit Hilfe von Pach hat Michelle über das Jobcenter eine Arbeit gefunden. Daneben muss sie als Teil ihrer Strafe auch noch 250 Sozialstunden ableisten. Wie es mit ihrem sozialen Leben aussieht? Auch wegen Corona sei das eher schwierig gewesen, sagt Michelle und blickt aus dem Fenster. Am Anfang habe sie außerdem Hemmungen gehabt, über ihre Vergangenheit zu reden. „Aber viele sehen dann: Ich passe nicht in dieses Klischee.“
Michelle ist guter Dinge. Sie legt ihre Hände auf dem Tisch ab. „Mit Frau Pach treffe ich mich immer noch regelmäßig, um alles auf den Weg zu bringen“, sagt sie. Momentan absolviere sie ein Job-Coaching und wolle eine Ausbildung anfangen. Am liebsten etwas Kaufmännisches. Hat sie einen Traum für die Zukunft? „Ich will eine schöne Einzimmerwohnung. Und von niemandem mehr abhängig sein.“ (Julius Fastnacht) Hinweis: Die Namen der beiden Frauen wurden zum Schutz ihrer Identität geändert.
Vor etwa einem Jahr verlegte die Awo Obertshausen ihre Zentrale. Sie ist nun an die Birkenwaldstraße gezogen.
Die AWO-Anlaufstelle
Gegründet wurde die AWO-Anlaufstelle für straffällig gewordene Frauen in Frankfurt 1977. Die Einrichtung versteht sich als Beratungsstelle und darüber hinaus als Lobbyeinrichtung für die Interessen ihrer Klientinnen.
Sie begleitet die Frauen vor, während und nach der Haft. Zu ihrer Arbeit gehören etwa die Hilfe in bürokratischen Fragen, die Bereitstellung von Wohnraum für die Übergangsphase, Mutter-Kind-Unterstützung und Konfliktberatung.
Ein Anliegen der Anlaufstelle ist es zudem, auf die schwierige Situation der Entlassenen und auf Hindernisse in der sozialen Integration aufmerksam zu machen. Denn oft spielen Armut und Gewalt eine Rolle im Leben der Betroffenen.
Nach eigenen Angaben stand die Beratungsstelle 2021 mit 42 straffällig gewordenen Frauen in regelmäßigem Kontakt. In Frankfurt mietet die Einrichtung fünf Wohnungen an. Darin können bis zu sieben Frauen vorübergehend unterkommen. Finanziert wird die Arbeit aus Eigenmitteln, von der Stadt Frankfurt sowie Geldern des Landes. Auch Spenden nimmt die Anlaufstelle an.