Versuchter Totschlag angeklagt: Bei spektakulärer Flucht in Hanau auf Polizisten zugerast

Wegen versuchten Totschlags an zwei Polizeibeamten muss sich ein 25-Jähriger vor dem Landegericht Hanau verantworten. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Angeklagten vor, im Mai 2021 in der Hanauer Innenstadt bei auf zwei Zivilfahnder zugerast zu sein. Die Beamten, die ihn festnehmen wollten, hätten sich nur noch durch Sprünge zur Seite in Sicherheit bringen können.
Hanau – „Wenn ich mich nicht weggedreht hätte und zur Seite gesprungen wäre, hätte er mich erwischt. Dann habe ich auf den vorderen linken Reifen des BMW geschossen.“ So plastisch schildert der Zivilfahnder, was er am 5. Mai vergangenen Jahres an der Engelhardstraße erlebt hat. Dazu nimmt er die Playmobil-Figuren, die auf dem Zeugentisch liegen und zeigt dem Hanauer Schwurgericht, wo aus seiner Erinnerung heraus die Fahrzeuge, wo seine Kollegen gestanden haben.
Die Rekonstruktion ist jedoch alles andere als ein Spiel. Denn vor der Strafkammer unter dem Vorsitz von Dr. Mirko Schulte geht es an diesem Tag um ein sehr ernstes Thema: Joseph W. (25), genannt „Joe“, ist wegen versuchten Totschlags in zwei Fällen angeklagt. Das wirft ihm Staatsanwältin Lisa Pohlmann vor. Hinzu kommen gefährliche Körperverletzung, tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte – und Fahren ohne Führerschein.
Hanau: 25-Jähriger entkommt Übermacht der Polizei - Flucht über den Gehweg
W., der Ende April 2021 zusammen mit einem Komplizen eine spektakuläre Flucht aus dem Drogenentzug in Bad Emstal bei Kassel gelungen war, entkommt in Hanau einer Übermacht der Polizei. „Es hat mich überrascht, dass er da durchgekommen ist“, meint der Polizist angesichts der Tatsache, dass der 25-Jährige in der engen Sackgasse an fünf getarnten Streifenwagen, die ihm den Weg versperren, vorbeifährt – und zweimal über den Gehweg flüchtet. Zurück bleiben demolierte Dienstwagen und ein hoher Sachschaden. Selbst die martialisch auf ihn zustürmenden Fahnder, von denen einer die Beifahrerscheibe des 3er BMW einschlägt und die vielen auf ihn gerichteten Dienstwaffen können W. nicht abschrecken (wir berichteten).
Der Angeklagte liefert dem Gericht seine Sicht der Dinge: „Ich habe Panik bekommen und Gas gegeben.“ Zusammen mit seinem Strafverteidiger Michael Euler gibt er zu, dass er an diesem Tag den BMW gefahren ist. Den schweren Vorwurf weist er jedoch zurück: „Herr W. hatte zu keinem Zeitpunkt die Absicht, jemanden zu töten oder zu verletzten“, erklärt Rechtsanwalt Euler. Nach der Flucht in Hanau zieht es W. aber nicht weit weg: „Ich bin dann nach Langenselbold und habe den BMW in der Nähe vom Schloss abgestellt“. Zusammen mit seinem Komplizen kommt er in dort in „einem Hotel“ unter.
Landgericht Hanau: „Joe“ ist bereits bestens bekannt
Wenige Tage später kommt er jedoch zurück ins Gefängnis, als ihn ein Spezialeinsatzkommando an der Wilhelmsbader Straße in Maintal verhaftet. „Eigentlich habe ich darauf gewartet, dass ich irgendwann wieder festgenommen werde.“ Heute erinnern den 25-Jährigen noch Narben an der Hand an die Flucht über die mit Stacheldraht gesicherte Mauer der forensischen Klinik.
An den Hanauer Schwurgerichtssaal 215 dürfte sich „Joe“ ebenfalls noch genau erinnern. Denn trotz seines jungen Alters ist es bereits das dritte Mal, dass der Nidderauer vor einer der Großen Strafkammern auf der Anklagebank sitzt.
Zuletzt wird er weniger als zwei Monate vor der Flucht vom Landgericht zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt – wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr, Körperverletzung und Fahrens ohne Führerschein. Es ist die Revision des Prozesses, der 2019 für Aufsehen gesorgt hat.
Damals war W. zunächst zu fünf Jahren Haft verurteilt worden. „Joe“, der in Nidderau und Umgebung mit Drogen gedealt hatte, wollte einem säumigen „Schuldner“ einen Denkzettel verpassen. An der Bahnhofstraße zwischen Windecken und Heldenbergen hatte er auf dem Gehweg den 21-Jährigen angefahren und verletzt. Da er zuvor bereits zwei Jahre in Jugendhaft gesessen und davon noch sieben Monate „offen“ sind, geht es für W. in diesem Prozess um sehr viel. Die Hauptverhandlung vor dem Schwurgericht ist mit weiteren Zeugenvernehmungen zunächst bis Ende März terminiert. (Von Thorsten Becker)