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19. Februar: Staatsanwaltschaft Hanau hat Arbeit der Polizeistation unter die Lupe genommen

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Von: Thorsten Becker

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Detaillierter Bericht zum Mord am Mercedes-Fahrer: Die Staatsanwaltschaft Hanau hat diesen Fall unter die Lupe genommen. Symbolfoto: Kai Pfaffenbach
Detaillierter Bericht zum Mord am Mercedes-Fahrer: Die Staatsanwaltschaft Hanau hat diesen Fall unter die Lupe genommen. © Archivfoto: Kai Pfaffenbach

Die Staatsanwaltschaft Hanau hat die Arbeit der Polizeistation am Freiheitsplatz während des rechtsradikal motivierten Anschlags vom 19. Februar 2020 unter die Lupe genommen. Die Frage, ob die Nichterreichbarkeit des Polizeinotrufs mit dafür verantwortlich ist, dass der Attentäter Tobias Rathjen am Kurt-Schumacher-Platz seinen Verfolger Vili Viorel Paun ermordet hat, ist in dem Bericht klar verneint worden (wir berichteten).

Hanau - Zudem hat die Ermittlungsbehörde festgestellt, dass die Frauen und Männer, die an dem schrecklichen Abend im Einsatz gewesen sind, alles Menschenmögliche unternommen haben. Es habe keinerlei Verstöße gegen die geltenden Dienstvorschriften gegeben, schreibt Oberstaatsanwalt Dominik Mies in einer 24-seitigen Pressemitteilung, in der er die Öffentlichkeit detailliert über die Ergebnisse der Vorermittlungen informiert.

Darunter befindet sich auch erstmals ein Ausschnitt, in dem der minutiöse Ablauf der Verbrechen am Heumarkt und am Kurt-Schumacher-Platz dokumentiert ist. Dabei wird festgestellt, wie oft der Attentäter zunächst auf das Auto von Paun geschossen hat. Dieser Mordversuch sei im hinteren Bereich der Krämerstraße verübt worden, wie ausgewertete Videoaufzeichnungen belegten. Paun sei dann rückwärts in die Herrnstraße gefahren, um Rathjen zu verfolgen. Der Attentäter hatte sein Fluchtfahrzeug am Kanaltorplatz geparkt. Offen bleibt, ob Paun überhaupt mitbekommen haben kann, dass in und vor den Bars am Heumarkt geschossen worden ist.

Zudem sind die Kernpunkte der Zeugenaussagen der eingesetzten Polizisten zusammengefasst. Sie sind von der Staatsanwaltschaft vernommen worden.

Eklatante organisatorische Mängel?

Die zum Zeitpunkt des Anschlags völlig veraltete ISDN-Telefonanlage der Polizeistation stand ebenfalls im Fokus der Vorermittlungen. Laut Pressebericht sind die Telefonate sowie der Funkverkehr zwischen Station und Streifen für den fraglichen Zeitraum komplett ausgewertet worden.

Die am Montagabend veröffentlichte Pressemitteilung zu dem Komplex ist außergewöhnlich detailliert und transparent. Die Staatsanwaltschaft hat ausschließlich die juristischen Fragen deutlich beantwortet und die Ablehnung eines förmlichen Ermittlungsverfahrens der Öffentlichkeit ausführlich begründet. Das ist die Aufgabe gewesen.

Allerdings birgt der Bericht beim genaueren Hinsehen politische Brisanz und wirft weitere Fragen auf. Zwar hatte Innenminister Peter Beuth (CDU) eingeräumt, dass die Telefonanlagen der Polizei im Bereich Hanau nicht mehr dem neuesten Stand entspreche und eine längst geplante Notrufumleitung erst seit 24. Februar 2021 – also mehr als ein Jahr nach dem Anschlag – eingerichtet wurde.

Brisant könnten die deutlichen Hinweise auf möglicherweise eklatante organisatorische Mängel werden, die das Polizeipräsidium Südosthessen sowie das Innenministerium zu verantworten hätten. Denn am Abend des Anschlags war die Nachtschicht auf der Wache am Freiheitsplatz zwar mit neun Polizisten besetzt. Allerdings stellt die Staatsanwaltschaft fest, dass drei Beamte, darunter der Dienstgruppenleiter – also der Chef der Nachtschicht – wegen der Entschärfung zweier Weltkriegsbomben ins 32 Kilometer entfernte Neu-Isenburg-Zeppelinheim, kurz vor dem Frankfurter Flughafen, abkommandiert worden waren.

Es blieben damit nur sechs Uniformierte auf der Hanauer Wache, davon nur vier voll ausgebildete Beamte sowie zwei Praktikanten. Laut Dienstvorschriften sei dadurch die Mindeststärke eingehalten worden – auf dem Papier.

Die Verantwortlichen dürften nunmehr mit der Frage konfrontiert sein, weshalb ausgerechnet Hanauer Polizisten zu solch einem externen Einsatz fahren müssen, während für die Hanauer Innenstadt, Kesselstadt, Weststadt und Mittelbuchen dann nur noch eine vollwertige Streifenwagenbesatzung zur Verfügung gestanden hat. Denn Wache und Notruf müssen mit zwei weiteren Beamten besetzt sein.

Zentrale Wache in Hanau personell unterbesetzt

Außerdem könnte es für die Bürger interessant sein, wie personell unterbesetzt die zentrale Wache in Hanau ist. Somit dürfte sich die seit Monaten offen Frage klären, warum es die hessische Polizei nicht aus eigener Kraft geschafft hat, den mehrstündigen Einsatz mit eigenen Kräften zu bewältigen. Denn am Morgen des 20. Februar waren es Einsatzkräfte aus dem benachbarten Bayern, die den Tatort am Heumarkt abriegelten.

Erneute Fragen dürften auch auf den Generalbundesanwalt in Karlsruhe zukommen. Vor allem, weshalb seine Behörde es innerhalb von eineinhalb Jahren nicht geschafft hat, die Öffentlichkeit über den Ablauf des Attentats und den Stand der Ermittlungen zu unterrichten.

Letztlich gibt es auch noch die Vorwürfe, die der Vater des Getöteten gegen die Verantwortlichen der Waffenbehörde des Main-Kinzig-Kreises erhoben hat. Diese sollen „zur gesonderten Bearbeitung“ als Verfahren abgetrennt worden sein. Die Untersuchung, warum der Attentäter trotz polizeibekannter Auffälligkeiten weiterhin über automatische Waffen verfügen durfte, ist offenbar noch nicht abgeschlossen. (Von Thorsten Becker)

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