Corona-Tote in Pflegeheim: Staatsanwaltschaft Hanau erhebt Anklage

Nachdem die Leitung eines Seniorenheims in Großkrotzenburg abgesetzt wurde, erhebt nun die Staatsanwaltschaft Anklage gegen die Verantwortlichen der Einrichtung.
Großkrotzenburg/Hanau – Die haarsträubenden Zustände, die während der Corona-Pandemie im Seniorenheim Theresa im Dezember 2020 geherrscht haben, könnten bald ein juristisches Nachspiel für die Verantwortlichen haben. Denn die Staatsanwaltschaft Hanau hat nun Anklage gegen die 40-jährige, ehemalige Heimleiterin und Geschäftsführerin, den 37-jährigen Pflegedienstleiter sowie dessen 25-jährige Stellvertreterin erhoben. Das hat die Anklagebehörde auf Anfrage unserer Zeitung berichtet.
Die Vorwürfe wiegen schwer: Alle drei Beschuldigte sollen die 64 Heimbewohner, die ihnen in Großkrotzenburg zur Obhut anvertraut waren, in einer hilflosen Lage im Stich gelassen haben. Dabei wäre es ihre Pflicht gewesen, ihnen beizustehen. Dadurch hätten alle drei die Menschen in die Gefahr des Todes oder schweren Krankheiten gebracht.
Unglaublich sind einige Details: Die 40-jährige Heimleiterin soll unter Missachtung aller im Herbst 2020 geltenden Corona-Regeln für Werbeaufnahmen durch eine Fotografin auf einem Zimmer mit einer Patientin posiert und deren Hand gehalten haben – ohne Abstand, ohne Schutzmaske. Der Fall hatte für großes Aufsehen gesorgt, weil in dem Pflegeheim alle 64 Bewohner mit dem Coronavirus infiziert wurden.
Mehrere Corona-Tote in Pflegeheim: Gesundheitsamt stellt schwere hygienische Mängel fest
Nach massiven Beschwerden und Vorwürfen der Angehörigen, von denen auch Strafanzeigen gestellt wurden, hatte das Kreisgesundheitsamt nach eigenen Angaben schwere hygienische Mängel festgestellt und in Absprache mit der zuständigen Heimaufsicht vorübergehend selbst die Leitung des Heims übernommen. Damals war von sieben Corona-Toten die Rede (wir berichteten). Auch Polizei und Staatsanwaltschaft leiteten Ermittlungen ein, die in mehreren Durchsuchungen sowie Exhumierungen mündeten.
Wie Markus Jung, Pressesprecher der Hanauer Staatsanwaltschaft, auf Anfrage mitteilt, seien in Großkrotzenburg insgesamt 17 Menschen mit dem Corona-Virus verstorben, davon zwei offenbar direkt durch das Virus. Das hätten Gerichtsmediziner festgestellt.
Nach monatelangen, intensiven Ermittlungen will die Anklagebehörde Beweise vorlegen, die zeigen, dass die drei Verantwortlichen die besonderen Corona-Regeln für Pflegeheime missachtet hätten. Weder seien genügend Pflegekräfte vorhanden gewesen, noch ausreichend Schutzkleidung für das Pflege- und Reinigungspersonal. Sogar eine größere Zahl Toilettenstühle und andere in der Pflege normalerweise vorhandene Hilfsmittel sollen gefehlt haben.
Als die ersten Corona-Tests positiv ausgefallen seien, hätten die drei leitenden Mitarbeiter auch keine Quarantänegruppen für die älteren Menschen angeordnet. Selbst eine Absonderung der Pflegekräfte, die mit Covid-Positiven zusammen gewesen sind, habe es nicht gegeben. Schließlich sei die Lage dramatisch geworden, weil die Verantwortlichen keinen Personalpool von Pflegekräften gebildet hätten. So sei der Mehraufwand bei der Pflege nicht mehr möglich gewesen. Die fürchterlichen Folgen: gravierende Hygienemängel, Urin auf dem Flur und Senioren, die keine frischen Windeln bekommen.
Fehlende Corona-Maßnahmen nach Ausbruch – Anklage gegen Pflegeheim
Juristisch gesehen betritt die Staatsanwaltschaft Hanau mit ihrer Anklage Neuland, weil sich die Gerichte bislang nicht mit der Strafbarkeit von Betreibern von Pflegeheimen wegen einer „Aussetzung“ im Zusammenhang mit dem Unterlassen von Covid-19-Schutzmaßnahmen befasst haben. Denn der konkrete Anklagevorwurf nennt den Paragrafen 221 des Strafgesetzbuchs.
Darin heißt es: „Wer einen Menschen in eine hilflose Lage versetzt oder in einer hilflosen Lage im Stich lässt, obwohl er ihn in seiner Obhut hat oder ihm sonst beizustehen verpflichtet ist, und ihn dadurch der Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung aussetzt, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.“
Tote nach Corona-Ausbruch in Pflegeheim – Leitende Positionen neu besetzt
Wann der Prozess vor dem Hanauer Amtsgericht – voraussichtlich vor dem Schöffengericht – beginnt, ist noch offen. Bekannt ist allerdings, dass es nach diesen unhaltbaren Zuständen umgehend einen Neuanfang im Seniorenheim Theresa gegeben hat. Wie berichtet, wurden die drei mutmaßlich Verantwortlichen gefeuert und durch ein neues Leitungsteam ersetzt. Durch einen Neubau wurde die Zahl der Heimplätze von 62 auf 113 erhöht.
Und vom zuständigen Kreisgesundheitsamt in Gelnhausen gibt es keinerlei Einwände: „Dem Amt für Gesundheit und Gefahrenabwehr liegen zum Betrieb des Pflegeheims Theresa in Großkrotzenburg keinerlei Hinweise auf Auffälligkeiten oder Beanstandungen vor“, heißt es aktuell auf Anfrage aus dem Landratsamt. (Thorsten Becker)