856 Menschen leben auf Sportsfield

Weltpolitik hat mitunter Auswirkungen bis auf die lokale Ebene. Beispiel Afghanistan. Seit Langem ist die Lage in dem Staat am Hindukusch dramatisch, seit dem Abzug der Amerikaner und der internationalen Truppen umso mehr. Die Flüchtlingszahlen steigen. Das ist auch in Hanau spürbar – langsam zwar, aber immerhin. „Ich habe lange die Quartalszahlen gar nicht mehr so genau verfolgt“, räumt Bürgermeister und Sozialdezernent Axel Weiss-Thiel (SPD) im Gespräch mit unserer Zeitung ein.
Hanau – Musste er auch nicht. Denn lange Zeit waren die Zahlen stabil. Das hat sich in den letzten Monaten verändert. Darum hat der Bürgermeister wieder einen wachen Blick darauf.
Exakt 856 Menschen, so die Zahl vom Donnerstag, leben momentan in der kommunalen Sammelunterkunft auf Sportsfield Housing in Wolfgang. In diesem Jahr gab es sukzessive eine Steigerung bei den Zuweisungen – „alles auf niedrigem Niveau“, sagt Weiss-Thiel. Auffällig ist sie allemal. Die Geflüchteten, die nach Deutschland kommen, werden über einen Zuteilungsschlüssel den Landkreisen sowie letztlich den Städten und Gemeinden zugewiesen. „Bei uns hat sich die Zahl zuletzt von Quartal zu Quartal verdoppelt“, sagt Weiss-Thiel. Im letzten Quartal kamen 90 Menschen an. Und wie es weitergeht, ist schwer abzuschätzen.
Fast die Hälfte der Bewohner kommt aus Afghanistan
Immerhin hat Hanau mit den ehemaligen Wohnblocks für US-Soldatenfamilien auf Sportsfield Housing in Wolfgang eine gute Sammelunterkunft für die Geflüchteten. Seit 2015 wird die Hälfte der 22 Sportsfield-Blocks von Geflüchteten bewohnt. Neben der kommunalen Unterkunft gab es zu Hochzeiten der Flüchtlingskrise dort eine – mittlerweile wieder geschlossene – Erstaufnahmeeinrichtung des Landes Hessen.
Fast die Hälfte der gut 850 Menschen, die derzeit in der städtischen Unterkunft leben, stammen aus Afghanistan, rund 100 aus Syrien, die übrigen aus dem Irak, aus Äthiopien, Eritrea, Iran, Somalia und der Türkei. Während vor allem in der Anfangsphase ab 2015 auch viele Kinder darunter waren, hat sich das geändert. „Nach wie vor dominieren bei den Altersgruppen aber die jungen Erwachsenen“, sagt Weiss-Thiel.
Sportsfield Housing: Viele Probleme sind geblieben
Auch wenn das Flüchtlingsthema unter anderem wegen der alles überlagernden Corona-Pandemie an öffentlicher Aufmerksamkeit verloren hat – viele Probleme sind geblieben. Von den gut 850 Menschen auf Sportsfield sind derzeit gut 430 im laufenden Asylverfahren. Die anderen wurden entweder abgelehnt, bleiben aber vorerst, etwa weil Abschiebungen in ihre Länder ausgesetzt sind, oder haben eine Asyl-Anerkennung bekommen. Dann sollten beziehungsweise müssten sie eigentlich aus der kommunalen Sammelunterkunft in Wohnungen auf dem freien Markt umziehen. Das gestaltet sich in der Praxis aber schwierig, weil günstiger Wohnraum Mangelware ist. Auch in Hanau.
Vor allem diejenigen, die Deutsch gelernt haben, über einen gewissen Bildungsgrad verfügen oder einfach etwa cleverer sind, so Weiss-Thiel, schaffen am ehesten den Sprung in die Selbstständigkeit.
Immerhin knapp 947 Menschen sind laut städtischer Bilanz seit Bestehen der Einrichtung in Eigeninitiative ausgezogen, keine so schlechte Bilanz, findet der Bürgermeister.
Dass Hanau mit den früheren US-Wohnungen an der Aschaffenburger Straße über veritable Unterbringungsmöglichkeiten verfügt, hat sich auch und erst recht in Corona-Zeiten gezeigt. „Wir haben die Wohnsituation entzerren können“, sagt Weiss-Thiel. Wenn Menschen in Quarantäne mussten, konnten freie Wohnungen in anderen Blocks genutzt werden. So blieben Massenansteckungen, wie es sie andernorts durchaus gegeben hat, auf Sportsfield zum Glück aus.
Zwar gebe es nach wie vor etliche Helferkreise, die Geflüchtete betreuen, berichtet Weiss-Thiel und nennt beispielhaft das Begegnungscafé „Oase“, hinter dem die Evangelische Kirchengemeinde Wolfgang, der Verein „Global Village – Zukunftswerkstatt“, die Interessengemeinschaft Großauheimer Vereine und Verbände sowie die katholische Pfarrei St. Jakobus stehen, oder die ökumenische Flüchtlingshilfe Steinheim. Insgesamt habe die Zahl der ehrenamtlichen Helfer aber „deutlich abgenommen“. Ungeachtet dessen laufen die städtischen Angebote von Sprachkursen über Nachhilfe, Hebammensprechstunden bis zu Kinderbetreuung und ständiger Sozialarbeit vor Ort weiter, auch wenn wegen Corona „die Anforderungen größer geworden sind“, sagt Weiss-Thiel.
Nach wie vor bereite die ärztliche Versorgung mitunter Probleme. Facharzttermine sind ohnehin schon nicht immer leicht zu bekommen. Sprachbarrieren verschärfen das noch.
Von Christian Spindler