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Eine brandheiße Neuerung für einen Hanauer Traditionskonzern

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Von: Jutta Degen-Peters

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Bei der Stahlproduktion werden extrem hohe Temperaturen erzeugt. Der Einsatz von KI ermöglicht, diesen Energieeinsatz präzise zu steuern.
Bei der Stahlproduktion werden extrem hohe Temperaturen erzeugt. Der Einsatz von KI ermöglicht, diesen Energieeinsatz präzise zu steuern. © Bernd Geller

Nach Einstieg bei Berliner Start-up entwickelt und verkauft der Hanauer Traditionskonzern Heraeus jetzt auch KI-Software für die Stahlproduktion. Möglich wird das durch das Investment in ein Start-up aus Berlin.

Hanau - „Die Stahlindustrie steht vor dem größten Umbau ihrer Geschichte“, sagt Martin Ackermann, Geschäftsführer der zum Hanauer Konzern Heraeus gehörenden Sparte Electro-Nite. Denn die weltweiten Anstrengungen von Politik und Wirtschaft, im Rahmen der Klimaziele CO₂ einzusparen, stellt auch die energieintensive Stahlindustrie vor große Herausforderungen. Diese ist nach den Worten Ackermanns für rund 7,2 Prozent der weltweiten CO₂-Emissionen verantwortlich.

In diesem Kontext ließ die Nachricht aufhorchen, dass Heraeus unlängst beim Berliner Start-up-Unternehmen Smart Steel Technologies eingestiegen ist und dort zum größten Anteilseigner aufgestiegen ist. Das Start-up-Unternehmen entwickelt Softwarepakete zur Künstlichen Intelligenz, K.I., mit deren Hilfe die Produktionsprozesse in Stahlwerken verbessert werden können.

Entwicklung von Künstlicher Intelligenz als Neuerung

Das Wirtschaftsmagazin hatte die Gelegenheit, mit Martin Ackermann über diesen Schritt des Hanauer Technologiekonzerns zu sprechen. Ziel der neuen Partnerschaft mit dem jungen Berliner Start-up ist seinen Worten zufolge eine Steigerung von Effizienz, Nachhaltigkeit und Qualitätsstandards entlang der gesamten Prozesskette der Stahlproduktion. Mithilfe der neuen KI-Software können Erdgas und Kohle, die für die Hochöfen gebraucht werden, eingespart werden, wodurch sich der Ausstoß von CO₂ verringert. Zudem ließen sich der Prozess der Herstellung durch die optimale Berechnung der Abläufe verkürzen und die Qualität des hergestellten Stahls verbessern, sagt Ackermann.

Heraeus selbst setzt KI bei einfachen Produktionsprozessen ein, allerdings noch nicht bei komplexen Prozessen in der Stahlbranche. Das Familienunternehmen mit seinen weltweit rund 16 000 Mitarbeitern beschäftigt allein 4000 Angestellte in seiner Sparte Electro-Nite mit Sitz in Belgien. Diese produziert Messsonden, Sensorik und Instrumente für die Messtechnik im flüssigen Stahl. „Wir sind fast in jedem Stahlwerk der Welt und in vielen Gießereien präsent“, unterstreicht Ackermann die Bedeutung seines Unternehmens. Dort wie in anderen Bereichen von Heraeus werde KI schon länger eingesetzt. „Neu ist, dass wir nun KI selbst entwickeln, die wir an die Kunden verkaufen“, erläutert Ackermann. Dabei war es für Heraeus laut Ackermann wichtig, sich mit einem deutschen Unternehmen zusammenzutun, „mit dem sich Wachstum generieren lässt.“ Umgekehrt dürfte dem Berliner Start-up die Partnerschaft mit der Hanauer Heraeus als etabliertem Unternehmen in der Branche große Möglichkeiten eröffnen.

In diesem Warmwalzwerk von ArcelorMittal in Eisenhüttenstadt wird das glühende Metall zu Strängen gegossen.
In diesem Warmwalzwerk von ArcelorMittal in Eisenhüttenstadt wird das glühende Metall zu Strängen gegossen. © Bernd Geller

CO₂-Einsparung bei der Stahlproduktion als großes Ziel

Doch wie muss man sich KI bei Produktionsabläufen in der Stahlindustrie vorstellen? Vielleicht am ehesten so, als speise ein Computer die Kenntnisse zahlreicher gewitzter Ingenieure in Algorithmen ein und aktualisiere diese Erkenntnisse entlang der Produktionskette permanent. „Das System lernt also ständig und ‘interpretiert’ Abläufe“, versucht Ackermann das komplizierte System für Laien verständlich zu machen. Dass die Künstliche Intelligenz auf der Basis von Mathematik, Algorithmen und Sach- und Fachwissen eine schier unvorstellbare Datenmenge in kürzester Zeit verarbeiten kann, mache ihren Einsatz so bedeutsam.

Am Beispiel der Temperatur als einer der entscheidenden Größen verdeutlicht der Geschäftsführer, wie KI wirkt. So werde bei der Erzeugung von Rohstahl im Hochofen der Stahl in eine Pfanne mit einer Temperatur von 1700 Grad abgefüllt. Um mögliche Zeitverzögerungen bei der weiteren Verarbeitung - der Beigabe von Argon oder der Entnahme von Karbon - auszugleichen, wird ein Temperaturpuffer eingebaut. Dieser sorge dafür, dass selbst bei einer Verlängerung des Produktionsprozesses um einige Minuten der Stahl noch heiß genug ist, um gießfähig zu bleiben. „KI hilft uns, den Prozess und somit die Temperatur genauer zu steuern“, sagt Ackermann. Der Effekt: Es könne Recyclingmaterial eingesetzt werden, wodurch man weniger Roheisen benötige. „Zwölf Kilo CO₂ pro Tonne Stahl lässt sich so einsparen“, sagt Ackermann.

Optimierung von Stahlwerken und Gießereien in aller Welt

Umgebaut werden müssten die Anlagen nicht, um dort KI einzusetzen. KI eröffne die Möglichkeit, für kurzfristige Optimierungen zu sorgen. Längerfristig müssten allerdings die Stahlwerke neu aufgebaut werden, um für viele Anforderungen der CO₂-Einsparung gerüstet zu sein. Der intensive Energieeinsatz werde in der Zukunft mit grün erzeugtem Wasserstoff gemeistert werden müssen. „Das bedeutet für die nächsten 20, 30 Jahre erhebliche Investitionen auf dem Wege der CO₂-Optimierung“, so Ackermann weiter. „Mit KI können wir die Werke erst einmal sofort optimieren, ohne dass wir Millionen in die Hand nehmen müssen.“

Fachkräfte brauchten sich angesichts des Einsatzes von Künstlicher Intelligenz wenig Sorgen um ihre Arbeitsplätze machen, gibt er sich überzeugt: „Ich wage mal die Prognose, dass KI in der ohnehin stark automatisierten Branche eher hochwertige Industriearbeitsplätze sichert!“

Jutta Degen-Peters

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