2013 ist Katja Leikert für die CDU in den Bundestag gewählt worden – wir haben sie besucht

Langsam schiebt sich der Fahrstuhl nach oben. Dann ein Ping. Sechste Etage im Jakob-Kaiser-Haus. Ein langer Flur, rechts und links Bürotüren. Ab und an huscht jemand über den Gang. 60 Prozent der 736 Abgeordneten des Deutschen Bundestags haben in dem nach einem Widerstandskämpfer und späteren CDU-Bundestagsabgeordneten benannten Gebäude ihren Arbeitsplatz.
Berlin/Main-Kinzig-Kreis – „Wir sind da“, sagt Büroleiter Moritz Gutbier. 439 steht auf dem Schild an der Tür. Daneben der Name Dr. Katja Leikert. Die 47-Jährige kommt vom Schreibtisch durch den Raum. „Herzlich willkommen.“ Seit fast zehn Jahren gehört sie dem Bundestag an. Am Eingang ihres Büros hängt ein Bild mit den Koordinaten der Stadt Hanau. Der Raum ist funktional. Und die Aussicht auf die verglasten Stockwerke spektakulär. Ein Schreibtisch, eine Sitzecke, bunte Kissen. Schokolade auf dem Tisch, daneben Fotos von der Familie, Kinderbilder, ein Berliner Bär. An den Wänden zwei Zeichnungen von Holger Kliem. Der Hanauer war wie Leikert Schüler des Großkrotzenburger Franziskanergymnasiums. Seine Motive vom Neustädter Rathaus und vom Karussell in Wilhelmsbad hängen jetzt in Leikerts Büro.
In Berlin ist Sitzungswoche. 22 davon gibt es pro Jahr. Leikert reist montags mit der Bahn an und freitags ab. Die Wochen sind durchgetaktet. Montagabend trifft sich die hessische Landesgruppe, dienstags die Fraktion, mittwochs tagen die Ausschüsse, donnerstags und freitags ist Plenum. Gerade hat Leikert erfahren, dass sie am Donnerstag im Bundestag sprechen soll, Thema Ukraine. Seit der jüngsten Bundestagswahl, bei der die Bruchköbelerin – nach zwei Siegen in Folge – ihr Direktmandat an Lennard Oehl von der SPD verloren hat, und die Große Koalition von der Ampel abgelöst wurde, passiert das öfter. „Es ist alles anders als vorher“, erzählt Leikert, „komplett anders“. Einfluss hat die CDU verloren – und Macht. Funktionen. Minister, Staatssekretäre – alles wurde neu gewürfelt.
Aber so sei das im politischen Wettbewerb – und Austausch auch gut, sagt die studierte Politikwissenschaftlerin. „Wir haben uns lächerlich gemacht in der Frage der Vorsitzfindung und das Wahlergebnis war die Quittung dafür.“ Haben früher die Christdemokraten Gesetze geschrieben, sind sie heute die, die den Entwurf ganz zum Schluss sehen.
Leikert nennt es konstruktive Oppositionsarbeit. Aber wie stellt man beispielsweise eine Kleine oder Große Anfrage? „Das wusste hier nach 16 Jahren Regierungsverantwortung keiner, also haben wir erst mal Seminare besucht, um Oppositionsarbeit zu lernen“, erzählt sie.
„Du musst los“, sagt Moritz Gutbier und reicht seiner Chefin eine schwarze Mappe. 15 Uhr. Fraktionssitzung der CDU/CSU über dem Plenarsaal und unter der Glaskuppel des Reichstags. Leikert sortiert ihre Tasche, die Unterlagen. Der Weg ist weit. Kilometer kommen da schnell zusammen. Unter der Erde verbindet ein Versorgungstunnel alle Neubauten des Bundestages mit dem Reichstag. Oberirdisch gibt es zwei Brücken, die die Gebäude beiderseits der Straße verbinden. Viel laufen ist angesagt. Und bloß nichts im Büro vergessen. Leikert: „Dann hat man verloren.“
Die Ampel, sagt sie auf dem Weg durch die Gänge, mache es der Opposition gerade leicht. SPD, FDP und Grüne treten nicht geschlossen nach außen auf. Da sei es einfach, Kritik zu üben. Und ja, in extremen Zeiten mache man Fehler, habe die CDU während Corona auch gemacht.
Friedrich Merz und Alexander Dobrindt haben sich gerade vor dem Fraktionsraum aufgebaut, sprechen in Dutzende Kameras. Auch die andern Fraktionen tagen. Ricarda Lang von den Grünen holt sich noch schnell einen Kaffee, Jürgen Trittin telefoniert, Cem Özdemir spurtet heran. Marie-Agnes Strack-Zimmermann von der FDP plaudert mit einer Kollegin. Es ist ein großes Schaulaufen, ja – und doch irgendwie beruhigend, dass alle am Ende ganz normale Menschen sind.
„Katja wer?“, schrieb der HA 2012, als die zweifache Mutter als CDU-Kandidatin für die Bundestagswahl vorgestellt wurde. Nach mehreren Stipendien und der Tätigkeit als Dozentin hatte sie 2006 an der Universität Kaiserslautern zum Thema „Die US-Sicherheitspolitik gegenüber Iran und Nordkorea“ promoviert.
2011 bewarb sie sich beim CDU-Abgeordneten Peter Tauber für ein Praktikum im Bundestag. „Ich wollte das einfach unbedingt mal machen“, erzählt die Bruchköbelerin. Kurz danach fragte Tauber die Frau, die bis dato noch nicht einmal CDU-Mitglied war, ob sie kandidieren wolle für den neu geformten Wahlkreis 180/Hanau. „Ich hatte eh vor, aus der Lehre rauszugehen und mich zu bewerben, also habe ich Ja gesagt.“
Bei der Bundestagswahl 2013 gewann sie mit 44,3 Prozent, 2017 mit 35,3 Prozent der Erststimmen das Direktmandat. Im 18. Deutschen Bundestag war sie Mitglied im Ausschuss für Gesundheit sowie Schriftführerin und stellvertretendes Mitglied im Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und im Auswärtigen Ausschuss. Bei der Bundestagswahl 2021 verlor Leikert das Direktmandat, zog aber über die Landesliste der CDU Hessen erneut ein.
Aktuell ist sie ordentliches Mitglied im Auswärtigen Ausschuss sowie ordentliches Mitglied im Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und wurde von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zur Obfrau im Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gewählt.
Im Wahlkreis hat sie ihre Rolle bewusst geändert, sich 2022 – nach vier Jahren – als Kreisvorsitzende zurückgezogen. Auch im Kreistag ist Leikert nicht mehr. Sie weiß, dass man nicht auf allen Hochzeiten tanzen kann. Es sei entspannter ohne den Kreisvorsitz, gesteht sie auf dem Rückweg zum Büro. Eine Partei mit 2000 Mitgliedern könne man nicht so nebenbei führen. Geburtstagsbriefe. Parteitage. Diskussionen in den Stadt- und Gemeindeverbänden – da gibt es einiges zu tun.
Die wenige freie Zeit, die bleibt, gehört der Familie. Der Kontakt zwischen Bruchköbel und Berlin läuft in den Sitzungswochen über Whatsapp und Telefon. Und ja, die räumliche Trennung auf Zeit von ihren beiden Töchtern falle ihr weiterhin schwer.
Viele freie Minuten bleiben bei dem engen Terminkalender nicht. „Aber eine Spreefahrt“, sagt Katja Leikert, „will ich diesen Sommer unbedingt mal machen. Das hat bisher nicht geklappt“.
Vom Büro aus geht’s am Abend über die Brücke auf die andere Seite der Spree. Die Fraktion hat zur Frauen-Netzwerkveranstaltung eingeladen. Friedrich Merz ist da, die ehemaligen Ministerinnen Dorothee Bär und Julia Klöckner. Unternehmerinnen erzählen, machen Mut, zu gründen. Manchmal treffen sich Leikert, Bär, Klöckner und andere Frauen aus der Fraktion auch einfach mal so. Wie Freundinnen es tun würden. Fast zehn Jahre ist die Hessin jetzt in Berlin. Da sind natürlich auch Freundschaften gewachsen.
Zurück im sechsten Stock des Jakob-Kaiser-Hauses wechselt Leikert die schwarzen Pumps gegen flache Turnschuhe. Feierabend. In den ersten Jahren hatte sie eine Wohnung, hat dann eine Zeit lang im Hotel gelebt und zur neuen Legislaturperiode die Wohnung einer Kollegin übernommen, die nicht mehr in den Bundestag gewählt wurde.
„Durch die zehn Jahre Berufspolitik“, erzählt sie auf dem Weg nach unten, „bin ich robuster geworden – das bringt die ständige politische Auseinandersetzung wohl mit sich. Dennoch gehen bestimmte Themen und Debatten nicht spurlos an einem vorbei und lassen einen auch nach Sitzungsende nicht los. Bei mir ist das immer der Fall, wenn es um harte Themen wie Kindesmissbrauch geht“.
Ein gewisses Standing, ja, das habe sie nach zehn Jahren. „Das ist wichtig, um sich in den Gremien Gehör zu verschaffen, Themen auf die Agenda zu setzen und auch durchzusetzen. Dass ich jetzt meine beiden Herzensthemen Familie und Sicherheitspolitik so aktiv mitgestalten kann, ist für mich ein persönlicher Höhepunkt.“
Das Schönste an ihrem Job? Leikert überlegt. „Dass ich jeden Tag dazulerne. Auch darum bin ich sehr dankbar für diese Aufgabe.“
Von Yvonne Backhaus-arnold
