Gemüse Jäger in Hanau schließt – nach 64 Jahren
Nach 64 Jahren ist Schluss: Gemüse Jäger in der Bruchköbeler Landstraße in Hanau schließt für immer. Einen Nachfolger gibt es nicht.
Hanau – Vor der Tür stehen nur noch wenige grüne Gemüsekisten, auch im Inneren sind viele Regalböden leer. „Das sind Stammkunden“, sagt Irene Jäger, als das Auto vor der Tür parkt. Kurz darauf schellt die Türglocke. „So einen Laden hier“, sagt Rosemarie Schutt und ihre Begleiterin Helga Puth nickt, „findest du nicht mehr.“ Einmal in der Woche, meistens mittwochs, sind die Roßdorferinnen zum Gemüse Jäger an die Bruchköbeler Landstraße in Hanau (Main-Kinzig-Kreis) gekommen, um Äpfel, Zwiebeln, Salat & Co. zu kaufen. Diese Woche ist es der letzte Einkauf, den Schutt macht. Das Lädchen an der Hauptstraße schließt. Wann? „Wenn die Sachen verkauft sind“, sagt Irene Jäger, die gerade Kohlrabi in die Tüte packt. Am Donnerstag (23.), spätestens am Freitag (24. März), soll Schluss sein.
64 Jahre gab es den Gemüse Jäger, der am Anfang ein richtiger Tante-Emma-Laden war, drei Jahrzehnte stand Irene Jäger hinter der hölzernen Verkaufstheke, die ein Schreiner in den 1950er Jahren eigens für das Geschäft gebaut hat. 74 ist sie heute, ein Alter, in dem andere längst im Ruhestand sind.

Gemüse Jäger in Hanau: Laden im Jahr 1959 eröffnet
Hertha Jäger, die spätere Schwiegermutter von Irene Jäger, hat den Laden 1959 eröffnet und auch lange Jahre geführt. Irene Jäger ist eine echte Hanauerin. 1948 in der Mittelbuchener Straße von Hebamme Knebel zur Welt gebracht, absolvierte sie nach der Schule eine Lehre im Lebensmittelgeschäft Kleis und Mäder an der Körnerstraße. Danach arbeitete sie im Lebensmittelladen Lösel am Hanauer Marktplatz.
1968 heiratete sie Norbert Jäger, der aus einer alten Hanauer Familie mit langer Gartenbau- und Bauerntradition stammt. Die Familie hatte vor dem Krieg einen Bauernhof in der Rebengasse, die von der Hospitalstraße abging. Ausgebombt am 19. März 1945, übersiedelte die Familie nach Kesselstadt und bewirtschaftete auch noch lange nach dem Krieg eine ganze Reihe von Flächen im Hanauer Stadtgebiet.
Nach 15 Jahren: Hanauer Kultkneipe ist bald Geschichte.
Gemüse Jäger in Hanau: Früher eine beliebte und belebte Einkaufsstraße
Die zweifache Mutter arbeitete als junge Frau auf den Feldern der Familie oder am Stand auf dem Hanauer Wochenmarkt mit. 1996 zog die Familie in das Haus an der „Bruchköbeler“ – oben leben, unten arbeiten. „Das war noch eine gute Zeit für kleine Läden wie unseren“, erzählt die 74-Jährige, die ab dem 1. Januar 1997 Obst, Gemüse und Pflanzen verkaufte.
In den 1950er und 60er Jahren war die Straße, die heute täglich von Hunderten Ein- und Auspendlern befahren wird, eine richtige Einkaufsstraße mit einer Vielzahl von Geschäften. Drei Metzger, ein Kolonialwarenladen, eine Poststelle und die kleine Ladenzeile mit der Bäckerei Heilmann, Schreibwaren Henning und dem Laden der Conradis, die Weißwaren und Strümpfe verkauften. Längst ist das alles Vergangenheit, genauso wie die Drogerie Heyn an der Ecke zur Bruchköbeler Landstraße.

Gemüse Jäger in Hanau: „Ein Laden für die Seele“
„Die großen Supermärkte und die vielen Lieferdienste machen es uns schwer“, erklärt Irene Jäger. Konkurrieren? Ja, das habe lange funktioniert, als die Familie selbst mit angepackt habe. Da waren am Marktstand Geschwister, Cousinen und Cousins, auf den Feldern haben Angehörige gearbeitet. „Aber wenn sie zwei Angestellte bezahlen müssen, dann rechnet sich das alles nicht mehr“, resümiert die Hanauerin, die auch mal losgefahren ist, um einer 102-jährigen Kundin in der Rosenau Suppengrün nach Hause zu bringen. „Das habe ich immer gern gemacht.“
Hätte es keinen Nachfolger gegeben? „Unsere Söhne sind in guten Berufen, haben kein Interesse, den Laden zu übernehmen.“ Auch die beiden Enkelkinder haben andere berufliche Ziele. So sei der Lauf der Dinge, erklärt die 74-Jährige und packt noch einen Salatkopf in die Tüte.
Stammkundin von Gemüse Jäger: „Es ist gut, dass wir uns noch mal gesehen haben“
Ein Laden für die Seele sei das hier gewesen, sagt Stammkundin Rosemarie Schutt. Manchmal haben die beiden Frauen Rezepte ausgetauscht – oder Äpfel zum Saft pressen. Die Kundinnen und Kunden sind mit Irene Jäger alt geworden – und ja, sie seien ihr vielfach ans Herz gewachsen. Den einen oder anderen Kontakt werde sie sicher halten. Und aus der Welt sind die Jägers ja auch nicht. Jetzt stehen erst mal Umbauarbeiten und ein kleiner Umzug an. Die beiden Senioren wollen vom ersten Stock ins Erdgeschoss ziehen. Die Ladenzeile wird also demnächst verschwinden.
Rosemarie Schutt schließt Irene Jäger zum Abschied in die Arme. „Es ist gut, dass wir uns noch mal gesehen haben“, sagt sie. (Yvonne Backhaus-Arnold)