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FDP-Politiker über Hanau-Untersuchungssauschuss: Nach zwei Jahren muss Schluss sein

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Von: Yvonne Backhaus-Arnold

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Jörg-Uwe Hahn, das einzige FDP-Mitglied im noch laufenden Hanau-Untersuchungsausschuss, fordert ein Ende des Ausschusses.

Hanau – „Zurück zu den Fakten“. Unter diesem Titel hatte die FDP Hanau am Wochenende ins Brockenhaus geladen. Unvoreingenommen und neu, hieß es in der Einladung, sollen die vorliegenden Fakten zum 19. Februar 2020 betrachtet werden. Referent: Jörg-Uwe Hahn, Vizepräsident des Hessischen Landtags, ehemaliger Justizminister und einziges FDP-Mitglied des noch laufenden Hanau-Untersuchungsausschusses, der seine Arbeit im Sommer 2021 aufgenommen hatte.

Die Fragen, erklärte Hahn den rund 50 Gästen, darunter auch Armin Kurtovic und seine Frau Dijana, deren Sohn Hamza bei dem rassistisch motivierten Attentat getötet wurde, seien fast alle beantwortet und abgearbeitet. Der Täter, paranoid-schizophren, ein Rassist, ermordet neun Menschen an zwei Tatorten, richtet danach seine Mutter und im Anschluss sich selbst.

Die Polizei, so Hahn, habe den Mann zügig geortet. „Eigentlich hat an diesem Abend vom Ergebnis her alles geklappt“, befindet der Mann, der fünf Jahre als hessischer Justizminister gearbeitet hat. „Wegen eines parallelen Bombenfunds waren erst nur wenige Polizisten vor Ort“, erklärt Hahn den Anwesenden. Er habe wenig Verständnis dafür, dass Mitglieder des Untersuchungsausschusses Fehler bei der Polizei finden wollen.

Anschlag von Hanau: „Den Mann einfach einzuweisen, das geht nicht“

Wäre das Morden zu verhindern gewesen, fragt Hahn? 2004 sei bei dem Hanauer in einer staatlichen Anstalt in Bayern paranoide Schizophrenie diagnostiziert worden. Er habe sich der Therapie entzogen. „Wir leben in einem Rechtsstaat. Den Mann einfach einzuweisen, das geht nicht“, erklärt Hahn. Der Fehler sei gewesen, dass diese Information nicht zu den Menschen gelangt sei, die in der zuständigen Waffenbehörde (des Main-Kinzig-Kreises, Anm. d. Red.) arbeiteten. „Es fällt mir“, sagt das Mitglied des Untersuchungsausschusses, „schwer, zu sehen, dass diese Tat hätte verhindert werden können.“

Notausgang? „Ich unterstelle, dass die Tür in der Arena-Bar verschlossen war, deshalb ist auch niemand hingelaufen“, so Hahn. Dass es Absprachen gegeben habe zwischen Polizei, Stadt oder Pächter, dazu gebe es bisher keine einzige Zeugenaussage. Die Stadt habe die Konzession mit dem alten Pächter rechtskräftig beendet, dem neuen wurde alle Genehmigungen erteilt.

Den Zuhörern im Brockenhaus schilderte Jörg-Uwe Hahn (links) seine Sicht auf die Dinge.
Den Zuhörern im Brockenhaus schilderte Jörg-Uwe Hahn (links) seine Sicht auf die Dinge. © PATRICK SCHEIBER

Wer war dafür verantwortlich, dass die Telefonanlage veraltet war, es keinen Notrufüberlauf für Hanau gab und dieser Zustand bis zum Bau des neuen Polizeipräsidiums Südosthessen hingenommen und die Beamten vor Ort nicht darüber informiert wurden? Wer hat die Controller angewiesen, hier keine Übergangslösung zu installieren? „Ich habe“, sagt Hahn vorsichtig, „so das Gefühl, dass das in der Verantwortung des ehemaligen Offenbacher Polizeipräsidenten lag.“ Dass Roland Ullmann, der nach der Tat zum Landespolizeipräsidenten befördert und jetzt einige Monate zu früh in den Ruhestand geschickt wurde, diese Verantwortung vor dem Ausschuss nicht auf sich nehmen wollte, lässt Hahn unkommentiert. „Das hilft uns im vorliegenden Fall nicht weiter, denn wir wissen nicht, wie der später Getötete reagiert hätte, wenn er durchgekommen wäre.“

Hanau: Hahn verlässt die vermeintlichen Fakten

Es habe aber auch schon Verbesserungen gegeben: die Sensibilisierung der Beamten, die die Todesnachricht überbringen, die Ausgestaltung des Ortes, an dem dies geschieht – in Hanau war es die Turnhalle der Polizei – und wo man beispielsweise mit Zelten oder Abtrennungen arbeiten kann, muslimische Seelsorger, die es bis zum 19. Februar nicht gegeben in der hessischen Polizei. „Man wusste nicht, dass eine Obduktion verachtet wird im Islam. Deshalb haben sich alle Beteiligten total bekloppt verhalten. Kein Wunder, dass sich die Opferangehörigen im Stich gelassen gefühlt haben.“

Was passiert mit dem Vater des Attentäters? Er stehe unter Beobachtung und es seien Platzverbote ausgesprochen worden. Und ja, sagt Hahn, er wisse, dass das die Angehörigen, aber auch viele andere Menschen in Kesselstadt belaste. „Wir sind aber ein Rechtsstaat. Da kann man niemanden entfernen, nur weil er einen Hund hat und dummes Zeug redet.“

Hahn im Untersuchungsausschuss: Nach zwei Jahren muss schluss sein

Und dann verlässt Hahn die vermeintlichen Fakten, spricht von teilweise politischer Instrumentalisierung der Tat, davon, dass es vorsätzlich sei, die Ausstellung zum Notausgang nach Hanau zu holen, und befindet, dass jetzt, nach zwei Jahren, Schluss sein müsse mit dem Untersuchungsausschuss.

„Es muss gut sein. Es dürfen nicht immer wieder neue Fragen gestellt werden. Zehn Prozent sind nicht beantwortet und werden vielleicht auch nie beantwortet. Ich bin der festen Überzeugung, dass die Angehörigen so keine Chance haben, mit der Trauerarbeit zu beginnen.“ (Yvonne Backhaus-Arnold)

Kommentar von Yvonne Backhaus-Arnold

Anmaßend, ungebührlich und überhaupt: Was sollte das?

Sollte ein Landtagsabgeordneter, der Mitglied eines noch laufenden Untersuchungsausschuss ist, einen Vortrag unter dem Titel „Zurück zu den Fakten“ halten und mit seinem Konterfei ankündigen, diese „neu und unvoreingenommen“ zu betrachten?

Nach der Veranstaltung am Samstagnachmittag im Brockenhaus bleibt die Erkenntnis, dass Redner Jörg-Uwe Hahn besser daran getan hätte, den Auftritt sein zu lassen. Denn die Fakten waren weder neu noch Hahn unvoreingenommen.

Er habe das Gefühl, so der Politiker, dass der fehlerhafte Notruf in der Verantwortung des ehemaligen Polizeipräsidenten des Polizeipräsidiums Südosthessen liege. Aha, ein Gefühl also.

Wenige Wochen vor dem dritten Jahrestag des rassistisch motivierten Anschlags in Hanau stellt der ehemalige hessische Justizminister klar, dass es jetzt genug sei, dass es gut sein müsse mit den immer neuen Fragen und dem Untersuchungsausschuss. Das sind keine Fakten. Das ist reine persönliche Meinung. Es verbietet sich in der Position und Rolle, die Jörg-Uwe Hahn hat, diese öffentlich zu verbreiten.

Ganz unvermittelt spricht Hahn plötzlich vom Tod seiner Frau im April 2020 und von seiner eigenen Trauerarbeit, die erst jetzt fast abgeschlossen sei. Die Angehörigen könnten wegen des Untersuchungsausschusses nicht beginnen mit der eigenen Verarbeitung. Ein wohl gemeinter Ratschlag. Anmaßend. Ungebührlich.

Ein Wunder, dass Armin Kurtovic und seine Frau Dijana nicht aufgestanden und gegangen sind. Vielleicht wollten sie es tun und der Anstand hat ihnen Einhalt geboten.

Die FDP hat versucht, eineinhalb Jahre Untersuchungsausschuss mit stundenlangen Zeugenaussagen, Details und Tiefe in noch nicht einmal eine Stunde Vortrag zu quetschen. Das kann nur schiefgehen. Ist es auch. Und zwar gründlich!

Vergangenes Jahr hatte Hahn im Hanau-Untersuchungsausschuss noch vehement die Arbeit des ehemaligen Landespolizeipräsidenten Roland Ullmann im Zusammenhang mit dem Anschlag angeprangert. „Zu kritisieren sind nicht die einzelnen Polizistinnen und Polizisten, die eine gute Arbeit geleistet haben. Zu kritisieren ist die schlechte personelle und technische Ausstattung. Denn klar ist: Ein Notruf muss immer funktionieren“, sagte er damals.

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