Die Autostadt Hanau muss umdenken

Angesichts des Klimawandels und einer steigenden Einwohnerzahl muss und will die Stadt Hanau beim Thema Mobilität umdenken. Im Interview mit unserer Zeitung spricht der für Verkehr zuständige Stadtrat Thomas Morlock (FDP) darüber, wie die Brüder-Grimm-Stadt die Verkehrswende schaffen will.
Hanau ist eine Autostadt. Hier gibt es 1,2 Pkw pro Haushalt. In vergleichbaren Städten sind es 0,9. Die Zahl der Pkw ist in den vergangenen Jahren um 19 Prozent gewachsen, die der Einwohner um zwölf Prozent. Woher kommt diese Autozentriertheit in Hanau?
Da muss man immer schauen, was man vergleicht: Bei Städten mit anderer Infrastruktur, wie U-Bahnen, ist der Wert geringer. Aber ungeachtet dessen: Dass es immer mehr Pkw gibt, ist nicht unbedingt hanauspezifisch. Damit muss man umgehen, das ist Realität und es ist wohl eine Folge von vermehrter Individualität. Die Leute haben immer mehr individuelle Verkehrsbeziehungen.
Corona hat diese Individualität noch verstärkt...
Ja, sicher, der Gedanke, sich gemeinsam mit anderen auf den Weg zu machen, etwa zur Arbeit, hat an Attraktivität verloren. Corona hat eher dem Individualverkehr wieder einen Schub gegeben, auch wenn das Verkehrsaufkommen zu Corona-Zeiten insgesamt zurückgegangen ist, Stichwort Homeoffice. Außerdem ist die Zahl der Pkw allein nicht das Entscheidende, wichtig ist auch: Werden sie bewegt oder stehen sie zu Hause vor der Tür? Letzteres hat dann wieder anderes zur Folge, etwa, wie man mit Parkraum umgeht.
Hanau erstellt gerade ein Mobilitätsleitbild quasi als Leitfaden für seine Verkehrspolitik und die kommunale Verkehrswende. Wann ist das fertig?
Das Mobilitätsleitbild ist eine Zielbestimmung, wohin wir wollen, um die kommunale Verkehrswende zu organisieren. Es befasst sich mit dem Zusammenspiel der Verkehrsformen, aber auch mit den einzelnen Bereichen von Fußgängern über Fahrrad, Auto und ÖPNV bis zu Lieferverkehr und Parken.
Die Bürgerbeteiligung ist ja bereits gelaufen...
... jetzt wird das zusammengeführt. Ich denke, dass wir den Entwurf für das Mobilitätsleitbild im Dezember in die Stadtverordnetenversammlung einbringen werden.
Um konkret zu werden: Wenn es um Defizite in der Hanauer Verkehrspolitik geht, wird immer wieder der Fahrradverkehr genannt. Warum hinkt Hanau da so hinterher?
Das hat etwas mit der Verkehrsinfrastruktur zu tun. Hanau ist vergleichsweise flach, zudem in seinen Ausdehnungen überschaubar und damit eigentlich gut fürs Fahrradfahren geeignet. Aber planvolle Überlegungen zum Fahrradverkehr gab es lange nicht. Der letzte Plan ist aus den 1970er Jahren. Man hat Radwege eine ganze Zeit lang immer nur da gebaut, wo Platz war. Damals stand die autogerechte Stadt im Fokus. Das hat dazu geführt, dass Radwege zum Teil unvermittelt enden und es keine durchgängigen Radwegeverbindungen gibt. Wir haben zuletzt immerhin punktuell etliches verbessert, beispielsweise mit dem Pop-up-Radweg in Wolfgang oder einem neuen Radweg an der August-Schärttner-Straße im Stadtteil Lamboy.
Defizite gibt es beispielsweise bei den Radwegverbindungen zwischen den Stadtteilen und der Kernstadt, das wird immer wieder kritisiert. Was soll konkret verbessert werden?
Verbesserungen werden wir über die Radschnellverbindungen erzielen. Das ist ein wichtiger Nebeneffekt: Wir werden in diesem Zusammenhang auch eine gute Anbindung zwischen Kesselstadt/Weststadt sowie Maintal-Dörnigheim erhalten. Und für den südmainischen Bereich gibt es die ersten Trassenüberlegungen. Das wird auch eine bessere Anbindung von und nach Steinheim bringen.
Was ist im Gespräch? Das Nadelöhr ist der Mainübergang.
Das ist in der Tat ein wichtiges Thema. Ob ein Radschnellweg über die Steinheimer Mainbrücke geführt werden kann, ist fraglich.
Also eine neue Brücke für Radler und Fußgänger?
Darüber wird tatsächlich nachgedacht, das muss aber der Lenkungskreis für die Radschnellverbindung entscheiden, dem neben Hanau auch die an der Strecke liegenden Kommunen sowie der Regionalverband angehören. Aus Hanauer Sicht wäre die Anbindung mit einer Fahrradbrücke am besten zu lösen.
Welche Überlegungen gibt es für Großauheim?
In puncto Radweganbindung von Großauheim bietet sich an, bei der vierspurigen L3309 (Auheimer Straße) eine Autofahrbahn wegzunehmen und zur Radstrecke zu machen, das würde viele Probleme lösen.
Das ist aber nicht allein eine kommunale Entscheidung, weil es sich um eine Landesstraße handelt.
Eine entsprechende Absichtserklärung zur Auheimer Straße haben Hessen Mobil (Außenstelle Gelnhausen) und die Stadt Hanau jetzt unterzeichnet.
Zum Stichwort Fahrradverkehr: In anderen Städten gibt es viele Mietfahrräder, in Hanau nur wenige, etwa am Hauptbahnhof. Auch andernorts gängige E-Scooter, die man mieten kann, gibt es in Hanau bisher nicht. Könnte sich das ändern?
Wir hatten einen Radverleiher, der seine Räder dann aber wieder abgezogen hat, weil der hiesige Markt offenbar für ihn uninteressant war. Für Leihfahrräder haben wir derzeit keine Anfrage eines Anbieters. Wir wären dafür allerdings offen. Anders sieht es bei E-Scootern aus: Wir sind mit einem Unternehmen im Gespräch darüber, wie das organisiert werden kann, um zum Beispiel zu vermeiden, dass die Leih-E-Scooter überall herumstehen, und um festzulegen, wo gefahren werden darf. Das kann man technisch einschränken.
Während der Corona-Krise haben Online-Handel und Paketdienste Hochkonjunktur. Die Zahl der Lieferfahrzeuge hat stark zugenommen. Im Parkhaus am Heinrich-Fischer-Bad gibt es als Modellversuch eine DPD-Paketstation, von der aus Sendungen in die Innenstadt per Lastenrad ausgeliefert werden. Wie sind denn die Erfahrungen? Kann das ausgeweitet werden?
Das ist ein zartes Pflänzchen. Wir sind im Moment dabei, mit Fördermitteln ein Lieferkonzept zu erstellen, und wollen weitere Anbieter für solche Paketdepots, so genannte Mikrodepots, gewinnen. Wir würden das gerne ausweiten, insbesondere in der Innenstadt, weil die Lieferfahrzeuge vor allem in den Fußgängerzonen stören.
Wie wollen Sie das Paketdiensten schmackhaft machen?
Wir können natürlich niemanden zwingen. Wir könnten aber darüber nachdenken, in diesen Innenstadt-Bereichen die Lieferzeiten zu reduzieren, sodass dann zu bestimmten Zeiten nur noch E-Fahrzeuge oder Lastenräder reinfahren dürfen.
Zum Thema Parken: Vor der Marktplatz-Tiefgarage bilden sich zu Haupteinkaufszeiten nach wie vor mitunter lange Warteschlangen, während in kaum weiter entfernten Parkhäusern genügend Plätze frei sind. Wie kann man die Auslastung besser steuern? Bei einem Online-Stadtforum äußerte einer Ihrer Kollegen, er habe keine richtige Idee. Haben Sie eine?
Wir haben ein gutes Parkleitsystem, über das freie Plätze genau angezeigt werden. Da kann man auf den Platz genau die Kapazitäten sehen. Ungeachtet dessen reduzieren wir die Zahl der Parkplätze im öffentlichen Raum. Das heißt: weniger Plätze am Straßenrand, weniger so genanntes Straßenbegleitblech, damit Autofahrer merken, es bringt nichts, durch die Straßen zu fahren, weil man dort keinen Parkplatz findet, und stattdessen die Parkhäuser am Innenstadtring ansteuern. Außerdem werden wir das Anwohnerparken ausdehnen, um die Kunden in Parkhäuser zu lenken. Das betrifft unter anderem die Hanauer Altstadt oder das Freigerichtviertel. Ein Punkt wird sein, dass man die Gebühren in Parkhäusern nicht teurer macht als am Straßenrand. Wir haben jedenfalls vor, die sogenannte Parkraumbewirtschaftung anders zu strukturieren. Das ist wegen Corona vorerst verschoben worden.
Vor einiger Zeit ist die Langstraße, nachdem es dort immer wieder Beschwerden wegen Schnellfahrern und Posern gegeben hat, mit versenkbaren Pollern abgesperrt worden und ist damit quasi Fußgängerzone. Die Erfahrungen sind offenbar gut. Sie haben angekündigt, das eventuell auszuweiten. In welchen Bereichen?
Die Erfahrungen sind in der Tat ganz positiv. Wir wollen als Nächstes konkretisieren, wie und wo wir das in der Nürnberger Straße machen.
Seit Langem wird über Autos geklagt, die dort verbotswidrig durchfahren...
Nicht jeder, der dort durchfährt, tut das verbotswidrig. Aber es gibt zu viele solcher Fälle, darüber regen sich die Leute zurecht auf. Das Problem mit dem illegalen Durchfahren bekommt man auch nicht allein durch Kontrollen in den Griff.
Also auch dort Poller?
Ja, wir prüfen im Moment, wie und wo wir das machen wollen. Das soll nächstes Jahr realisiert werden. Im Moment sieht es so aus, als würde ein versenkbarer Poller im Bereich des Marktplatzes reichen, um die Abkürzungsstrecke, die auch gerne abends verbotenerweise genutzt wird, zu unterbinden. Wichtig ist, dass die Durchfahrt der Busse reibungslos erfolgt. Aber das lässt sich technisch lösen.
Zum ÖPNV: Durch Corona sind im vergangenen Jahr die Fahrgastzahlen in den HSB-Bussen um fast 30 Prozent zurückgegangen. Wie sieht es denn bisher für dieses Jahr aus?
Wir haben bei der HSB im Vergleich zu anderen Verkehrsbetrieben unterdurchschnittlich Fahrgäste verloren. Und im Moment sieht es sogar wieder besser aus als letztes Jahr, auch weil die Schulbusse wieder fahren. Momentan sind wir wieder bei 70 bis 80 Prozent der früheren Fahrgastzahlen.
Die HSB hat noch nicht sofort auf E-Busse gesetzt, sondern zunächst die Modernisierung ihrer Diesel-Flotte auf Euro-6-Norm gestartet. Wie weit ist das?
Die Euro-6-Busse sind bestellt, die letzten kommen 2022, dann ist diese Umstellung abgeschlossen.
Und E-Busse?
Voraussichtlich ab 2023 oder 2024, wenn die Fahrleistung unserer älteren Dieselbusse erreicht ist, werden wir die ersten emissionsfreiem Busse anschaffen. Die werden wir mit Strom versorgen oder mit Wasserstoff betanken. Im Moment können wir auf unserem Gelände zwei oder drei Elektrobusse laden. Für mehr bedarf es einer anderen Infrastruktur, etwa was die Ladekapazitäten anbetrifft, aber auch die Werkstätten, die ganz anders aussehen müssen. Das muss alles organisiert sein. Wir werden die neuen emissionsfreien Busse sukzessive einsetzen und damit die Dieselbusse nach und nach ersetzen.
Sie arbeiten mit der Hanauer Firma SimPlan an einem Simulationsmodell für künftige Busverkehre etwa mit E-Fahrzeugen. Welche Erkenntnisse hat das bisher gebracht?
Ein Ergebnis ist, das wissen wir schon jetzt, dass wir rund 20 Prozent mehr Fahrzeuge bräuchten, wenn wir ausschließlich mit E-Bussen fahren würden. Momentan hat die HSB rund 60 Busse. Die höhere Buszahl ist natürlich ein Kostenfaktor, erst recht im Hinblick auf die angespannte Finanzlage, die aber nicht nur wir bei der HSB haben, sondern die überall im ÖPNV herrscht. ÖPNV ist nun mal ein defizitärer Bereich.
Mit E-Bussen gab es bei der HSB bereits Tests, mit einem Wasserstoffbusse noch nicht.
Richtig, aber die Technik funktioniert. Der Einsatz ist eine Kostenfrage. Bis 2025 soll es eine öffentliche Wasserstofftankstelle in Hanau geben. Das könnte zur Anschaffung erster Wasserstofffahrzeuge bei der HSB passen.
Beim Bus-on-demand-System, also bei Rufbussen, gibt es eine Linie der Kreisverkehrsgesellschaft Offenbach, die auch in Klein-Auheim fährt. Ist eine Ausweitung des Rufbussystems zu erwarten?
Das größere Projekt wird im Zuge der Frankfurt/Rhein-Main-Lösung kommen. Da sind wir angebunden. Das wird nächstes Jahr eingeführt. Dafür werden bei der HSB eigene Rufbusse angeschafft, die dann im Demand-System in Klein-Auheim und Großauheim unterwegs sein werden und die Verbindung über den Main herstellen, die derzeit über die Linie 6 abgewickelt wird.
Wann sind Sie eigentlich das letzte Mal Bus gefahren?
Das beantworte ich nicht (lacht). Daraus können Sie schließen, dass es schon eine Weile her ist.
(Das Gespräch führten Christian Spindler und David Scheck.)
