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Ein Meer aus Tränen - Tausende nehmen Abschied von Opfern der rassistischen Bluttat

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Rund 2000 Trauernde versammelten sich gestern auf dem Marktplatz, um am muslimischen Trauergebet teilzunehmen. Vor ihnen standen die Särge dreier Opfer des Anschlags vom Mittwoch. Foto: dpa
Rund 2000 Trauernde versammelten sich gestern auf dem Marktplatz, um am muslimischen Trauergebet teilzunehmen. Vor ihnen standen die Särge dreier Opfer des Anschlags vom Mittwoch. © Frank Rumpenhorst / dpa

Nach dem rassistischen Anschlag in Hanau nehmen Tausende Menschen emotional Abschied von den Opfern. Eine Gedenkstätte soll an die Ermordeten erinnern.

Hanau/Offenbach – „Wir funktionieren“, sagt Abdullah Ünvar. Die Ringe unter seinen Augen sind gerötet. Er hat kaum geschlafen in den vergangenen Tagen. „Wie auch?“, fragt er und blickt auf den Boden. Seit Mittwochabend funktionieren sie in seiner Familie. Um 22.15 Uhr bekommt Abdullah einen Anruf. In Hanau habe es einen Anschlag gegeben. Ferhart sei unter den Opfern. Er versucht, seinen Cousin telefonisch zu erreichen. Vergeblich. Was er nicht weiß: Ferhat Ünvar, der Zigaretten kaufen wollte im Kiosk am Kurt-Schumacher-Platz, ist da schon tot. Erschossen.

Für die Familie beginnt eine schreckliche Zeit der Ungewissheit. Abdullah fährt von Butzbach aus nach Hanau. Die Familie ist groß: Tanten, Onkels, Cousins und Cousinen, im gesamten Bundesgebiet verteilt. Bis kurz nach 4 Uhr sitzen sie in der Turnhalle der Polizei im Stadtteil Lamboy, dann öffnet der Polizeipräsident die Tür und verliest die Namen der Getöteten. Ferhat Ünvar ist darunter.

Der 23-Jährige, dessen kurdische Familie aus der Türkei nach Deutschland geflohen war, ist in Hanau geboren und hier mit seinen beiden Brüdern und einer Schwester aufgewachsen. Gerade hatte er seine Ausbildung zum Anlagenmechaniker in einem Sanitärbetrieb beendet. Er hatte noch fast ein ganzes Leben vor sich ...

Auf dem Hauptfriedhof wurde am Nachmittag der 23 Jahre alte Ferhat Ünvar beigesetzt.
Auf dem Hauptfriedhof wurde am Nachmittag der 23 Jahre alte Ferhat Ünvar beigesetzt. © Pfaffenbach

Gestern Nachmittag wurde Ferhat Ünvar auf dem Hanauer Hauptfriedhof beigesetzt. Zuvor fand in der Heinrich-Heine-Schule, nur einen Steinwurf vom Tatort am Kurt-Schumacher-Platz entfernt, eine Trauerfeier statt. Alle waren da: Familie, Freunde, Nachbarn. Hunderte Menschen, viele sind von außerhalb gekommen. Nachdem der Imam gesprochen hat, liegen sich am Tisch neben den Fotos von Ferhat Ünvar und den vielen Blumen Frauen in den Armen. Sie stimmen ein Klagelied an. Schrill. Durchdringend. Es geht einem bis ins Mark. Als sich die Trauergemeinde in von der HSB zur Verfügung gestellten Bussen schließlich auf dem Weg zum Hanauer Hauptfriedhof macht, haben sich die Frauen Bilder von Ferhat Ünvar an die Brust geheftet.

Bei der Beisetzung am Nachmittag auf dem Hauptfriedhof spricht auch die Mutter des Getöteten zu den mehreren Hundert Trauergästen. Sie wolle nicht, dass weitere Mütter das erleiden müssten, was sie erlitten habe. Ein Sprecher der Familie übersetzt. Es dürfe nicht bei Worten bleiben, es müssten Taten folgen. Auch viele, die sich zur Trauerfeier eingefunden haben und später dem Sarg auf dem Weg zum Grab folgen, tragen ein Foto des Toten an ihren Jacken.

Eine Gedenkfeier fand gestern Vormittag in der Halle der Heinrich-Heine-Schule statt.
Eine Gedenkfeier fand gestern Vormittag in der Halle der Heinrich-Heine-Schule statt. © Göbel

„Er war ein liebenswürdiger Hanauer Bub“, sagt Oberbürgermeister Claus Kaminsky bei der Trauerfeier über den jungen Mann. Kaminsky kündigt in seiner Rede die Errichtung einer Gedenkstätte auf dem Hauptfriedhof an, „die an diese schreckliche Tat, aber vor allem an die Ermordeten erinnern wird“.

Zwei Stunden zuvor haben sich auf dem Hanauer Marktplatz um die 2000 Menschen zum muslimischen Totengebet versammelt. Sie gedenken der Opfer des Anschlags. Drei Särge, die in türkische Fahnen gehüllt sind, stehen vor der Bühne, auf der muslimische Geistliche die Trauergebete sprechen.

Nach dem Abschluss der Gebete in türkischer Sprache werden die Särge in bereitstehende Leichenwagen getragen. Zwei der Toten sollen zur Beisetzung in die Türkei überführt werden.   

bac/dpa/ju/cs.

Zu dem Anschlag in Hanau kommen neue Details ans Licht. Alle wichtige Informationen im Ticker.

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