Andere Angehörige der Ermordeten sprachen von unheilbarem Schmerz – auch noch 104 Wochen, 732 Tage oder 17 520 Stunden nach dem Anschlag. „Die Tat hat komplette Familien zerstört“, so Valentino Kierpacz (19), Sohn der getöteten Mercedes. „Unsere Welt steht seither kopf“, sagt Ajla Kurtovic, die Schwester von Hamza. Und auch sie fordert, dass alles zu der Tat „schonungslos und vollständig aufgeklärt wird“.
Das richtete sich auch an Ministerpräsident Volker Bouffier, der zusammen mit Bundesinnenministerin Faeser und Oberbürgermeister Kaminsky wenige Minuten vor Beginn der Gedenkstunde eintraf – auf einem anderen Zugangsweg als die übrigen Gäste. Während Angehörige an den Gräbern und Gedenksteinen der Ermordeten innehielten, kurze Gebete sprachen, sich umarmten und Blumen niederlegten, kündeten Blaulichter, die an der Friedhofsmauer vorbeizogen, von der Ankunft der Polizeikolonne mit den schwarzen Limousinen der hochrangigen Politiker bei der Gedenkstunde, die unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen stattfand.
Auch Innenministerin Faeser sagt später in ihrer Rede, der Staat schulde den Familien eine transparente und lückenlose Aufarbeitung. Die „Bringschuld des Staates“ gegenüber den Angehörigen, von der Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier gesprochen habe, sei „noch nicht erfüllt“. Das müsse im Untersuchungsausschuss des Landtags geschehen.
Ministerpräsident Bouffier gab angesichts der andauernden Kritik zu bedenken, man müsse berücksichtigen, dass das Attentat auch für die Behörden große Herausforderungen bedeutet habe. Das schließe aber „einen sensiblen Umgang mit den Angehörigen nicht aus. Daraus habe man aber gelernt.
Auch OB Kaminsky hob hervor, die Angehörigen hätten ein Recht darauf zu erfahren, „was in der Tatnacht und davor konkret geschehen ist, wo möglicherweise Fehler gemacht wurden.“
Während nach der Gedenkstunde die Politiker vor dem Friedshofsausgang Fragen von Radio- und TV-Reportern beantworten, warten einige Angehörige, bis sie den Ausgang passieren können. Andere bleiben bei den Gräbern und Gedenksteinen. Ihre Blicke sind leer. Auf den Steinbänken an den Grabstätten treffen sich regelmäßig auch Freunde der Ermordeten, erzählt jemand. Sie chillen dort, wollen ihren getöteten Freunden irgendwie nah sein.
Vor den Friedhof erzählt Niculescu Paun später ausführlicher das, was er schon während der Gedenkstunde gesagt hat: Im Heimtort in Rumänien sei eine Straße nach seinem Sohn benannt worden. 22 Lindenbäume wurden dort gepflanzt. Eine für jedes Lebensjahr von Vili Viorel Paun. Er hatte den Attentäter am 19. Februar 2020 mit seinem Auto verfolgt. Beim Polizeinotruf kam er nicht durch. Der Täter stellte Paun auf dem Parkplatz am Kurt-Schumacher-Platz und erschoss ihn durch die Windschutzscheibe. (Christian Spindler)