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Chaos am Tatort: Polizisten weisen nach Anschlag von Hanau Kritik zurück

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Der Untersuchungsausschuss zum Anschlag von Hanau hat sich am Montag unter anderem mit dem Vorgehen der Polizei am Tatort beschäftigt. Die Polizei weist Kritik zurück.

Hanau – Sie standen im Kiosk am Kurt-Schumacher-Platz, neben der Arena-Bar, als es draußen knallte. Und fragten sich noch, ob das ein Böller war. Kurz danach habe der Attentäter auf sie geschossen. Der Zeuge warf sich hinter der Theke zu Boden. Dann sei der sterbende Ferhat Unvar zu ihm „gekrabbelt“ und habe noch auf Türkisch gesagt: „Es brennt.“ Er hingegen blieb unverletzt liegen. Einige Minuten später, nach der Schockstarre, als er sich ein wenig sicherer fühlte, rannte er hinaus.

Am Montag hat ein Überlebender des Terroranschlags von Hanau im Untersuchungsausschuss des Landtags ausgesagt. Im Fokus stand das Vorgehen der Polizei an den Tatorten sowie die Versorgung der neun Opfer des rassistischen Anschlags am 19. Februar 2020.

Der Zeuge bescheinigte der Polizei gute Arbeit dafür, dass es eine Ausnahmesituation war. Er sagte jedoch auch, dass die ersten Kräfte relativ lange gewartet hätten, bevor sie den Tatort betraten. Verwirrt hätten sie gewirkt, ein dritter Polizist habe etwas später angefangen, „die Dinge zu ordnen“. Außerdem sei er als Überlebender etwa fünfmal nach den Personalien gefragt und aufgefordert worden, in der gut drei Kilometer entfernten Wache am Freiheitsplatz noch auszusagen. Dort habe er lange gewartet und erst am Ende ein Hilfsangebot von einer Sozialarbeiterin bekommen. Der Anschlag habe ihn stark belastet; danach habe er kurzzeitig wieder Drogen genommen.

Vor den Sitzungen des Untersuchungsausschusses finden regelmäßig Mahnwachen statt.
Vor den Sitzungen des Untersuchungsausschusses finden regelmäßig Mahnwachen statt. Rolf Oeser © Rolf Oeser

Polizei hätte rückblickend nur wenig anders gehandelt

Ein Polizist, der mit einem weiteren als Erster den Tatort in Kesselstadt erreichte, wies Kritik zurück. Nach der Ankunft – ihr Navigationssystem habe sie richtig geleitet – habe er gleich in den Mercedes auf dem Parkplatz geschaut und Vili Viorel Paun tot vorgefunden. Anschließend habe sein Kollege die Schusswunde des bereits herausgekommenen, lebensgefährlich verletzten Said Etris Hashemi zugedrückt. Er selbst sei weiter in die Bar gelaufen, um „zu intervenieren“. Das habe Priorität gehabt. Er sei davon ausgegangen, dass der Täter dort sei und er schießen müsse. Doch dieser war schon weg, sodass der Polizist versuchte, sich um den tödlich getroffenen Hamza Kurtovic zu kümmern, ihm eine Wunde am Kopf zuhielt. Danach hätten die Rettungskräfte die Versorgung übernommen.

Von Überlebenden, insbesondere von Said Etris Hashemi, habe er keinen Ausweis verlangt, sagte der Kommissar. Rückblickend betrachtet hätte er „sehr wenig“ anders gemacht. Trotz einer „extremen Anspannung“ habe er richtig und schnell gehandelt.

Anschlag von Hanau: Chaotische Lage am Tatort

Er widersprach damit Aussagen weiterer Betroffener: Demnach seien die ersten Polizist:innen nicht orientiert gewesen und hätten vermutlich aus Angst gezögert, Bar und Kiosk zu betreten. Auch eine schwangere Frau, die sich aus dem Kiosk retten konnte, vor das Polizeiauto lief, die Tür aufriss und hineinsprang, hatte berichtet, die Beamten hätten nicht genau gewusst, wo sie hin mussten. Sie habe panisch geschrien, Worte wie „Schüsse Blut, tot“, erinnert sich der Beamte, der stark bremsen musste.

Ein Polizist, der am Tatort in der Innenstadt im Einsatz war, erklärte wie sein Kollege, die Lage sei chaotisch gewesen. Viele Leute seien schockiert durcheinandergelaufen. Er war mit einem Praktikanten zum Heumarkt gefahren. Von Kaloyan Velkov, der eine halbe Stunde lang erschossen hinter dem Tresen der Bar La Votre lag, bevor er entdeckt wurde, habe er erst später erfahren – nachdem weitere Befragungen ergeben hätten, dass der Anschlag in dem Lokal begann.

Anschlag von Hanau: Weiter Opfer zu verhindern war die wichtigste Aufgabe

Weil noch nicht genügend Personal da gewesen sei, sei es am Anfang ausschließlich darum gegangen, abzusichern und weitere Opfer zu verhindern. Er habe Passanten bitten müssen, sich um den tot auf der Straße liegenden Fatih Saraçoglu zu kümmern, weil Zeug:innen ihn in die Midnight Bar riefen, wo der Terrorist zuletzt war. Dessen Aufenthaltsort sei unklar gewesen. Aus heutiger Sicht hätten sie damals nichts anders gemacht, so der Zeuge, der auf Nachfrage einräumte, im Polizeialltag gebe es kaum Gelegenheit für Schulungen zu Großlagen.

Was in seiner Heimatstadt geschah, sagte der Polizist, beschäftige ihn nach wie vor: „Ich finde keine Worte dafür.“ (Gregor Haschnik)

Kritik an der Polizei beim Anschlag von Hanau gibt es vor allem bei der Tatortaufnahme. Beim Untersuchungsausschuss kritisierte die Staatsanwaltschaft der Beamten heftig.

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