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Anschlag von Hanau: „Mengen an Polizeiversäumnissen“

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Von: Yvonne Backhaus-Arnold, Julius Fastnacht

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Beim Anschlag von Hanau soll es große Mengen an Polizeiversäumnissen gegeben haben. Das behauptet der Sachverständige Robert Trafford.

Hanau/Wiesbaden – Bereits zweimal saß Robert Trafford von der Recherchegruppe Forensic Architecture (FA) als Sachverständiger auf dem Zeugenstuhl des Untersuchungsausschusses zum Anschlag von Hanau – zuletzt im November. Damals sollte es im Landtag um den Einsatz am Täterhaus gehen. Die Sitzung des Ausschusses wurde wegen Helikopteraufnahmen abgebrochen, da die Videosequenzen vom Generalbundesanwalt nicht für die Öffentlichkeit freigegeben waren. Mittlerweile hat der Ausschuss erfolgreich beantragt, Teile davon herabzustufen.

FA arbeitet vor allem für die Opfer staatlicher Gewalt – und deckt mit modernen Methoden und Technologien, etwa 3D-Modellierung, Geomapping und digitale Rekonstruktion, immer wieder Versäumnisse bei der Polizei auf. Robert Trafford ist seit sechs Jahren an Bord, kooperiert eng mit der Initiative 19. Februar und den Hinterbliebenen, um die Aufklärung der Abläufe in der Tatnacht voranzutreiben. Für Trafford steht fest: In Hanau kam vor drei Jahren eine der „bemerkenswertesten Mengen an Polizeiversäumnissen“ zusammen, der Forensic Architecture in zwölf Jahren Arbeit begegnet sei.

Kein Neuling im Untersuchungsausschuss: Robert Trafford (Mitte) von der Recherchegruppe Forensic Architecture, hier in einer Sitzungspause, war schon zweimal im Hessischen Landtag.
Kein Neuling im Untersuchungsausschuss: Robert Trafford (Mitte) von der Recherchegruppe Forensic Architecture, hier in einer Sitzungspause, war schon zweimal im Hessischen Landtag. © Michael Schick

„Mengen an Polizeiversäumnissen“ beim Anschlag von Hanau: Besonderer Fokus auf Hubschrauber

So sei eine der drei Streifen – das zeigen die Hubschrauber-Aufnahmen – später am Täterhaus angekommen, als die Beamten nach dem Einsatz ausgesagt hatten. Und nach 18 Minuten hätten sie ihre Überwachungsposition wieder verlassen. Hintertür und Garten des Täterhauses waren laut Trafford über einen längeren Zeitraum nicht gesichert gewesen. Nach Mitternacht, also zu einem Zeitpunkt, zu dem der Einsatz bereits auf Hochtouren lief, ist in dem Video ebenfalls eine menschliche Silhouette zu erkennen – mutmaßlich ein Zivilist – der sich ins Bild bewegt und weiterläuft – ohne kontrolliert zu werden.

Besonders im Fokus von FA steht die Rolle des Hubschraubers. Audiodateien, die im Plenum eingeführt wurden, legen nahe, dass sich die Besatzung isoliert fühlte – aufgrund mangelnder Kommunikation, aber auch wegen technischer Probleme. „Wir sind abgehängt“, hört man da, „das Ding ist eine komplette Katastrophe, totaler Müll“. Polizeidirektor Jürgen Fehler hatte im November erklärt, dass der Hubschrauber Ibis 3 nicht zur Überwachung des Täterhauses, sondern für das Auffinden potenzieller weiterer Tatorte in der Luft war. Dass die Besatzung, die mehrere Male über das Gebiet flog, genau wusste, was zu tun war, bezweifelt Trafford ob der Worte, die im Video fallen.

Indirekte Unterstützung für seine Aussage liefert dann ein weiterer Zeuge, der an diesem Tag in den U-Ausschuss geladen ist. Der Kameramann des Helikopters nämlich, der in der Tatnacht über Kesselstadt kreiste. Das Hubschrauber-Team habe zu Einsatzbeginn lediglich einen grundsätzlichen Fahndungsauftrag erhalten, Infos zu einem Fahrzeug, einem Kennzeichen und einer Halteranschrift.

Anschlag von Hanau: „Nicht präzise die Täteranschrift gewusst“

Dann aber zickte wohl die Technik: Das Funkgerät im Heli sei weniger verlässlich als das Digitale im Streifenwagen, mache gelegentlich Probleme. „Meine Vermutung ist: An diesem Abend haben wir im Hubschrauber unsere zugewiesene Funkgruppe falsch erfasst“ – und den Anschluss an die Einsatzkommunikation verloren, sagt der Mann. Bis zum Einsatzabschluss habe die Mannschaft nicht präzise gewusst, wo genau die Täteranschrift liege.

Was also bleibt von diesem Tag im Hanau-Untersuchungsausschuss? Der extra aus England angereiste Robert Trafford möchte zum Ende jedenfalls sensibilisieren: Die Rekonstruktionen und Analysen von FA dienten dazu, Fakten zu den Umständen der Tatnacht herauszuarbeiten. „Die Schlussfolgerungen daraus ziehen Sie“, sagt er in Richtung Abgeordnete.

Für AfD und CDU scheinen die schon kurz nach Traffords Aussage geklärt: So betitelt Dirk Gaw (AfD) Forensic Architecture in einer Pressemitteilung als „ungeeignete Sachverständige“, hat „Zweifel an deren Kompetenz“. Jörg-Michael Müller, Obmann der CDU im Ausschuss, wird noch deutlicher. Die Recherchen des „Künstlerkollektivs“ FA seien „unsachlich“, „haltlos“, letztlich „Scharlatanerie“ – eine konkrete Begründung abseits der Floskeln: Fehlanzeige.

Wann Beuth kommt, ist unklar

Innenminister Peter Beuth (CDU) wird am 31. Mai nicht als letzter Zeuge im Untersuchungsausschuss zum Anschlag von Hanau aussagen. Der Termin findet zwar statt, aber ohne den Minister, der bei der Landtagswahl am 8. Oktober nicht mehr antritt. Beuth steht in Zusammenhang mit dem Terroranschlag in der Kritik – etwa als politisch Verantwortlicher für den zeitweise nicht erreichbaren Notruf oder für den Einsatz am Täterhaus. In nicht-öffentlicher Sitzung wurde dies gestern festgelegt. Wann Peter Beuth aussagt, ist noch unklar. Am Donnerstag kommt der Ausschuss, in dem CDU und Grüne die Mehrheit haben, erneut zusammen, um in nicht-öffentlicher Sitzung einen Termin festzulegen. Ob der weitere Zeitplan, mit Diskussion des Abschlussberichts vor der Sommerpause im Landtag eingehalten werden kann, ist fraglich.     (bac)

(Yvonne Backhaus-Arnold und Julius Fastnacht)

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