Die Hanauer Hilfe berät Geschädigte und Zeugen von Straftaten

„Heute hat eine Dame angerufen. Bei ihr wurde eingebrochen. Sie hat den Einbrecher auf frischer Tat ertappt. Jetzt geht ihr diese Gefahrensituation nicht mehr aus dem Kopf. Sie sucht Hilfe bei uns.“ Josephine Lo Coco, Sozialarbeiterin, Trauma- und Opferberaterin, zeigt an dem Beispiel der Überfallenen die vielfältigen Aufgaben der neun Mitarbeiter der Hanauer Hilfe auf.
Hanau – „Mit der Dame haben wir einen Termin vereinbart, sie kommt zu uns, dann führen wir ein Gespräch.“ Da gehe es zunächst vorwiegend ums Zuhören.
Die Hanauer Hilfe kann mittlerweile auf eine bald 30-jährige Geschichte zurückblicken. 1984 vom hessischen Justizministerium als Opferhilfe gegründet und damals von zwei Sozialpädagogen gestemmt, betreut sie mittlerweile bis zu 430 Fälle jährlich. Es sind Opfer und Zeugen von Gewalttaten, die Unterstützung bei dem Verein suchen. Er finanziert sich durch das Justizministerium, Spenden sowie Einnahmen aus Bußgeldern.
Dass sich die Arbeit der Hanauer Hilfe bewährt, hat sich nicht nur hessenweit, sondern in der gesamten Republik herumgesprochen. Allein acht Opferhilfen gibt es mittlerweile in Hessen, in Berlin ist mittlerweile der Arbeitskreis Opferhilfe entstanden. Der Großteil der Klienten sind Frauen, die Opfer von Gewalt geworden sind.
Doch die Hanauer Hilfe hat nicht nur die Aufgabe, Opfern zu helfen. Sie kümmert sich zudem um den Täter-Opfer-Ausgleich und betreibt seit 2010 das Zeugenzimmer am Hanauer Gericht sowie seit 2014 am Offenbacher Gericht.
Die Dame, die nach dem Stellen des Einbrechers Unterstützung bei der Hanauer Hilfe sucht, hat den Kontakt über die Polizei hergestellt. „Die Beamten haben Infoblätter mit Hilfsangeboten bei ihren Einsätzen dabei. Die Polizei ist für uns ein sehr wichtiger Kooperationspartner. Der Dame konnte ein schneller Termin angeboten werden. Was dann folgt, ist die sogenannte Psycho-Edukation“, erklärt Corinna Botzum. Die Sozialpädagogin, der die Geschäftsführung obliegt und die sich zudem um die Finanzen und die Onlineberatung zentral für alle hessischen Opferhilfen kümmert, betont, dass es immer der erste Schritt sei, sich die Probleme der Klienten anzuhören. „Wir helfen den Opfern dabei, ihre Gefühle besser einzuordnen. Wir sagen: ‘Es ist normal, was sie fühlen.’ Denn die Opfer sind verunsichert. Auch das erklären wir. Wir sind da. Wir hören zu. Wir begleiten. Dann gehen wir weiter zur individuellen Unterstützung. Die ist je nach Fall ganz verschieden. Manchmal verweisen wir an einen Therapeuten. Manchmal kommen Klienten nur zwei-, dreimal, manchmal ein ganzes Jahr lang.“
„Wir arbeiten mit dem Bedarf und mit der Intensität, die ein Klient hat“, sagt Uli Gieles. Der Sozial- und Traumapädagoge ist für das Projekt „Gewalt ist alles, was verletzt“ zuständig. Es richtet sich seit 1996 an Jungen ab zwölf Jahren und Männer, die Gewalt jeglicher Art erfahren mussten. In diesem Bereich ist der Bedarf in den vergangenen drei Jahren stetig gestiegen. Waren es vor drei Jahren noch zehn Fälle, die Gieles betreute, ist die Zahl im vergangenen Jahr auf 21 angewachsen. In 2021 sind es aktuell bereits über 30 Fälle. „Für mich ist es gut, zu sehen, wenn Männer oder Jugendliche ihre Hemmschwelle überwinden und sich bei uns Hilfe suchen. Und wenn sie am Ende eines Gespräches zufrieden gehen mit dem Gedanken, ja, es hat etwas gebracht.“
Eine wichtige Aufgabe der Opferhilfe nimmt auch das sogenannte Zeugenzimmer ein. Josephine Lo Coco ist eine der drei Mitarbeiterinnen, die Opfer, die als Zeugen vor Gericht aussagen müssen, unterstützt. „Wir begleiten die Zeugen beim Prozess, erklären ihnen, wie er abläuft, warten mit ihnen in einem geschützten Raum.“ Meist werden Frauen betreut, die häusliche Gewalt erfahren haben. „Ihnen geht es in erster Linie darum, sicherzustellen, dass der Ex-Partner nicht erfährt, wo sie jetzt leben. Das sprechen wir dann vorab mit dem Gericht ab.“ Die Dankbarkeit, die den Angestellten der Hanauer Hilfe dort, aber auch generell entgegengebracht werde, sei groß. „Wir bekommen oft zu hören, dass Zeugen nur dank uns ausgesagt haben“, so Josephine Lo Coco.
Um den Täter-Opfer-Ausgleich im Erwachsenen-Strafrecht kümmert sich Anja Leitschuh-Möller. Vom Gericht oder der Staatsanwaltschaft bekommt die Hanauer Hilfe in dieser Sparte Fälle zugewiesen. „Dieses außergerichtliche Ausgleichverfahren zählt auf Freiwilligkeit und höchstmögliche Selbstbestimmung der Beteiligten. Ein Prozess soll vermieden werden. Wir nehmen per Brief Kontakt zu den einzelnen Parteien auf, führen Vorgespräche, dann erst gibt es ein Treffen. Das kann zu einer Lösung führen, muss es aber nicht“, so Leitschuh-Möller. Oft einige man sich auf eine finanzielle Wiedergutmachung, bei der der Geschädigte mit einem guten Gefühl herausgeht. „Manchmal kann aber auch eine Entschuldigung reichen. Oder eine Spende an eine soziale Einrichtung. Oder Sozialstunden. Aber auch eine Schmerzensgeldzahlung“, erklärt die Sozialpädagogin. Die Vereinbarung wird schriftlich festgehalten, dem Gericht mitgeteilt und zudem auf Einhaltung überprüft.
„Es kommt aber auch oft vor, dass man sich nicht einigen kann. Vor allem beim klassischen Nachbarschaftsstreit. Oder wenn emotionale Verletzungen im Spiel sind. Oder wenn es um Dinge geht, die für das Opfer einfach zu schlimm waren. Dann wird oft Wert auf eine richtige, vor dem Gericht ausgefochtene Strafe gelegt.“
Weitere Infos
Die Beratung von Opfern und Zeugen erfolgt kostenlos, vertraulich und unabhängig von einer Strafanzeige. Eine Beratung kann auch online und anonym erfolgen. Die Hanauer Hilfe hat ihren Sitz an der Salzstraße 11, z 06181 24871, E-Mail kontakt@hanauer-hilfe.de.
Von Kerstin Biehl