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Dr. Oetker findet seine Liebe in Hanau

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Backpulver und Pudding haben den Ruf des Hauses Oetker begründet.
Backpulver und Pudding haben den Ruf des Hauses Oetker begründet. © -

Die Kunstsammlung Oetkers soll bald nach Frankfurt ziehen. Damit kehrt sie in die Nähe der Ursprünge zurück. Dr. Oetker heiratete eine Hanauerin.

Hanau – Leute, die morgens als erstes den Wirtschaftsteil ihrer Tageszeitung aufschlagen, dürfte der Name Dr. Oetker zumindest genauso geläufig sein wie den Liebhabern von Pudding. Denn die Süßspeise ist noch immer Synonym für einen milliardenschweren Konzern, der zu den „Big Players“ in Europa gehört. Und dies nicht nur in Sachen Backpulver und Sahnesteif.

Weniger bekannt sein dürfte, dass dieses Unternehmen seine Wurzeln in Hanau hat, genauer gesagt in der Nürnberger Straße 22, heute Adresse des Europa-Hauses und in den 1960ern Domizil des legendären Möbelhauses Belk.

Dr. Oetker: In Hanau wurde der Grundstein für den Weltkonzern gelegt

Dass es Zeit ist, wieder einmal auf diesen Tatbestand hinzuweisen, ist einer – eher für Insider der deutschen Museumsszene interessanten – Personalie geschuldet: Die Leiterin des Museums Giersch der Uni Frankfurt, Birgit Sanders, wechselt demnächst an die Spitze der Rudolf August Oetker Stiftung, die den umfangreichen Kunstbesitz des 2007 verstorbenen Konzernherrn verwaltet. Zugleich soll der Sitz der Stiftung von der Pudding-Metropole Bielefeld an den Main umziehen, womit wir schon fast wieder bei Hanau sind. Hier nämlich, in der Nürnberger Straße im Hause der Witwe Jacobi, wurde 1889 der Grundstein gelegt für den heutigen Weltkonzern.

Die „Nürnberger“, damals Durchgangsstraße, war auch schon im 19. Jahrhundert eine begehrte Geschäftsadresse, nicht nur, weil dort in der Einhorn-Apotheke Wilhelm Carl Heraeus im Jahr 1856 erstmals ein Verfahren fand, das widerspenstige Edelmetall Platin zu schmelzen, was später ein Hightech-Unternehmen unserer Tage begründen sollte. Durch die Nürnberger verlief vor dem Bau der Nordwest-Umgehung in den 1930er Jahren der gesamte Verkehr zwischen der Messestadt Frankfurt und Mitteldeutschland (Leipziger Straße) beziehungsweise Franken.

Anton Jacobi starb früh und hinterließ ein ordentliches Vermögen

Im Eckhaus zur Hirschgasse etablierte sich 1861 das „Merceriewaarengeschäft von Kausel & Jacobi“, wie man dem geneigten Publikum in den Hanauer Zeitungen kundtat. Unter Mercerieware verstand man „Kurz- und Weißwaren“, ein heute kaum mehr gebräuchlicher Begriff für alles, was man zum Nähen brauchte: Knöpfe, Bänder, Stick-, Näh- und Strickgarn, Wolle, Litzen. Aber auch Strümpfe, Handschuhe, Blusen, Schürzen, Unterwäsche, Babyausstattung und Ähnliches kaufte man in Hanau bei Kausel & Jacobi.

Nicht nur eine städtische Kundschaft frequentierte das Geschäft, besonders an den Markttagen waren auch die Bewohner des Umlands in der Stadt und deckten bei Kausel & Jacobi ihren entsprechenden Bedarf. Immerhin wurde damals in einem heute kaum mehr vorstellbaren Umfang zu Hause genäht und geflickt. So blieb der geschäftliche Erfolg der Herren Wilhelm Kausel und Anton Jacobi nicht aus. Doch Jacobi starb früh und hinterließ Frau und Tochter ein ordentliches Vermögen, darunter das Haus an der Nürnberger.

Die Einheirat in die Hanauer Familie Jacobi ermöglichte Dr. Oetker den Erwerb einer eigenen Apotheke.
Die Einheirat in die Hanauer Familie Jacobi ermöglichte Dr. Oetker den Erwerb einer eigenen Apotheke. © -

Dr. phil. August Oetker heiratete eine Hanauerin

Dort wiederum logierten auch immer wieder Auswärtige, die Geschäfte oder andere Gründe für länger oder kürzer nach Hanau führten. So auch den jungen, 1862 geborene, Dr. phil. August Oetker. Dessen Vater August Adolph hatte es nicht nur zu zehn Kindern gebracht, sondern im Gegensatz zur unternehmerisch erfolgreichen Verwandtschaft, „nur“ zum Bäckermeister. Doch August junior konnte zumindest studieren, und er wählte das Studium der Pharmazie.

Der junge Apotheker indes war stets auf der Suche nach Innovationen, denn allein in der „Pillendreherei“ auf Rezept sah er keine Zukunft. Als Erfinder von allerlei verwandten Produkten war er kreativ, aber mit Warzentinkturen, „Gesundheitscacao“ oder einer Fußcreme nur mäßig erfolgreich. Doch eines trieb den Bäckerssohn vor allem um: Er wollte ein Backtriebmittel herstellen, das den Teig locker machte, einfach zu produzieren und darüber hinaus haltbar war. Dies wiederum führte Oetker nach Hanau, wo er bei der inzwischen von der Apotheke zu einem führenden Unternehmen der Verfahrenstechnik mutierten Firma Heraeus hospitierte. Logis nahm er im Haus der Witwe Jacobi in der Nürnberger Straße. Der Rest ist schnell erzählt: Zwischen August und der jungen Tochter des Hauses hatte es offenbar „gefunkt“, denn am 10. März 1889 führte er Caroline Frederike in der Marienkirche vor den Traualtar.

Oetker erfand sein Backpulver in Bielefeld

Ihre nicht unerhebliche Mitgift erleichterte den Erwerb der Aschoff’schen Apotheke in Bielefeld, wo er sein Backpulver erfand und somit einen Weltkonzern begründete. Schon nach einem Jahr war Oetkers „Backin“ auf dem Markt. Es sei „ ... frei von allen schädlichen Nebenmitteln, von stets gleichbleibender Beschaffenheit und wird von allen Hausfrauen, welch wert auf Qualität legen, nur verwandt!“ Der „geringe Preis“ mache es einer jeden Hausfrau zugänglich, wobei der Preis von 10 Pfennig für ein Tütchen Backpulver 1891 ein geradezu horrender war.

Das Geschäft mit dem „Backin“ brummte gleichwohl! Und auch in Hanau war es bald erhältlich. 1895 annoncierte das Feinkostgeschäft Lossow am Neustädter Markt, Ecke Lindenstraße im Hanauer Anzeiger: „Dr. Oetkers Backpulver gibt feinste Kuchen und Kloese – Rezepte gratis bei J. Chr. Lossow“. Und auch Oetker selbst inserierte in Blättern wie dem HA, so im Jahr 1901: „Dr. Oetkers Backpulver, Vanille-Zucker und Pudding-Pulver à 10 Pfg. millionenfach bewährt, Rezepte gratis in den besten Drogen- und Colonialwarengeschäften“. Das Ende des 19. Jahrhunderts jedenfalls sah Dr. August Oetker als gemachten Mann, in einer neuen Fabrik in Bielefeld begann die Produktion in industriellem Maßstab.

Aus der Aschoff’schen Apotheke in Bielefeld erwuchs später ein weltweit tätiger Konzern.
Aus der Aschoff’schen Apotheke in Bielefeld erwuchs später ein weltweit tätiger Konzern. © WErner Kurz

Kunstsammlung Rudolf August Oetkers soll nach Frankfurt ziehen

Mit Dr. Oetkers Erstgeborenem, dem fünf Monate nach der Hochzeit geborenen Rudolf Oetker, sind wir wieder etwas näher bei Hanau. Er hatte bei den Ulanen gedient und war 1916 vor Verdun gefallen. 50 Jahre später sollte der Sohn unseres Ulanen und Enkel des Apothekers, Rudolf August Oetker, nach dem Zweiten Weltkrieg den Konzern neu aufstellen. Neben der Leidenschaft für Kunst pflegte er ein weiteres, ein „kommerzielles“ Hobby. Er sammelte Brauereien wie andere Leute Briefmarken. Operationszentrale dafür war die Frankfurter Binding-Brauerei mit der von Oetker kontrollierten Braubank im Rücken. Bis Ende der 1960er Jahre hatte er denn auch beinahe alle kleineren Brauereien zwischen Aschaffenburg und Mainz zusammengekauft und geschlossen. Es begann eine, heute gottseidank überwundene, Verödung der hiesigen „Bierlandschaft“, gab es damals doch fast nur noch die gelb-blauen Binding-Wirtshausschilder in der Region. In Hanau hatte diese Strategie dem Hofbrauhaus Nicolay nach fast 125 Jahren ein unverdientes Ende bereitet.

Rudolf August Oetker schuf bis zu seinem Tod 2007 einen weltweit tätigen Konzern mit Milliardenumsätzen. Vor einiger Zeit nun wurde dieses Erbe unter den zahlreichen Kindern Rudolf August Oetkers aus drei Ehen aufgeteilt. Ein Teil des Konzerns, darunter die Wiesbadener Sektkellerei Henkell, eine Chemiefabrik sowie eine Hotel-Kette mit insgesamt zwei Milliarden Umsatz, ging an die „Geschwister Oetker Beteiligungs KG“.

Die als Stiftung geführte Kunstsammlung Rudolf August Oetkers, gehört gleichfalls dazu und soll jetzt ihren Sitz in Frankfurt nehmen. Was wiederum zu der eingangs erwähnten Personalie führte. Und damit ist zumindest ein Teil des Weltkonzerns Oetker wieder etwas näher an seine Ursprünge in der Nürnberger Straße in Hanau gerückt. (Werner Kurz)

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