Journalistinnen zeigen, wie einfaches Gendern gelingt

Eine ehrliche Antwort bitte: Haben Sie schon mal mit Sternchen geschrieben – oder es vielleicht sogar ausgesprochen? Eine minimale Pause in Wörtern wie Lehrer*innen oder Politiker*innen eingelegt? Der Duden-Verlag animiert jetzt mit der Ausgabe „Genderleicht“ dazu, sich in der geschlechtergerechten Sprache zu versuchen. Das soll nämlich gar nicht so schwierig sein, sondern ganz einfach und sogar elegant gelingen können.
Entstanden ist das Buch aus dem Projekt „Genderleicht.de“ des Journalistinnenbundes. Wir haben mit der Vereinsvorsitzenden Friederike Sittler darüber gesprochen, was Journalistinnen zur Debatte um die deutsche Sprache beitragen, und wo die größten Stolpersteine einer „Sprache für alle“ liegen.
Frau Sittler, wie leicht ist es, das Gendern zu lernen?
Übung macht die Meisterin. Ich habe Anfang der 90er Jahre während meines Theologie-Studiums mit dem Gendern angefangen, und in meinen ersten journalistischen Beiträgen habe ich dann ganz selbstverständlich die Beidnennung genutzt; also zum Beispiel von Politikerinnen und Politikern gesprochen. Dadurch, dass ich es schon so viele Jahre praktiziere, geht es mir ganz einfach über die Lippen. Die Verwendung des zusätzlichen Gendersternchens und damit das Sichtbarmachen aller Geschlechter – das habe ich erst in den letzten Jahren dazugelernt.
Der Journalistinnenbund, ein Netzwerk von Frauen in den Medien, hat das Projekt „Genderleicht“ im Jahr 2019 im Internet gestartet. Steckt eine politische Motivation dahinter?
Es geht darum, Frauen sichtbar zu machen. Die geschlechtergerechte Sprache ist für den Journalistinnenbund, der seit 1987 existiert, nur ein Baustein bei der Umsetzung der Gleichberechtigung, wie sie im Grundgesetz steht. Wir haben uns gesagt: Wir Journalistinnen, die sich mit Sprache auskennen, zeigen mal, wie es geht. Elegant, präzise und mit einer gewissen Leichtigkeit. Die Krönung war dann, als Buch im Duden-Verlag zu erscheinen.
Die Leser, die Bauarbeiter, die Kosmetiker ... Was stört Sie am generischen Maskulinum?
Es hat sich überlebt. In dem Moment, wo das generische Maskulinum verwendet wird, spielt uns das Gehirn einen Streich. Wir wissen, wenn wir „Ärzte“ sagen, haben wir das Bild von Männern in weißen Kittel vor Augen und ahnen nicht, dass vielleicht bei dem Kongress 99 Frauen und ein Mann dabei waren. Gehen Sie auf die Straße und bitten Sie die Leute, drei Sänger zu nennen, dann nennen sie in der Regel drei Männernamen. Auf den Hinweis, dass keine Frau genannt wurde, kommt dann die Antwort: „Sie haben ja nicht danach gefragt.“

Muss die Sprache also „verweiblicht“ werden, um der Gleichberechtigung der Frauen zu dienen? Ist das nicht etwas viel Aktivismus?
Der Duden sagt, dass der männliche Begriff für Männer steht und der weibliche für Frauen. Der Vorwurf des Aktivismus ist nicht zutreffend, weil uns eine Nennung nun mal zusteht. Warum soll nur die Hälfte der Menschheit benannt werden?
Ich bin verwirrt. Das grammatische Geschlecht, der Genus, bezieht sich doch angeblich nicht auf das biologische Geschlecht, den Sexus. Wenn der Chef „liebe Kollegen“ sagt, bin ich als Frau mitgemeint – oder nicht?
Es wurde immer behauptet, Frauen seien mitgemeint. Und es war eine lange Zeit auch so, dass es funktioniert hat. Es waren ja die Männer, die die Führungsrollen innehatten. Die ersten Frauen, die im Parlament waren oder die Lehrer oder Volkswirt geworden sind, wollten keine Sondergruppe bilden, auch nicht sprachlich. Ihnen war es wichtig, in der Gruppe der Männer anerkannt zu werden, und sie benannten sich deshalb selber mit der männlichen Berufsbezeichnung. Heute hat sich die Gesellschaft gewandelt, und es gibt keinen Unterschied in der Wertigkeit mehr, ob ich Journalistin bin oder Journalist. Hinzu kommt, dass jetzt die einen die Beidnennung oder das Gendersternchen nutzen und die anderen das generische Maskulinum. Da weiß ich nie, ist bei „den Soldaten“ eine rein männliche Gruppe gemeint, oder sind Frauen mit dabei?
Warum ist das wichtig?
Weil es einen gesellschaftlichen Wandel anzeigt, wenn eine Frau in einer männlich geprägten Gruppe auftaucht. Die ARD hat erst 2003 die erste Intendantin bekommen. Da war es wichtig, nicht mehr von „den Intendanten“ zu reden. Und wenn zukünftig eine nicht-binäre Person, also eine Person, die sich nicht ausschließlich als männlich oder weiblich identifiziert, einen solchen Job übernimmt, dann werden wir von Intendant*innen sprechen.
Das generische Maskulinum ist gar keine festgeschriebene Regel?
Nein. Und nebenbei: Sprache hat sich immer verändert. Manches haben wir nur vergessen. Das Wort Gästin zum Beispiel gab es schon im Grimmschen Wörterbuch, und Katia Mann, die Frau von Thomas Mann, hat in ihren Schriften von der Gästin gesprochen. Auch ein Blick auf die Geschichte des Dudens zeigt, dass sich Sprache ständig weiterentwickelt: Er hat beispielsweise neue Wörter aufgenommen oder Rechtschreibreformen abgebildet.
„Genderunfug“ oder „Genderwahn“ heißt es jetzt oft. Der Verein Deutsche Sprache ist vehement gegen das Gendern, ebenso einige Prominente; Jürgen von der Lippe oder Didi Hallervorden etwa, der sogar von einer „Vergewaltigung der Sprache“ redete. Weshalb dieser Widerstand, wie können Sie sich das erklären?
Der Verein Deutsche Sprache hat gleich am Erscheinungstag unser Buch kommentiert, ohne dass es gelesen worden sein kann. Es geht uns nicht um eine Verballhornung der Sprache. Wir sagen: Lasst uns mit der Sprache präzise umgehen. Und im Übrigen nehme ich niemandem das Recht, im generischen Maskulinum zu sprechen. Wenn mein Gegenüber mich als Journalist bezeichnet, finde ich es selbstredend unhöflich. Umgekehrt werde ich niemanden mit dem Glottisschlag, also der Minilücke vor der weiblichen Endung, unnötig ärgern, wenn ich weiß, er oder sie hat ein Problem mit dem Genderstern. Mich irritiert die Schärfe der Debatte. Zu Didi Hallervorden: Den Begriff Vergewaltigung im Zusammenhang mit deutscher Sprache zu verwenden, ist wirklich daneben. Er sollte überlegen, welchen Begriff er an dieser Stelle benutzt.

Täuscht mich der Eindruck oder üben besonders viele Männer Kritik?
Es sind tatsächlich häufig Männer, die das Gendern abwerten. Vielleicht liegt es daran, dass wir ihnen immer gefährlicher werden. Frauen sind erfolgreich in dem Bestreben, ihren Teil in der Gesellschaft wahrzunehmen. Das löst Abwehrreflexe aus, und die werden kaschiert mit dem Argument: „Das ist eine Verballhornung der deutschen Sprache.“ Es werden Beispiele kreiert, die wir, die sich für eine gerechte Sprache einsetzen, nie verwenden würden. Die Äußerungen von Friedrich Merz zum Beispiel waren plumper Populismus. Genauso wie dieses angebliche Beispiel vom Bürger*innensteig. Da kann ich nur sagen: Ich nutze den Gehweg. Das ist auch das Prinzip von „Genderleicht“: Wir sollten die Möglichkeiten unserer Sprache nutzen.
Wie gerne und oft gendern Journalistinnen und Journalisten in den deutschen Medien?
2020 war das Jahr des Genderns. Es hat einen unglaublichen Durchbruch gegeben. Auch befördert durch Petra Gerster, die in ihren Moderationen ohnehin schon sehr gendersensibel gesprochen hatte und nach der Ehrung mit unserer Hedwig-Dohm-Urkunde für ihr Lebenswerk auch das Gendersternchen ausprobiert hat. 2021 war dann das Jahr des Widerstands, vielleicht, weil die Menschen gemerkt haben: Huch, das ist ja gar nicht so unanstrengend. Einige Redaktionen möchten sicher auch ihr Publikum nicht verprellen.
Die Leitlinien kommen ja aus den Chefredaktionen. Kann es sein, dass sich die gendergerechte Sprache so langsam durchsetzt, weil immer noch extrem wenige Frauen in den Führungsetagen sitzen?
Es kommt auch noch dazu, dass Frauen in Führungspositionen nicht unbedingt mit einem vermeintlichen Frauenthema identifiziert werden möchten. Weil es sie in ihrer Position schwächen könnte. Ich fände es auch schwierig, wenn ich vorgeben würde, dass in der Zeitung alles mit Sternchen geschrieben werden müsste. In den Medien bilden wir ja ab, was in der Gesellschaft vorhanden ist. Im Deutschlandfunk Kultur lassen wir deshalb alles zu. Aber wir sagen auch: Nehmt bitte wahr, wie die Wirklichkeit ist.

Wann nutze ich ein Gendersternchen?
Zuerst einmal: Wenn Männer und Frauen eindeutig vorhanden sind, wenn keine Zweifel darin bestehen, dass sie sich selbst als Mann oder Frau definieren, würde ich immer die Beidnennung bevorzugen. Wenn es Menschen gibt, die sagen, sie seien weder Mann noch Frau, ist es eine Frage des Respekts, das Sternchen einzusetzen und diese Räume zu öffnen.
Der Genderstern ist vom Rat für deutsche Rechtschreibung nicht anerkannt. Wie kommt’s?
Wenn sich im Alltag Sprache verändert, guckt der Rat, wie sich das mit den Regeln der Grammatik überein bringen lässt. Das ist noch nicht erfolgt, und ich weiß auch nicht, ob sich der Genderstern durchsetzt. Gleichzeitig nehmen wir uns als Sprachgemeinschaft die Freiheit, Neues auszuprobieren.
Was halten Sie von geschlechtsneutralen Partizipien wie Studierende oder Teilnehmende, die auch oft kritisiert werden?
Die Kritik daran ist widersprüchlich, weil wir zum Beispiel auch von Auszubildenden reden. Es ist eine Sache der Gewöhnung, Studierende zu sagen, wobei der Begriff mittlerweile ja auch schon gängig ist. Insgesamt plädiere ich für eine große Gelassenheit und eine Freude an der Sprache. Der beste gegenderte Text ist übrigens der, bei dem die Lesenden gar nicht merken, dass er gegendert ist.
Wir befinden uns auf einer Familienfeier, der 85-jährige Jubilar erhebt sich: „Liebe Anwesenden, liebe Töchter und Söhne, liebe Enkel*innen, Urenkel*innen und Ururenkel*innen, ....“ Sie sitzen im Saal und schauen in die Gesichter der Gästinnen und Gäste. Was sehen Sie?
Verblüffung, ein paar haben’s gar nicht gehört, weil sie den nächsten Sekt geordert haben, manche schütteln den Kopf und sagen: „Der war immer schon ein bisschen anders.“ Aber da die Stimmung gut ist, fällt das nicht weiter ins Gewicht. Ich habe übrigens schon mal einen 95-jährigen Priester erlebt, der zu seinem 70. Priesterjubiläum von den „Jüngerinnen und Jüngern unter dem Kreuz“ sprach. Da habe ich innerlich gejubelt.
Welche Tipps haben Sie für Gender-Anfänger*innen, die gerne einmal den Glottisschlag probieren oder in einer E-Mail das Sternchen setzen würden?
Am besten erst mal im vertrauten Kreis ausprobieren. Übrigens ist der Glottisschlag, diese Minipause, nichts Neues in unserer Sprache; wir nutzen ihn beispielsweise in dem Wort Spiegelei. Was die E-Mail betrifft: Ein Gendersternchen nutze ich nur, wenn es passt und mein Gegenüber auch etwas damit anfangen kann. Ich würde die Mail nicht gleich dem Verein Deutsche Sprache schicken.