125 Jahre Brüder-Grimm-Denkmal: Die kuriose Vorgeschichte des Wahrzeichens in Hanau

Aus sechs Metern Höhe schauen sie auf ihre Geburtsstadt herunter – und das seit 125 Jahren. Jacob und Wilhelm Grimm, Doppel-skulptur auf einem Granitsockel, sind das Wahrzeichen Hanaus schlechthin: Treffpunkt im Herzen der Stadt, Orientierungsort, der Stolz der Hanauer auf ihre großen Söhne. Das Nationaldenkmal ist aber auch ein symbolträchtiger Ort, der zunächst – fast unbeschadet von den Bombenangriffen vom 19. März 1945 – für Hoffnung und den Wiederaufbau nach dem Krieg stand und der jetzt, vor bald zwei Jahren, lange Zeit zum Platz der Trauer und Erinnerung nach dem Anschlag vom 19. Februar 2020 wurde.
Hanau - Jetzt gibt es für die Hanauer Grund zur Freude: Das Brüder-Grimm-Denkmal feiert am 18. Oktober 125. Geburtstag. Zum Jubiläum hat die Stadt ihm eine gründliche Restaurierung geschenkt. So erstrahlt es seit Kurzem in neuem Glanz und lenkt den Blick auf seine lange Geschichte – und auf eine Entstehung mit schweren Geburtswehen.
Eigentlich hatte schon zu Lebzeiten der Grimm-Brüder der Hanauer Bürger und Mäzen Pedro Jung 1853 die Errichtung eines Denkmals anstoßen wollen. Mangels Spenden blieb das ein hehrer Wunsch, bis 1884 ein Denkmalskomitee wieder Fahrt in die Angelegenheit brachte.
Bürger in Hanau waren empört über den Siegerentwurf
Dass auf dem Steinsockel Wilhelm Grimm (der jüngere, aber größere der Brüder) nachdenklich über einem aufgeschlagenen Folianten sitzt und sein Bruder Jacob sich zu ihm beugt, als grübelten die Sprachwissenschaftler über einer kniffligen Frage, vermittelt ein schönes Bild lebendiger Sprachwissenschaft. Eigentlich aber, und das beschreibt Richard Schaffer-Hartmann, langjähriger Leiter der Hanauer Museen, in einem Buch, müsste sich dem Betrachter ein ganz anderes Bild bieten: eine theatralische Szene, bei der der im Sitzen erschrocken zurückweichende Wilhelm wirkt, als erfahre er gerade von seinem Bruders Jacob eine wichtige Neuigkeit; von einem Bruder, der ihm gönnerhaft die Hand auf die Schulter legt. So sah der Entwurf des damaligen Leiters der Hanauer Zeichenakademie, Professor Max Wiese, aus, den die Jury aus fünf Stadtverordneten und fünf weiteren Mitgliedern mit dem ersten Preis ausgezeichnet hatte.
Im Vorfeld hatte 1888 ein großes Komitee gemeinsam mit dem Grimm-Verein renommierte Bildhauer angeschrieben und aus acht eingereichten Arbeiten drei ausgewählt. Alle Modelle waren damals öffentlich ausgestellt. (Heute sind sie in Schloss Philipsruhe zu sehen). Man kann sich vorstellen, wie groß das Interesse der Bürger an der Wahl „ihres“ Denkmals gewesen ist. Schon damals, so Schaffer-Hartmann, flogen die meisten Sympathien der Bürger nicht dem später erst-platzierten Entwurf zu, sondern dem drittplatzierten, den der Münchner Bildhauer Professor Syrius Eberle eingereicht hatte. Das war seinerzeit auch in der Hanauer Zeitung zu lesen, die der Bürgermeinung breiten Raum einräumte. Dennoch entschied sich die Jury für den Wiese-Entwurf, woraufhin ein Sturm der Entrüstung losbrach.
Der Sohn von Wilhelm Grimm reiste nach Hanau - und sorgte für die Entscheidung
Die Jury steckte in der Bredouille. Gegen die Bürger entscheiden, das wollte man nicht. Da kamen Magistrat und Denkmal-Komitee auf die Idee, den Sohn Wilhelm Grimms um seine Meinung zu bitten, der als Kunst- und Literaturkritiker in Berlin lebte.
Der zur Begutachtung angereiste Herman Grimm favorisierte eindeutig den Eberle-Entwurf. Das Angebot an den eigentlichen Gewinner Max Wiese, seinen Entwurf im Sinne von Grimm-Sohn und Bürgern nachzubessern (schließlich hatte man ihm ja eigentlich schon den Zuschlag gegeben), lehnte Wiese ab. So wurde Eberle mit der Schaffung des Denkmals beauftragt und dieses am 18. Oktober 1896 feierlich auf dem Marktplatz enthüllt.
Hessisches Urgestein Heinz Schenk auf dem Sockel des Denkmals der Brüder Grimm in Hanau
Dass es dort seit 125 Jahren mit nur einer kurzen Unterbrechung steht, die der Bau der Tiefgarage erforderlich machte, grenzt an ein Wunder. Denn das Denkmal hat nicht nur die Bomben des Zweiten Weltkriegs fast unbeschadet überstanden. Es trotzte laut Schaffer-Hartmann in der Hochphase des Wiederaufbaus auch allen Begehrlichkeiten, die der Materialmangel mit sich brachte. Viele Dachgeländer und viel Zierrat wurden damals eingeschmolzen. Das Denkmal blieb verschon. Bei der kurzen Umsetzung im Zuge des Tiefgaragenbaus gab es eine bemerkenswerte Szene: Nachdem die Skulptur vom Sockel gehoben war, besetzten die hessischen Urgesteine der Unterhaltung, Heinz Schenk und Reno Nonsens, als Brüder Grimm verkleidet kurzzeitig den Sockel.
Rund um das Denkmal-Jubiläum
Souvenirmünzen anlässlich des Jubiläums „125 Jahre Nationaldenkmal der Brüder Grimm“ sind im Hanau-Laden am Freiheitsplatz und im Historischen Museum Schloss Philippsruhe zum Preis von drei Euro erhältlich.
Autor Martin Lemster stellt seine neue Grimm-Biografie am Freitag, 22. Oktober, ab 20 Uhr im Kulturforum am Freiheitsplatz vor. Tickets zu zehn Euro gibt es beim Buchladen am Freiheitsplatz.
Noch bis Donnerstag, 28. Oktober, laden das Stadtarchiv und die Landeskundliche Abteilung der Stadtbibliothek mit einer Ausstellung zu einer Zeitreise rund um das Nationaldenkmal Hanaus ein. Die Ausstellung zur Entstehung des Brüder-Grimm-Denkmals befindet sich im 2. Stock des Kulturforums neben dem Portal Stadtgeschichte und kann während der regulären Öffnungszeiten besucht werden. Im Kulturforum gelten für Besucher die 3G-Regel sowie Maskenpflicht. tr
Experte Richard Schaffer-Hartmann findet das Denkmal sehr gelungen, jenseits der Frage, ob man den stillen Historismus nun möge oder nicht. Hätte man das Denkmal allerdings zu Lebzeiten der Grimms errichtet, wäre es laut Schaffer-Hartmann ebenfalls anders ausgefallen. Da die heutige Version einer Daguerreotypie – so nannte man Bilder des ersten Fotografie-Verfahrens – nachempfunden ist, kannten die Brüder die Vorlage. Jacob soll darüber nicht eben glücklich gewesen sein: „Nun sitzt Wilhelm da, und ich habe das Aussehen eines herangerufenen Hausverwalters. Mir wäre lieber gewesen, man hätte uns zwei gerade nebeneinandergestellt!“
Infos zum Buch: Richard Schaffer-Hartmann: Das Brüder-Grimm-Denkmal in Hanau, Geschichte eines Nationaldenkmals, CoCon-Verlag, ISBN 3937774688


