Vater des Attentäters von Hanau will Oberbürgermeister besuchen und stellt Hinterbliebenen nach

Gegen den Vater des Attentäters von Hanau wird bereits ermittelt. Nach Besuchen im Rathaus und bei Hinterbliebenen nun auch wegen Nachstellung.
Hanau - Der Vater des Attentäters vom 19. Februar 2020 taucht unvermittelt auf. Vor dem Haus von Angehörigen der Opfer, aber auch im Hanauer Rathaus. Und er verbreitet Angst. Beispielsweise bei Serpil Temiz Unvar. „Was passiert als Nächstes?“, fragt sie. „Sein Sohn hat meinen Sohn ermordet. Und dann geht der Vater zu meinem Haus, steht vor meinem Küchenfenster und macht mir Angst“, sagt die Mutter von Ferhat, der während des rassistischen Anschlags erschossen wurde.
„Ich mache mir Sorgen um die Sicherheit meiner Kinder. Er wohnt keine 100 Meter von uns entfernt.“ Es geht um mehrere aktuelle Vorfälle, bei denen Hans-Gerd R., Vater des Attentäters, das Haus der Unvars aufsuchte. Kurz nach dem ersten Mal hielt Serpil Temiz Unvar in einem Gedächtnisprotokoll das Geschehen fest: Demnach war sie am Sonntagvormittag in der Küche, als R., der seinen Schäferhund dabei hatte, sie zweimal von draußen beobachtete, nachdem er auf die Klingel geschaut hatte.
Sie erkannte ihn nicht, weil sie ihn zuvor nie gesehen hatte. „Ich wollte nie Fotos von ihm sehen, weil ich mich nicht aufregen wollte.“ Ferhats Mutter machte an jenem Morgen das Fenster auf. Sie erinnert sich, dass R. etwa fragte, wieso sie nach Deutschland gekommen sei, obwohl die Kurden ein schönes Land hätten, wie sie sich das Haus leisten könne, wo sie arbeite. Auf die Antwort, dass ihn dies nichts angehe, soll er entgegnet haben, dass er dies rausfinden werde.
Vater des Attentäters von Hanau: Belästigung der Hinterbliebenden
Da vor dem Haus ein Roller und ein kleiner Wagen standen, habe er gefragt, ob man in Kurdistan auch alles vor die Tür schmeiße. Und er soll mehrfach von Halle gesprochen haben – der Stadt, in der am 9. Oktober 2019 ein rechtsextremer Anschlag verübt wurde. R. sagte laut Protokoll zum Beispiel, sie würden sich vielleicht „von Halle“ kennen. Kürzlich war dort eine Gedenkveranstaltung. Serpil Temiz Unvar war nicht dort, steuerte aber einen Audiobeitrag bei.
Nach dem Gespräch ahnte sie, wer der Mann gewesen sein könnte, ließ sich von einem Bekannten ein Foto zeigen und erkannte R. Am Sonntagabend und am Montag kam er wieder und stellte sich mit seinem Hund erneut vor ihrem Zuhause auf, wie Aufnahmen belegen.
Seit Langem wendet sich der Attentäter-Vater auch immer wieder ans Hanauer Rathaus: schriftlich, auch telefonisch und meist in einem „provozierenden und zynischen Ton“, berichtet eine Mitarbeiterin.
Unerwünschte Besuche verursachen ein „nachhaltiges Gefühl der Bedrohung“
Am vergangenen Donnerstag tauchte er dann unvermittelt persönlich im OB-Büro auf. Der Rathauschef war zu dem Zeitpunkt nicht vor Ort. Hans-Gerd R. soll erklärt haben, er wolle schauen, ob Claus Kaminsky noch im Rathaus ist, weil er ja „bald weg“ sei. So schildert es auch Kaminsky in einem Brief an die Staatsanwaltschaft und den Polizeipräsidenten, in dem er vorrangig aber auf das Auftauchen R.s vor dem Haus von Serpil Temiz Unvar eingeht. Das habe bei Unvar „ein nachhaltiges Gefühl der Bedrohung“ ausgelöst.
Kaminsky fürchtet offenbar, dass auch andere Angehörige der Opfer des rassistisch motivierten Anschlags vom Attentäter-Vater aufgesucht werden könnten, und fragt nach dem Vorgehen der Ordnungskräfte.
Die Polizei erklärte auf Anfrage, dass „eine Information der Opfer-Angehörigen“ stattgefunden habe. Zu Schutzmaßnahmen mache sie aus polizeitaktischen Gründen keine Angaben. Die Staatsanwaltschaft bestätigt derweil, dass eine Strafanzeige gegen R. vorliege. Es laufe ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Nachstellung und es gebe weitere Ermittlungen zu den Vorfällen, so Markus Jung, Staatsanwalt und Pressesprecher der Staatsanwaltschaft Hanau. Zudem hat die Polizei unter anderem für 14 Tage ein Kontakt- und Annäherungsverbot gegen R. verfügt. Über längere Verbote entscheidet die Justiz.
R. hat Anfragen unserer Zeitung zu den Zwischenfällen bisher nicht beantwortet. Auch auf Klingeln an seinem Haus öffnet niemand. Hinter dem Glaselement der Eingangstüre ist schemenhaft ein Hund zu erkennen. Nachbarn wollen sich nicht zu R. äußern - „aus Angst“, wie eine Frau sagt. Manche hätten sogar erwogen wegzuziehen. Noch während des kurzen Gesprächs fährt R. schnell mit dem Fahrrad vorbei.
Mehrere Anzeigen gegen Vater des Attentäters von Hanau
In der Vergangenheit hatte er alle Vorwürfe stets zurückgewiesen. Er sieht sich und seine Familie als Opfer. Sein Sohn habe die Morde nicht begangen, sondern eine weltweite Geheimorganisation. Der Generalbundesanwalt hat Ermittlungen wegen möglicher Mittäter- oder Mitwisserschaft eingestellt, weil es dafür keine Beweise gebe. Doch welche Rolle Hans-Gerd R. genau spielte, ist noch nicht aufgeklärt. Auffällig ist, dass er ein ähnliches Weltbild wie sein Sohn hat und ein paar Jahre vor der Tat den zweiten Tatort fotografierte.
„Ich fühle mich bedroht“, sagt Serpil Temiz Unvar. Er betreibe Psychoterror, habe gezielt von Halle gesprochen. Junge Leute aus Kesselstadt, die bei dem Anschlag in Hanau Freunde verloren haben, berichten, er habe sie mit seinem Hund verfolgt und provozieren wollen, was er zurückwies. Auch hier wurde Anzeige erstattet.
Notfall-Knopf im Rathaus von Hanau
Die jüngsten Alarmsignale sind nicht die ersten: Nach dem Anschlag forderte R. etwa, die Bekenner-Webseite seines Sohnes zu reaktivieren und ihm die Tatwaffen auszuhändigen. Teilnehmer einer Mahnwache in der Nähe seines Hauses, darunter Hinterbliebene, schmähte er als „wilde Fremde“, weshalb er wegen Beleidigung verurteilt wurde. Im Laufe des Prozesses nannte R. mehrfach die Anschrift von Opfer-Angehörigen.
Auch im Hanauer Rathaus fürchtet man, dass dort die bedrohlich wirkenden Auftritte von R. weitergehen. Mit dem plötzlichen Auftauchen im OB-Büro habe sei Verhalten „eine ganz neue Qualität erreicht“, so eine enge OB-Mitarbeiterin im Gespräch mit unserer Zeitung, zumal R. selbst angekündigte habe, er wolle künftig öfters vorbeikommen. Weil Vorzimmer-Mitarbeiter Angst haben, soll ein Notfall-Knopf installiert werden. Der Attentäter-Vater habe bei seinem Besuch im Rathaus eine weitere Botschaft hinterlassen, heißt es: Es wolle auch beim Privathaus von Oberbürgermeister Kaminsky vorbeilaufen. (Gregor Haschnik und Christian Spindler)